Das Ehrenamt als zentraler Pfeiler
Für Betreuungsvereine und ehrenamtliche rechtliche Betreuer:innen bringt die Betreuungsrechtsreform weitreichende Veränderungen mit sich. Diese Neugestaltung bietet große Chancen, das Selbstbestimmungsrecht der Betreuten zu stärken, die Qualität der Betreuertätigkeit zu verbessern und die ehrenamtlichen rechtlichen Betreuer:innen umfassender zu unterstützen und zu begleiten.
Dass rechtliche Betreuungen vorrangig ehrenamtlich geführt werden sollen, ist seit Jahrzehnten Gesetz und in der Gesetzesreform fortgeschrieben worden. Es hat sich bewährt, dass Menschen aus der Mitte der Gesellschaft ehrenamtlich Sorge und Verantwortung für Mitmenschen übernehmen, die ihre rechtlichen Belange nicht (mehr) selbst regeln können. Ehrenamtliche bringen ihr Engagement, ihre persönlichen und beruflichen Erfahrungen sowie viel Herz und Zeit mit, um "ihre" Betreuten zu unterstützen und gegebenenfalls auch rechtlich zu vertreten.
Nicht alle Betreuungen sind aufgrund ihrer Komplexität ehrenamtlich zu führen. In solchen Fällen werden qualifizierte Vereins- und Berufsbetreuer:innen vom Gericht bestellt. Diese Kombination mit hauptamtlichen "Ausfallbürgen" sorgt bis jetzt für eine "Versorgungssicherheit" im Sinne einer staatlichen Daseinsfürsorge. Die neu getroffenen Regelungen, die die ehrenamtlich geführte rechtliche Betreuung betreffen, finden sich größtenteils im neuen Betreuungsorganisationsgesetz (BtOG). Weitergehende Regelungen zum Führen einer Betreuung sind ab kommendem Jahr in den §§ 1814-1881 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu finden.
Nach der Neuregelung soll jede:r ehrenamtliche Fremdbetreuer:in (ehrenamtliche Betreuer:innen ohne familiäre oder persönliche Beziehung oder Bindung zur:zum Betreuten) mit einem anerkannten Betreuungsverein eine Unterstützungsvereinbarung abschließen. Auch jetzt stehen bereits viele ehrenamtliche Betreuer:innen in Kontakt zu einem Betreuungsverein, jedoch besteht dazu keine Verpflichtung. Für die Ausgestaltung der "Beziehung" zwischen Ehrenamtlichen und Betreuungsverein gibt es bisher keine Regelungen. Diese Lücke schließt das neue Betreuungsorganisationsgesetz.
Betreuungsverein und Ehrenamtliche arbeiten Hand in Hand
Diese im § 15 BtOG festgeschriebene Vereinbarung wird das Kernstück der Zusammenarbeit zwischen den ehrenamtlichen rechtlichen Betreuer:innen und den Betreuungsvereinen sein und regelt ein Mindestmaß an Rechten und Pflichten beider Seiten:
◆ Der Betreuungsverein benennt jeweils eine:n feste:n Ansprechpartner:in für die:den Ehrenamtliche:n.
◆ Die:Der Ehrenamtliche verpflichtet sich, an einem Einführungsseminar zur rechtlichen Betreuung teilzunehmen und regelmäßig Fortbildungen und Schulungen des Betreuungsvereins zu besuchen.
◆ Der Betreuungsverein erklärt sich bereit, die Verhinderungsbetreuung zu übernehmen, wenn die:der ehrenamtliche Betreuer:in wegen Urlaub, Krankheit oder Ähnlichem verhindert ist.
Die Betreuungsbehörden werden die Adressdaten zwischen neu bestellten ehrenamtlichen Betreuer:innen und den Betreuungsvereinen übermitteln.
Auch Betreuer:innen mit familiärer oder persönlicher Bindung (oft auch Familienbetreuer:innen genannt) können nach § 22 BtOG freiwillig eine solche Vereinbarung mit einem Betreuungsverein abschließen. Gerade im Bereich der Familienbetreuer:innen hatte die Studie zur Qualität der rechtlichen Betreuung aus dem Jahr 2018 die meisten Defizite festgestellt.
Den Befürchtungen, dass die neuen Regelungen von den Ehrenamtlichen als einengend und eher abschreckend empfunden werden könnten, steht die große Chance gegenüber, ihnen mehr Rückhalt und Unterstützung und somit mehr Sicherheit für ihre Aufgabe zu vermitteln. Die Hürde zur Kontaktaufnahme mit einem Betreuungsverein bei einer betreuungsrechtlichen Unsicherheit oder bei Fragen kann zukünftig viel niedriger sein, da man die Ansprechperson kennt. Auch kann die Verpflichtung des Betreuungsvereins, sich zum Verhinderungsbetreuer von Ehrenamtlichen bestellen zu lassen, die Sorge der ständigen Erreichbarkeit und Zuständigkeit im Urlaub oder bei Krankheit nehmen. Hier sind gute Regelungen im Vorfeld zwischen Ehrenamtlichen und Betreuungsvereinen vonnöten, um Übergaben bei Verhinderungszeiten gut zu gestalten. Ebenso bleibt abzuwarten, wie unkompliziert und schnell Betreuungsvereine vom Gericht bestellt werden. Hier wäre eine direkte Bestellung des Betreuungsvereins zum Verhinderungsbetreuer bei Betreuungsbeginn hilfreich.
Die Neuregelungen rund um die abzuschließende Vereinbarung betreffen zunächst nur die ab 1. Januar 2023 neu bestellten ehrenamtlichen Betreuer:innen. Die Unterstützungsangebote, die mit einer solchen Vereinbarung einhergehen, können auch für bereits aktive ehrenamtliche Betreuer:innen attraktiv sein. Es ist davon auszugehen, dass auch diese Personengruppe die Vereinbarung abschließen wird.
Vereine haben nun Anspruch auf angemessene Finanzierung
In Regionen, in denen es keine Betreuungsvereine gibt oder Betreuungsvereine (zum Beispiel aufgrund von Personalmangel oder fehlender Finanzierung) diese Aufgaben nicht wahrnehmen können, sind die örtlichen Betreuungsbehörden in der Pflicht. Das gilt übrigens auch, wenn nicht genügend Vereins- und selbstständige Berufsbetreuer:innen zur Verfügung stehen. Dann kann das Gericht Behördenbetreuer:innen oder die Behörde selbst bestellen.
Mit der Betreuungsrechtsreform wurde erstmals im § 17 BtOG der Anspruch der Betreuungsvereine auf eine bedarfsgerechte finanzielle Ausstattung mit öffentlichen Mitteln festgeschrieben. Die Finanzierungsausgestaltung obliegt den Bundesländern. Die finanzielle Situation vieler Betreuungsvereine ist aktuell desaströs, obwohl rechtliche Betreuung eine Pflichtaufgabe des Staates ist. Die finanziellen Regelungen in den Bundesländern sind sehr unterschiedlich, ebenso die Beteiligung der Kommunen und Landkreise an den Kosten. Viele Betreuungsvereine müssen deshalb seit Jahren nicht unerhebliche Eigenmittel einsetzen. Die subsidiäre Ausführung einer staatlich übertragenen Aufgabe muss kostendeckend aus öffentlichen Mitteln finanziert werden, was eine kontinuierliche Anpassung an steigende Lohn-, Neben- und Sachkosten einschließt.
Mehr Aufgaben für die Vereine
Der Aufgabenkatalog der Betreuungsvereine ist durch die Gesetzesreform konkretisiert und erweitert worden. Neben der Bereitschaft, Verhinderungsbetreuungen für die begleiteten Ehrenamtlichen zu übernehmen, sind auch intensivere Schulung, Beratung und Begleitung der Ehrenamtlichen im Rahmen einer individuellen Unterstützungsvereinbarung gefordert. Ein umfassenderes Informations- und Beratungsangebot für alle zu den Themen Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung - und neu - Patientenverfügung ist nur mit einer deutlich gestärkten und erweiterten Personaldecke von Fachkräften zu stemmen.
Fakt ist, dass die von der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland geforderte Betreuungsrechtsreform mit dem Ziel von mehr Selbstbestimmung für die Betroffenen nur dann gelingen kann, wenn die Länder und Kommunen eine ausreichende und bedarfsdeckende Finanzierung der Betreuungsvereine gewährleisten. Dies ist vielerorts auch zwei Monate vor der geforderten Umsetzung noch nicht abzusehen. Vermutlich werden erst Klagen notwendig sein, um den Rechtsanspruch zu konkretisieren und flächendeckend durchzusetzen. Die Betreuungsvereine dagegen sind bereit, die von ihnen geforderten neuen Aufgaben ab dem 1. Januar 2023 anzugehen.
Ob sie dies allerdings bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgesetzes durchhalten, wie das in den Neunzigerjahren hinsichtlich der Betreuervergütung notwendig und erfolgreich war, ist mehr als fraglich.
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