Mehr Selbstbestimmung für betreute Menschen
Die Reform des Betreuungsrechts, die am 1. Januar 2023 in Kraft treten wird, hat ein zentrales Ziel: das Selbstbestimmungsrecht der Menschen zu stärken, die bereits eine:n rechtliche:n Betreuer:in haben beziehungsweise bekommen. Die Stärkung des Selbstbestimmungsrechts beginnt schon im Vorfeld der gerichtlichen Bestellung und zeigt sich besonders im Rechtsverhältnis zwischen der betreuten und der betreuenden Person sowie bei der Aufsicht des Betreuungsgerichts. Für die Umsetzung der Reform ist auch wichtig, dass die betreuten Menschen insgesamt besser über ihre Rechte informiert werden, dass ihre Wünsche ermittelt und beachtet werden und sie die Möglichkeit erhalten, diese zu äußern und selbst gegebenenfalls mit Unterstützung Entscheidungen treffen. Neben der Partizipation ist auch die Transparenz über das, was Betreuer:innen tun, ein wichtiger neuer Akzent.
KNA/Harald Oppitz
Menschen mit Unterstützungsbedarf konnten schon immer selbst eine Betreuung beantragen und Wünsche äußern, wer Betreuer:in werden soll. Künftig muss auch beachtet werden, wenn diese eine bestimmte Person ablehnen.
Jede:r kann auch weiterhin grundsätzlich eine Betreuung verweigern; dann darf diese gegen den Willen nur im äußersten Ausnahmefall vom Gericht angeordnet werden. Dies setzt voraus, dass der:die Betroffene keinen freien Willen bilden kann. Nach längstens zwei Jahren ist dies zu überprüfen.
Im Verfahren haben nun die Betreuungsbehörde, der:die Verfahrenspfleger:in und das Betreuungsgericht ausdrücklich die Aufgabe, die Wünsche des:der Betreuten und deren Sichtweise in das Verfahren einzubringen beziehungsweise zu berücksichtigen (§§ 276, 278, 279 FamFG,Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit). Zur Auswahl der Betreuerin:des Betreuers hat die Betreuungsbehörde einen geeigneten Vorschlag zu machen. Auf Wunsch der Betroffenen kann die Behörde nach dem neuen Gesetz ein persönliches Kennenlernen vermitteln (§ 12 Betreuungsorganisationsgesetz, BtOG), so dass Menschen, die selbst keinen Vorschlag machen (können), hier nun eine Mitwirkungsmöglichkeit bekommen.
Die Betroffenen sind aber noch deutlicher auch über Alternativen zur rechtlichen Betreuung zu informieren. Dazu gehört weiterhin zunächst die Vorsorgevollmacht, die allerdings voraussetzt, dass jemand als zu benennende Person zur Verfügung steht. Die Betreuungsbehörde, die im Verfahren einen Sozialbericht (§ 11 BtOG) über den Betreuungsbedarf erstellt, hat auch künftig andere Hilfen in den Blick zu nehmen. Diese sind Beratungs- und Unterstützungsleistungen des sozialen Hilfesystems, die gegebenenfalls den Bedarf decken können, wie zum Beispiel Assistenzleistungen aus dem SGB IX. Neu ist, dass die Behörde hier die Betroffenen bei einer Antragstellung zu unterstützen hat. Es gibt auch eine neue Möglichkeit weitergehender Unterstützung (§ 8 Abs. 2 Betreuungsorganisationsgesetz, BtOG). Diese erweiterte Unterstützung wird zunächst in Modellversuchen in den Bundesländern erprobt.
Die Bestellung eines Betreuers und seine Aufgaben
Das Betreuungsgericht bestellt eine:n Betreuer:in, der:die geeignet ist, in dem gerichtlich angeordneten Aufgabenkreis die Angelegenheiten des:der Betreuten rechtlich zu besorgen und insbesondere in dem dafür erforderlichen Umfang persönlichen Kontakt mit dem:der Betreuten zu halten. Es handelt sich also weiterhin um eine rechtliche Betreuung und keine soziale oder pflegerische Hilfe.
Auch für den Aufgabenkreis gibt es Neuerungen. Der Aufgabenkreis besteht aus einem oder mehreren Aufgabenbereichen, die vom Betreuungsgericht im Einzelnen anzuordnen sind (§ 1815 Abs. 1 BGB). Das bedeutet, dass es künftig keine Betreuung mehr in allen Angelegenheiten geben darf; solche Betreuungen sind bis zum 31. Dezember 2024 entsprechend zu ändern.
Außerdem gibt es bestimmte Aufgabenbereiche, die der:die Betreuer:in nur dann ausüben darf, wenn dies vom Betreuungsgericht ausdrücklich angeordnet worden ist. Dies
gilt zum Beispiel für freiheitsentziehende Maßnahmen oder Unterbringung, für eine Umgangsbestimmung und für Entscheidungen bezüglich Telekommunikation und Post. Hier ist die Übergangsfrist für bereits bestehende Betreuungen allerdings bis zum 31. Dezember 2028 recht lang.
Unabhängig vom Aufgabenkreis führt die Bestellung eines Betreuers auch künftig nicht zur Geschäfts- oder Einwilligungsunfähigkeit (zum Beispiel für die Zustimmung im medizinischen Kontext). Bei volljährigen Menschen mit Betreuung wird die rechtliche Handlungsfähigkeit weiterhin vermutet. Das ist sehr bedeutsam. Nur wenn die betreute Person nicht über diese rechtliche Handlungsfähigkeit (Einwilligungsunfähigkeit) verfügt, darf der:die Betreuer:in für sie entscheiden. Dies ist aber immer im Einzelfall zu bestimmen. Der:Die Betreuer:in kann hier gerade den betreuten Menschen unterstützen und, soweit erforderlich, vertreten und - unter Berücksichtigung der Wünsche - zu einer Entscheidung verhelfen, die seiner Selbstbestimmung dient.
Unterstützen statt bestimmen
Die zentrale Vorschrift ist der neue § 1821 Bürgerliches Gesetzbuch, BGB, der mit "Pflichten des Betreuers; Wünsche des Betreuten" überschrieben ist. Danach nimmt der:die Betreuer:in alle erforderlichen Tätigkeiten wahr, um die Angelegenheiten der Betreuten rechtlich zu besorgen. Er:Sie unterstützt die Betreuten dabei, ihre rechtlichen Belange selbst zu erledigen, und macht von der Vertretungsmacht nur Gebrauch, wenn nötig. Damit wird klargestellt, dass Betreuung in erster Linie Unterstützung ist und die Vertretungsbefugnis lediglich ein Mittel, das der:die Betreuer:in einsetzen kann, wenn es nicht anders geht.
Der:Die Betreuer:in hat die Angelegenheiten der Betreuten außerdem so zu besorgen, dass diese im Rahmen ihrer Möglichkeiten ihr Leben nach eigenen Wünschen gestalten können. Dazu muss der:die Betreuer:in die Wünsche der Betreuten künftig feststellen und diesen entsprechen sowie den:die Betreute:n bei der Umsetzung der Anliegen rechtlich unterstützen. Eine neu formulierte Ausnahme gilt nur, wenn dies zu einer erheblichen Selbstgefährdung bei fehlender Einsichts- und Steuerungsfähigkeit führt.
Hier zeigt sich das Schutzprinzip der Betreuung. Die frühere Begrenzung durch ein oft missverstandenes oder missinterpretiertes Wohl gibt es künftig nicht mehr, um die Selbstbestimmung zu stärken und den Schutz auf das Erforderliche zu begrenzen. Wichtig ist auch, dass für den Fall, dass ein:e Betreuer:in die Wünsche der Betreuten nicht feststellen oder ihnen nach Abs. 3 nicht entsprechen darf, der mutmaßliche Wille künftig maßgeblich ist.1 Ein:e Betreuer:in darf daher nicht die Entscheidung treffen, die er:sie selbst für richtig hält, sondern eine, die der:die Betreute mutmaßlich treffen würde. Dies ist durch frühere Äußerungen, ethische oder religiöse Überzeugungen und sonstige persönliche Wertvorstellungen zu ermitteln. Nahe Angehörige und sonstige Vertrauenspersonen sollen hier einbezogen werden.
Betreute können rechtlich selbst handeln
Im § 1821 BGB liegt der Kern der Stärkung des Selbstbestimmungsrechts. Das bedeutet, dass Betreute selbst entscheiden und selbst rechtlich handeln können und dabei vom Betreuenden unterstützt werden. Dies wird flankiert durch die Kontakt- und Besprechungspflicht, die künftig nicht mehr auf wichtige Angelegenheiten begrenzt ist. Auch macht der neu gefasste Rehabilitationsgrundsatz des Absatz 6 deutlich, dass der:die Betreuer:in Möglichkeiten in den Blick zu nehmen hat, die Fähigkeit der Betreuten, ihre eigenen Angelegenheiten zu besorgen, wiederherzustellen oder zu verbessern - also ein Leben ohne Betreuung zu ermöglichen.
Diese Grundsätze gelten für die gesamte Betreuung, für alle Aufgabenbereiche, also auch für die Vermögenssorge, die Wahl des Wohnorts, die Bestimmung des Aufenthalts oder des Umgangs, die Unterbringung. Die Grundsätze müssen auch die Betreuungsgerichte für die Wahrnehmung der Aufsicht und in Genehmigungsverfahren berücksichtigen. Die Betreuungsgerichte müssen die betreuten Menschen daher in der Regel anhören.
Mehr Einbezug und Dialog
Die Berichte, die die Betreuer:innen jährlich dem Gericht zur Verfügung stellen, müssen künftig auch die Wünsche und Sichtweisen der betreuten Menschen umfassen. Diese Berichte sind dann auch mit den Betreuten zu besprechen (§ 1863 BGB), damit diese Einblick über ihre Angelegenheiten erhalten und darüber, was der:die Betreuer:in tut. Auch für Verfahren vor Behörden und Gerichten gibt es künftig mehr Selbstbestimmung und Transparenz, denn hier sollen Betreuer:innen und Betreute den Schriftverkehr erhalten. Der:Die Betreute bleibt in diesen Verfahren bis zur Abgabe oder dem Widerruf einer Ausschließlichkeitserklärung prozessfähig (§ 53 ZPO).
Das Reformgesetz stärkt das Selbstbestimmungsrecht der betreuten Menschen. Vieles wird davon abhängen, wie die Betreuer:innen ihre Unterstützung beim Entscheiden und rechtlichen Handeln tatsächlich praktizieren. Hier wird es in Anbetracht der Vielfalt der Menschen und Themen Unterschiede geben (müssen). Das Erlernen und Anwenden von Methoden der
unterstützten Entscheidungsfindung ist hier für alle Akteur:innen der Ausgangspunkt, um das Selbstbestimmungsrecht der Menschen mit Betreuung weiter zu stärken. Der Dialog mit ihnen ist daher besonders wichtig, auch darüber, wie eine gute Unterstützung aus ihrer Perspektive erscheint. Dies gilt für ehrenamtliche und berufliche Betreuer:innen gleichermaßen. Betreute Menschen werden sich daher auf mehr Dialog und Einbezug bei der Besorgung ihrer Angelegenheiten einstellen dürfen.
Anmerkung
1. Das Gesetz unterscheidet zwischen Wunsch und Wille. Wille ist immer der freie Wille, Wunsch hingegen jede Willensäußerung, auch, wenn sie nicht von einem freien Willen getragen ist. Der geäußerte Wunsch einer Person und der mutmaßliche Wille können auseinanderfallen, müssen aber nicht (zum Beispiel wenn ein Betreuter einen Wunsch äußert, der zu einer Schädigung führt, er dies in der Situation gar nicht erkennen kann und gar nicht haben möchte, hätten wir ein solches Auseinanderfallen).
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