Gemeinsam für eine soziale Stadt
Anna Büttner steht schon an der Wohnungstür, um Antonia Rodrigues zu begrüßen. Die 84-Jährige drückt die junge portugiesische Mutter herzlich und führt sie in ihre Wohnung.
Die beiden ungleichen Frauen sind sich in den vergangenen drei Monaten nähergekommen und haben ein Vertrauensverhältnis zueinander aufgebaut. "Antonia bringt mir manchmal selbst gebackenen Kuchen mit und ich revanchiere mich mit einem Gläschen selbst gemachter Marmelade", verrät die alte Dame schmunzelnd.
Das war nicht immer so. Als Anna Büttner in der Vermittlungsstelle des Unterliederbacher Hilfenetzes nach einer Haushaltshilfe fragte und den Namen Rodrigues hörte, war sie zunächst skeptisch. "Sie hatte Vorbehalte wegen des fremd klingenden Namens. Das erleben wir häufiger, vor allem bei alten alleinstehenden Menschen", sagt Markus Haas von der Vermittlungsstelle des Hilfenetzes.
"Wenn wir den Kunden jedoch sagen, dass Antonia Rodrigues schon länger im Hilfenetz arbeitet und bisher absolut zuverlässig war, ist die Skepsis schnell verflogen. Die Menschen vertrauen uns, weil sie unsere Arbeit und Projekte kennen", so Markus Haas weiter.
Das Hilfenetz der katholischen Gemeinde St. Johannes und des Caritasverbandes ist ein Leuchtturmprojekt im Bund- und Länder-Programm "Soziale Stadt", das in Unterliederbach-Ost, einem Frankfurter Stadtteil, seit 1999 durchgeführt wird.
Zielgruppen sind zum einen alte, kranke und behinderte Menschen, die Unterstützung in ihrer Lebensführung benötigen, zum anderen Menschen mit geringem Einkommen, wie zum Beispiel Alleinerziehende oder Geringqualifizierte, die darauf angewiesen sind, etwas hinzuzuverdienen.
Die Helferinnen und Helfer werden geschult und qualifiziert. Sie sind bei ihrer Anstellung im Rahmen von Nebentätigkeit haftpflicht- und unfallversichert. Vermittelt werden vor allem Hilfen für die Haushaltsführung, wie zum Beispiel Einkaufen, Putzen, Treppenhausreinigung oder Gartenarbeiten.
"Wir haben vor acht Jahren mit fünf Helferinnen angefangen, heute sind über 80 Helferinnen und Helfer beschäftigt und im vergangenen Jahr haben wir fast tausend Arbeitsstunden geleistet", sagt Margurit Aßmann nicht ohne Stolz. Sie ist die ehrenamtliche Vorsitzende des Vereins "Caritas der Gemeinde". Sie hat das Projekt mit ins Leben gerufen.
Caritasverband und Gemeinde arbeiten zusammen
Der Verein "Caritas der Gemeinde" und der Caritasverband Frankfurt teilen sich die Verantwortung für das Projekt. Der Caritasverband kümmert sich um Fördermittel und leistet durch seine hauptamtlichen Mitarbeiter(innen) die fachliche Begleitung der Ehrenamtlichen der Kirchengemeinde. Die Ehrenamtlichen wiederum bringen ihr Engagement im Stadtteil ein. Die Nähe zur Kirchengemeinde ist wesentlich für den Erfolg des Hilfenetzes. "Vor allem ältere Menschen vertrauen der Kirche", weiß Margurit Aßmann.
Die Fördermittel werden überwiegend zur Finanzierung der Vermittlungsstelle und für die Versicherungen benötigt, der Verdienst der Helfer(innen) wird über die Einnahmen generiert.
Seit vielen Jahren kooperieren in Unterliederbach der Caritasverband Frankfurt und die katholische Kirchengemeinde St. Johannes. Der Verband unterstützt die sozialpastorale Arbeit der Gemeinde. Zusätzlich zum Hilfenetz wurde ein Secondhand-Kleiderladen aufgebaut. Dort sind derzeit acht Frauen aus dem Stadtteil beschäftigt.
Eine wichtige Säule der sozialpastoralen Arbeit ist die Allgemeine Lebensberatung, die von fünf ehrenamtlich tätigen Frauen aus der Gemeinde zweimal pro Woche angeboten wird.
Seit nunmehr elf Jahren kommen Menschen in Notlagen zu den Beraterinnen und erhalten Unterstützung. Hier werden die Bedürfnisse der Menschen sichtbar und passgenaue Hilfe- und Beratungsangebote aufgebaut, wie zum Beispiel Schuldnerberatung, Gesundheitssprechstunde oder Hilfe bei Bewerbungen.
Der Caritasverband Frankfurt engagiert sich seit vielen Jahren im Stadtteil Unterliederbach. Die gemeinwesenorientierte Arbeit begann zunächst mit einer Spiel- und Lernstube, wo Kinder aus sozial belasteten Familien betreut wurden. Einige Jahre später kamen ein Jugendclub und eine Kindertagesstätte dazu. Diese Einrichtungen beteiligen sich aktiv an der sozialen Stadtteilentwicklung und nehmen an den Koordinierungstreffen von Caritasverband und Kirchengemeinde teil.
Mit der Übernahme des Quartiersmanagements im Jahr 1999 erweiterte der Verband sein Engagement im Stadtteil und die Kooperation mit der St.-Johannes-Gemeinde wurde ausgebaut. Die Arbeitsgruppe "Caritasdienste Unterliederbach/Gemeinde St. Johannes" wurde eingerichtet. An der Arbeitsgruppe nehmen neben den hauptamtlichen und ehrenamtlichen Mitarbeiter(inne)n auch der Pfarrer und der zuständige Abteilungsleiter des Caritasverbandes teil. Hier werden neue Entwicklungen besprochen und die gemeinsame Arbeit koordiniert.
Die Kirchengemeinde hat eine zentrale Rolle
Wichtige Grundlage der Zusammenarbeit von Caritasverband und Gemeinde in Unterliederbach ist, dass es eine gemeinsame Zielsetzung und einen Auftrag an die Mitarbeiter(innen) gibt. So haben die Einrichtungen und Dienste des Caritasverbandes den Auftrag, mit den Kirchengemeinden zusammenzuarbeiten und ihre Arbeit stadtteilorientiert auszurichten. Auf der anderen Seite hat die sozialpastorale Arbeit in der St.-Johannes-Gemeinde einen hohen Stellenwert und wird vom Pfarrer, den Gremien und vom überwiegenden Teil der Gemeindemitglieder getragen.
Beim Aufbau von nachhaltigen Strukturen spielen die Kirchengemeinden eine zentrale Rolle. Die Gemeinden sind konstante Größen in den Stadtteilen, die auch dann noch vor Ort sind, wenn Förderprogramme längst ausgelaufen sind.
Die Aktivierung und Beteiligung der Bewohner und Stadtteilakteure ist eine Kernaufgabe des Quartiersmanagements. In Unterliederbach wurde für die kontinuierliche Beteiligung ein Beirat gewählt, in dem Bewohner und Vertreter der Stadtteilinstitutionen ihre Belange einbringen und vertreten können. Der "Beirat Soziale Stadt" setzt sich zusammen aus Vertreter(inne)n der Bewohnerschaft sowie Vertreter(inne)n von Kirchen, Vereinen, Schulen, Gewerbe, Wohnungswirtschaft, Stadtteilarbeitskreis, Kinder- und Jugendeinrichtungen. Das Quartiersmanagement übernimmt die Geschäftsführung. Mitarbeiter(innen) des Planungsamtes der Stadtverwaltung nehmen regelmäßig an den Sitzungen teil. Der Beirat beschließt Empfehlungen zum Stadtteilentwicklungs-Programm und gibt diese an die politischen Gremien, den Ortsbeirat und die Stadtverordnetenversammlung, weiter.
Sich kennenlernen und Arbeit finden
Nachhaltige Strukturen im Quartier und Stadtteil sind ohne entsprechende Räume nicht möglich, die von den Bewohnern selbstständig und eigenverantwortlich verwaltet werden. Die "Soziale Stadt" als ein städtebauliches Programm bietet gute Möglichkeiten, neue Räume zu schaffen oder bereits vorhandene Liegenschaften umzugestalten. So wurde im Quartier Engelsruhe in Unterliederbach-Ost ein leerstehendes Gebäude mit Mitteln der "Sozialen Stadt" zu einem Bewohnertreff umgebaut. Vorgabe der Stadt war jedoch, dass die Trägerschaft für die neue Einrichtung aus dem Quartier kommen sollte. Das Quartiersmanagement erhielt daher den Auftrag, geeignete Strukturen zu suchen und aufzubauen. Im Jahr 2005 wurde der Nachbarschaftsverein gegründet. Der Verein zählt mittlerweile 65 Mitglieder und ist Träger des Bewohnertreffs. Er wird unterstützt vom Caritasverband.
Umbau und Renovierung des Gebäudes wurden teilweise von "Cariteam", der Beschäftigungsgesellschaft des Caritasverbandes, ausgeführt. Auf diese Weise konnten arbeitslose Bewohner des Stadtteils beschäftigt und qualifiziert werden. Weitere neun Arbeitsstellen wurden im Umfeld des Treffs geschaffen, darunter vier sogenannte "Kiezläuferinnen", die täglich im Quartier unterwegs sind. Sie sind Ansprechpartnerinnen im Projektgebiet, achten auf Sauberkeit auf den öffentlichen Plätzen, vor allem auf den Spielplätzen, organisieren in den Pausen auf dem Schulhof Spielangebote und schlichten bei Streitigkeiten.
Eine Mitarbeiterin leitet den wöchentlichen Frauentag im Bewohnertreff. Die Frauen werden informiert und beraten bei Fragen zur Erziehung, bei Überschuldung oder Eheproblemen. Darüber hinaus organisiert die Mitarbeiterin Exkursionen und Kurse. Zwei Sozialarbeiterinnen des Caritasverbandes schulen die "Kiezläuferinnen" und die neuen Mitarbeiter(innen) im Bewohnertreff in Konfliktvermittlung und Gesprächsführung und leisten eine regelmäßige fachliche Begleitung.
Der Treff fördert die Nachbarschaftshilfe
Der Bewohnertreff ist in den vergangenen zwei Jahren ein wichtiger Teil der sozialen Infrastruktur im Stadtteil geworden. Der Caritasverband, der Verein "Caritas der Gemeinde" und der Nachbarschaftsverein führen hier Beratungsangebote und Veranstaltungen durch. Absprachen garantieren, dass sich die Angebote ergänzen und keine Konkurrenz entsteht.
Die Angebote orientieren sich am Bedarf der Menschen. Der Treff bietet den Bewohnern auch Gelegenheit zum gegenseitigen Kennenlernen und fördert die Nachbarschaft.
Nach annähernd zehn Jahren "Sozialer Stadt" in Unterliederbach-Ost kann eine positive Bilanz gezogen werden. Caritasverband und St.-Johannes-Gemeinde gestalten die soziale Stadtteilentwicklung aktiv mit und haben die soziale Infrastruktur im Stadtteil und im Quartier nachhaltig verbessert.
Die gemeinsame Arbeit von Verband und Kirchengemeinde basiert auf der Grundlage des katholischen Glaubens und ist geprägt von gegenseitigem Respekt. Hauptamtliche und Ehrenamtliche arbeiten gleichberechtigt zusammen und bringen ihre Ressourcen ein. Ein wichtiger Aspekt ist die Qualifizierung der ehrenamtlich Engagierten, so dass sie in die Lage versetzt werden, mit den professionellen Mitarbeiter(inne)n und Vertreter(inne)n aus Politik und Verwaltung auf Augenhöhe zu agieren.