Männlich, ledig, jung, geflüchtet
Alleinstehende geflüchtete junge Männer werden in vielerlei Hinsicht stark sozial benachteiligt. So sind sie nicht nur als "Fremde" in Deutschland von Diskriminierung betroffen, sondern bilden auch innerhalb der Gruppe der Geflüchteten eine marginalisierte Einheit. Während für geflüchtete Familien und Frauen in den letzten Jahren neben Integrationsmanagement und Flüchtlingssozialarbeit zahlreiche zusätzliche Angebote und Hilfestrukturen entwickelt und etabliert wurden, fehlt der Gruppe der alleinstehenden Männer offenbar die Lobby.
Weil diese Gruppe als besondere "Problemgruppe" wahrgenommen wird, wurde der Krisendienst für auffällige Flüchtlinge (KaF) im Oktober 2019 vom Landkreis Lörrach als zweijähriges Projekt initiiert und finanziert. Der Auftrag des Landkreises an den Caritasverband des Landkreises Lörrach bestand also zum einen darin, Städte und Gemeinden in Bezug auf "auffällige" Flüchtlinge zu unterstützen und zum anderen, ein Konzept zu entwickeln. Dafür wurde eine Koordinationsstelle mit zwei Mitarbeitenden mit einem Stellenumfang von jeweils 50 Prozent eingerichtet, die aber aufgrund von Haushaltsrestriktionen nicht fortgesetzt wurde (Projektende war der 30. September 2021).
Seit einigen Jahren werden dem Landkreis Lörrach überwiegend junge Männer zugewiesen, die sich teilweise mehrere Jahre auf der Flucht befanden. Aufgrund traumatischer Fluchterfahrungen im jugendlichen Alter und des Verlustes von wichtigen familiären Beziehungen im Herkunftsland weisen die Geflüchteten oftmals emotionale Defizite auf. Vor allem, weil viele während der Flucht gelernt haben, zu überleben und sich alleine "durchzuschlagen", ist der Zugang zur Zielgruppe häufig eine Herausforderung für die Professionellen der sozialen Arbeit. Denn aufgrund von Misstrauen ist der Aufbau einer Vertrauensbasis oft aufwendig und zeitintensiv. Sehr viele der Klienten sind psychisch und emotional stark belastet und laufen Gefahr, eine psychische oder eine Suchterkrankung zu entwickeln. Mit großen Hoffnungen auf ein besseres Leben nach Europa gekommen, befinden sich viele spätestens mit der Ablehnung im Asylverfahren in einer Art biografischer Abwärtsspirale, weil nach und nach sämtliche Möglichkeiten zu gesellschaftlicher Integration und Teilhabe verschlossen werden. Mit dem Duldungsstatus und infolge des weitreichenden Ausschlusses aus der Sprachförderung, gepaart mit Arbeitsverboten und der Kürzung der Asylbewerberleistungen auf ein Existenzminimum (wegen fehlender Identitätspapiere) geht nach und nach jegliche Tagesstruktur verloren.
Keine Perspektive, Stress und Diskriminierungen
Durch diese Kombination restriktiver Regelungen fallen die Betroffenen weitestgehend aus sozialen Strukturen heraus. In dieser psychisch belastenden Situation ohne erkennbare Bleibe- und Lebensperspektive erweisen sich zudem traumatisierende Erfahrungen aus der jahrelangen Fluchtbiografie als zusätzliche Stressoren. Hinzu kommen noch zahlreiche Diskriminierungserfahrungen, die während der Flucht, aber auch in Deutschland immer wieder gemacht werden, sowie eine Situation dauerhafter Unsicherheit wegen der ständigen Angst vor Abschiebung.
In der Folge kommt es einerseits häufig zu sozialer Isolierung und Vereinsamung, andererseits auch zu sozial problematischen und selbstgefährdenden Verhaltensweisen wie starker verbaler Aggressivität, körperlicher Gewalt, starken psychischen Auffälligkeiten, Suchtproblematiken oder kriminellem Verhalten. Viele der jungen Männer "behandeln" die teilweise extremen psychischen Belastungen durch exzessiven Alkohol- oder Drogenkonsum, was zu einem Teufelskreis aus Vereinsamung, Perspektivlosigkeit und Sucht führt.
Auf Basis einer Datenerhebung der im Landkreis Lörrach auffälligen Männer wurden Handlungsoptionen und Vorgehensweisen für die soziale Arbeit abgeleitet. So wurden unter anderem in Kooperation mit dem psychosozialen Zentrum des Caritasverbandes Lörrach ("Traumanetzwerk") spezielle Angebote, auch zur Prävention, entwickelt. An der Schnittstelle zwischen sozialer Arbeit und Psychotherapie wurde etwa ein auf die Zielgruppe zugeschnittenes Gruppenangebot zum Thema Emotionskontrolle etabliert. Leider mussten die Gruppen aufgrund der Corona-Vorschriften immer wieder unterbrochen werden.
Krisendienst vermittelt zwischen Kommune und Klient
Die Aufgabe des Krisendienstes war es zudem, die Integrationsmanager(innen) und Mitarbeitenden der Gemeinden und Städte in komplexen Einzelfällen zu unterstützen. Die Mitarbeitenden vom KaF haben bei insgesamt 25 Einzelfällen mitgewirkt. Die Dauer der Begleitung war hier sehr unterschiedlich - zwischen ein paar Monaten bis hin zu anderthalb Jahren. Die Unterstützung reichte von Telefonaten/Abklärungen, Planen von und Teilnehmen an runden Tischen bis hin zu Vermitteln bei Unstimmigkeiten und Schwierigkeiten zwischen Gemeinde/Integrationsmanagement und Klienten. Es galt, zusammen mit den Integrationsmanager(inne)n/Sozialarbeiter(inne)n sowie Mitarbeitenden der Gemeinden und Städte und den Geflüchteten eine kommunikative Ebene herzustellen, um praktikable Lösungen zu finden.
Im Laufe des Projektes stellte sich immer mehr heraus, dass ein direkter intensiver Kontakt zu den Flüchtlingen und der Aufbau einer sozialen Beziehung unabdingbar ist. Da die vom Landkreis Lörrach finanzierte Stelle zur Krisenintervention als Koordinationsstelle ausgerichtet war, wurden über einen erfolgreichen Drittmittelantrag zwei zusätzliche 50-Prozent-Stellen geschaffen, um aufsuchende Arbeit zu implementieren. Damit entstand die Möglichkeit, dass zwei Fachkräfte der Koordinationsstelle die Geflüchteten in ihrer Unterkunft oder Wohnung besuchen konnten, um - mit einem kombinierten Ansatz von aufsuchender sozialer Arbeit (Streetwork) und Lebensweltorientierung - psychosoziale Gespräche zu führen und so nach und nach eine tragfähige Beziehung zu den Flüchtlingen aufzubauen. Durch die intensiven Gespräche wurden zum einen deren persönliche Sichtweisen und Lebenssituationen wahrgenommen und verstanden, zum anderen konnten ihre Unterstützungsbedarfe abgeklärt werden.
Die Männer öffnen sich, wenn sie menschliches Interesse spüren
Bereits das Interesse an den Menschen und die Kontinuität der Besuche bewirkten, dass die Klienten sich öffneten und bereit waren, über sich und ihre Probleme zu sprechen und sich zu reflektieren. Durch die Beziehungsarbeit konnten die Sozialarbeiter(innen) der KaF positiv auf sie einwirken, so dass die jungen Männer teils an andere Fachstellen wie etwa an das "Traumanetzwerk" oder Suchtberatungsstellen verwiesen werden konnten. Dabei erwies sich eine vernetzte Arbeitsweise als unabdingbar. Nur, wenn ein permanenter Austausch der involvierten Fachkräfte stattfindet, können die belasteten Klienten umfassend unterstützt werden.
Letztendlich war die Arbeit der Koordinationsstelle unter verschiedenen Gesichtspunkten sehr erfolgreich. Über die konkrete Unterstützung von unterschiedlichen professionellen Akteur(inn)en und den Geflüchteten hinaus konnte durch die intensive Arbeit ein fachliches Wissen erarbeitet werden, auf dessen Basis sozialarbeiterische Arbeitskonzepte für die Zielgruppe entwickelt wurden.
Um sinnvoll weiterzuarbeiten, sind jedoch in den nächsten Jahren mehr finanzielle Mittel notwendig, um eine zunehmende Prekarisierung von alleinstehenden Männern mit Duldung zu verhindern. Darüber hinaus bedarf es einer politischen Diskussion über die strukturellen Lebensbedingungen von Menschen mit
Duldung. Letztendlich sind mittel- und langfristige Lebensperspektiven nur über Zugänge zu Arbeit, Sprachförderung sowie den Ausbau spezifischer sozialarbeiterischer Angebote möglich.
Anmerkungen
1. Yvonne Jatta, Sozialarbeiterin beim Caritasverband für Stuttgart, hat die Erfahrungen des Mädchens aus einer Gemeinschaftsunterkunft während des ersten Lockdowns aufgezeichnet. Kontakt: E-Mail: y.jatta@caritas-stuttgart.de
2. Name von der Redaktion geändert.
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