Eine Anpassung von Standards darf kein Tabu sein
Der Anspruch in der Caritas ist es, den Dienst am Menschen auf einem hohen professionellen Niveau zu sichern und bestmöglich auszubauen. Das christliche Menschenbild fordert eine fachlich und menschlich hochwertige Versorgung. Daher steht die Caritas ein für die qualitätsgesicherte Pflege in Altenhilfeeinrichtungen und Krankenhäusern. Über Jahrzehnte hinweg wurden fachliche Standards anhand messbarer Qualitätskriterien entwickelt. Das hohe Niveau ist ein hohes Gut.
Rechtfertigt die vielerorts bestehende Personalnot nun das Abweichen von festgelegten Standards? Verwiesen wird bei solchen Abweichungen häufig auf einen kurzfristig bestehenden Ausnahmezustand. Doch die Ausnahme ist längst keine mehr: Der Fachkräftemangel ist die neue Realität.
Momentan setzen Träger noch sehr auf Teilschließungen, Aushilfskräfte, Leiharbeit, Zuzug und Umschulungen. Auch der Einsatz von Technik verspricht Entlastung. Für das Leistungsversprechen der Pflege ist die Beschreibung und messbare Verlässlichkeit von Leistungsstandards unbedingt erforderlich. Dieser Transparenz stellt sich die Caritas selbstbewusst und aus Überzeugung. Aber wohin sollen oder dürfen sich die Standards unter dauerhaftem Fachkräftemangel entwickeln? Gilt es, sich künftig mit einem Pflegeniveauverlust zu arrangieren, oder können Behandlungs- und Pflegeergebnisse auch mit einer anderen Zusammensetzung der professionellen Teams und anderen Arbeitsabläufen stabilisiert werden?
Qualitätsindikatoren sind sinnvoll
Das Festhalten an bekannten Fachkraftquoten führt unweigerlich zur Rücknahme von Versorgungsangeboten. Es schwächt die Breite der Daseinsvorsorge und macht dadurch vielen Menschen den Zugang zu den Einrichtungen unmöglich.
Standards sind stets in Entwicklung und natürlich keine in Stein gemeißelten Größen. Sie verändern sich regelmäßig. Im SGB XI wurde im Oktober 2019 ein neues Qualitätssystem in der Langzeitpflege eingeführt. In diesem System nimmt die Ergebnisqualität eine sehr viel größere Rolle ein als zuvor. Ein zentrales Element sind die halbjährlich durch die Pflegeheime anhand von insgesamt zehn Qualitätsindikatoren zu erhebenden Versorgungsergebnisse. Das bedeutet für die Einrichtung, dass sie die Veränderungen im Gesundheits- und Pflegezustand ihrer Bewohner:innen sicher erfasst und erforderliche Verbesserungsmaßnahmen einleiten kann (zum Beispiel Anpassung individueller Maßnahmenpläne oder Schulungen für Mitarbeitende). Ein Vorteil liegt in der selbstregulierten sofortigen Umsetzung, ohne erst durch Prüfungen des Medizinischen Dienstes veranlasst zu sein. Unter dem Indikator "Mobilität" wird beispielsweise die Fähigkeit zum Treppensteigen beurteilt. Bei dauerhaft bettlägerigen Menschen ist der Zustand der Haut besonders wichtig und wird bei der Ergebnisqualität überprüft. Rechtzeitiges Gegensteuern durch die Pflegekräfte bringt den Bewohner:innen eine deutliche Lebensverbesserung. Es ist daher nicht sinnvoll, solche Standards abzusenken.
Die Frage nach dem für die Leistungen verantwortlichen Personal in den Einrichtungen ist dabei allerdings der Dreh- und Angelpunkt. Wenn es nun aber nicht so ist, dass die Pflege nur durch viele Fachkräfte mit einer dreijährigen Ausbildung beziehungsweise einem akademischen Abschluss auf hohem Ergebnisniveau zu gewährleisten ist, kommt der bewährte Strukturparameter Fachkraftquote unter Rechtfertigungsdruck.
Klar ist, dass bei deutlich ansteigendem Pflegebedarf nicht genug Fachkräfte nachrücken. Es ist eine belegbare Alltagserfahrung, dass qualifizierte Tätigkeiten nicht immer durch den spezifisch dafür ausgebildeten Personenkreis ausgeübt und dennoch zufriedenstellend erledigt werden. Daraus folgte bereits eine neue Ausrichtung des Berufsbilds der Pflegeassistenzkräfte, die eine einjährige Ausbildung haben. Ihnen wird die grundpflegerische Versorgung als Aufgabe zugewiesen, während die dreijährig ausgebildeten Pflegefachkräfte andere Vorbehaltsaufgaben haben (zum Beispiel Steuerung des Pflegeprozesses).
Die Pflege leidet sehr unter dem Mangel an Mitarbeitenden - und das zunehmend unabhängig vom jeweiligen Ausbildungsgrad. Einfach mit mehr Leuten ist es allerdings nicht getan, denn damit Patient:innen und Bewohner:innen tatsächlich gut versorgt sind, bedarf es der klugen Organisation der Kräfte unterschiedlicher Ausbildungsniveaus - also der Organisationsentwicklung. Welche Abläufe können verändert, vereinfacht und delegiert werden, ohne dass das Versorgungsniveau leidet? Mit einer neuen Personalbemessung und gelingenden Arbeitsgestaltung kann auch ein längerer Verbleib im Beruf erreicht werden. Gleichzeitig erhöht das die Attraktivität als Arbeitgeberin für neue Mitarbeitende.
Technische Hilfsmittel erleichtern Pflegealltag
Immer wichtiger werden die technischen Hilfsmittel. Zwar steht der Pflegeroboter noch nicht einsatzbereit in der Einrichtung, aber elektronisch betriebene Wäschewagen können den Arbeitsalltag neben den elektrisch einstellbaren Pflegebetten deutlich erleichtern. Von Bedeutung sind auch digitalisierte Pflegedokumentationen mit Vernetzung in andere Systeme des Hauses. Selbstverständlich kann kein noch so ausgefeiltes Struktur- oder Personalbemessungssystem die Personalnöte komplett beseitigen, aber es stellt realistische und vernünftige Bedingungen für eine gute pflegerische Versorgung dar.
Daneben machen Überlegungen Sinn, wie der Bedarf verringert und der Eintritt der Pflegebedürftigkeit möglichst weit "nach hinten" verschoben werden kann. In einem Solidarsystem mit rasant zunehmenden Möglichkeiten der digitalen Fitnessprüfung ist die persönliche Freiheit der Lebensführung mit Blick auf den eigenen (Kosten-)Beitrag zur Kranken- und Pflegeversicherung immer wieder angefragt. Zwar besteht zum Glück keine rechtliche Verpflichtung zu einer gesunden Lebensführung, die Angebote der Prävention und der Rehabilitation müssen gleichwohl deutlich ausgebaut werden. Quartiersarbeit muss mit mehr Initiativen und Anreizen deutlich gestärkt werden, um einen längeren Verbleib in der eigenen Häuslichkeit und mit verkürztem Pflegebedarf zu gewährleisten.
Damit die gute Ergebnisqualität von Pflegeleistungen gehalten und verteidigt werden kann, müssen die Versorgungskonzepte und Standards beherzt überprüft und infrage gestellt werden.
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