Jeder Standardabbau wirkt sich negativ auf die Betreuten und die Mitarbeitenden aus
Der Fachkräftemangel treibt uns zur Verzweiflung. In der Not sind plötzlich Dinge möglich, die vorher undenkbar waren. Was tun wir hier: endlich die überzogenen Standards auf ein Normalmaß reduzieren? Mit unverhohlener Freude heilige Kühe schlachten, als hätten wir nur auf eine gute Gelegenheit gewartet? Oder schütten wir das Kind mit dem Bade aus?
Fakt ist: Es gibt einen zu großen Hilfebedarf in allen sozialen Bereichen, und es gibt zu wenig Personal, erst recht zu wenig Fachkräfte. Die Schere zwischen denen, die Hilfe erhalten, und denen, die vor der Türe stehen, wird immer größer. Was tun? Die Argumentation der Qualitätssenker ist plausibel. Wenn wir einfach weitermachen nach dem Motto "Augen zu und durch", haben die, die Hilfe bekommen, ein gutes Leben, im Altenheim, im Krankenhaus, in der Wohngruppe des Kinderheims. Die anderen bleiben unversorgt vor der Tür, in der Warteschleife, auf der Straße, zu Hause. Das kann doch nicht sein! Die Lösung ist wohlfeil, pure Mathematik: Runter mit den Standards, dann gibt es mehr Hilfeangebote für mehr Menschen. Die im System sind, haben leichte Verluste, dafür müssen weniger "draußen bleiben". Stimmt doch, oder?
Ein Blick auf die stationäre Jugendhilfe zeigt: Die normale Regelgruppe hat sieben bis zehn Kinder und Jugendliche, die rund um die Uhr betreut werden. Diese jungen Menschen sind häufig traumatisiert, erschüttert, herausgenommen aus ihrem Leben. Es muss hier nicht die ganze Palette der schlimmen Erfahrungen aufgeführt werden. Der Stellenschlüssel als zentraler Standard hat sich in den vergangenen Jahren leicht verbessert. Es sind etliche Gruppen mit höherem Personalschlüssel entstanden. Aufgrund der Anforderungen dieser besonders schwierigen und bedürftigen Kinder gibt es viel mehr Intensiv- und Spezialgruppen, aber auch immer noch viele Regelgruppen. Der Alltag ist, dass ein:e bis zwei Pädagog:innen sieben bis zehn Kinder betreuen. Die Qualitätsentwicklung ist noch im Gange. Wenn man den Kindern angemessene Hilfe bieten will, muss die Belastung für Mitarbeitende deutlich abgebaut werden. Es darf keine Mehrbelastung geben. Mitarbeitende in der stationären Jugendhilfe arbeiten im Schichtdienst, der nicht sonderlich beliebt ist. Durch Corona und in der Folge weitere Krankheiten, etwa durch eine geschwächte Immunabwehr, hat es zusätzliche Belastungen für die Mitarbeitenden gegeben. Was kann man dem System noch zumuten? Wie sähe eine Standardabsenkung aus? Ein Kind mehr in jede Gruppe. Ist das ein angemessener Beitrag? Was ist in fünf Jahren, wenn es noch weniger Fachkräfte gibt? Sind es dann zwei Kinder mehr in jeder Gruppe? Oder senkt man den Fachkräfteschlüssel - zum Beispiel eine von fünf Kräften kann eine Person ohne Ausbildung sein. Und in fünf Jahren sind es zwei? Jeder Standardabbau wirkt sich negativ auf die betreuten Kinder und auf die Mitarbeitenden aus und belastet alle im System zusätzlich. Für die Jugendhilfe gilt mein klares Nein zum Qualitäts- und Standardabbau.
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