Arbeitsmarktintegration Geflüchteter als gesellschaftliche Verantwortung
1Die Praxis der Koordinierungsstelle für Flüchtlingsangelegenheiten der Stadt Paderborn zeigt, dass die kleineren und mittleren Unternehmen (KMU) im Regionalraum Ostwestfalen-Lippe sehr aktiv bei der Arbeitsmarktintegration Geflüchteter sind.1 Die Weichen für eine realistische Arbeitsmarktintegration wurden 2016 durch die gesetzlichen Veränderungen im Arbeitsmarktzugang durch das sogenannte "neue Integrationsgesetz"2 geschaffen. Dieses hat die Zugangschancen zum Arbeitsmarkt formal deutlich verbessert. Netzwerke und Kooperationsbündnisse zwischen Kommunen, Kammern, Arbeitsverwaltungsbehörden, Bildungsträgern, Wohlfahrt und Engagierten/ehrenamtlich Tätigen sind eine Grundvoraussetzung dafür, dass die Integration Geflüchteter auf dem Arbeitsmarkt gelingen kann. Der Erwerb der (berufsbezogenen) Sprachkompetenz wird als eine der größten Herausforderungen beschrieben.3
Der Studie zur "Arbeitsmarktinklusion Geflüchteter in kleinen und mittelständischen Familienunternehmen als Corporate Social Responsibility"4 ist zu entnehmen, dass es bei erfolgsorientiertem Projektmanagement wichtig ist, die Perspektive der Unternehmen zu berücksichtigen, die schlussendlich die Geflüchteten beschäftigen. Unternehmen müssen in das Helfernetzwerk als Akteure eingebunden werden, um deren Engagement im Hilfeprozess zu sichern.
Aus der qualitativen Studie (elf teilnehmende Beobachtungen, 22 qualitative leitfadengestützte Interviews und Dokumentenanalyse) geht weiter hervor, dass familienorientierte KMU und Familienunternehmen bei der Arbeitsmarktintegration (AI) wesentlich erfolgreicher sind als beispielsweise KMU, die nicht in Familienhand sind. Hier ist festzuhalten, dass neben dem Normen- und Werteportfolio dieser Unternehmensform (Langlebigkeit vor schneller Gewinnerwirtschaftung, Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung, Entwicklung eines langfristigen Zukunftsbildes usw.) der Business-Case auch bei dieser Unternehmensform ausschlaggebend ist. (Der Business-Case bewertet Nutzen, Kosten und Risiken eines neuen Projekts und betrachtet auch die Zeitplanung). Normative und strategische Werte schließen sich im Rahmen von gesellschaftlicher Verantwortungsübernahme, der Corporate Social Responsibility (CSR), absolut nicht aus. So berichtet die Geschäftsführung eines Tischlerunternehmens in Familienhand beispielsweise:
"Für Unternehmen ist immer Wirtschaftlichkeit wichtig […] Also wie gesagt, an erster Stelle sind wir […] ein Wirtschaftsunternehmen. Wir bemühen uns sehr, für faire Arbeitsbedingungen zu sorgen, für eine leistungsgerechte Entlohnung."
"Wir sind kein Wohlstandsverein. Ich kann nicht aus Gutmütigkeit heraus jemanden einstellen […] und arbeiten lassen, wenn ich weiß, die Leistung wird nur zu 50 Prozent erbracht und mehr kann ich nicht erwarten."5
Die Erkenntnis, dass sich viele familiengeführte Unternehmen in Ostwestfalen-Lippe im Netzwerk Arbeitsmarktintegration beteiligen, regte dazu an, nach dem "Warum" zu fragen, bevor konkrete Unterstützungsprojekte konzipiert wurden.
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass nicht (allein) die Werte und Normen entscheidend sind, ob ein Unternehmen Geflüchtete einstellt oder nicht, sondern der Business-Case. Die Ressource Arbeitskraft ist relevant. Tauchen Probleme im Arbeitsverhältnis auf, so haben familiennahe KMU jedoch mehr "Möglichkeitsräume"6 (siehe Abbildung: familienunternehmensspezifische Kategorien, mittlere Säule). Dies begründet sich darin, dass sie auf flache Hierarchien, eine Familienhistorie mit Erfahrungswissen und ein gutes familiäres, regionales und unternehmerisches Netzwerk zurückgreifen können.
Wegbereiter unterstützen Firmen
Aus den Erkenntnissen der Studie wurde ein Projekt entwickelt, das gezielt Unterstützung für Unternehmen bietet, die die "Möglichkeitsräume" zur Unterstützung innerbetrieblich nicht generieren können. Es wurde ein funktionales Äquivalent zu den "Kümmerern" aus den Reihen der familiennahen Unternehmen entwickelt: Ehrenamtliche Berufspaten werden von dem Projekt als Wegbereiter an Unternehmen vermittelt, die sich an das Projekt wenden. Das Projekt sieht sich als "Feuerlöscher", zum Beispiel bei drohenden Ausbildungsabbrüchen. Über 80 Unternehmen haben sich seit dem Jahr 2019 an das Projekt gewandt. Die Unterstützungsbedarfe sind sehr individuell und reichen von Nachhilfe über die Begleitung zu Behörden bis hin zu Hilfestellung bei individuellen privaten Belastungssituationen, die die Arbeitnehmer(innen) im Berufsalltag einschränken. Es sind 32 Patenschaften installiert worden.
Bedarfsorientiertes Projektmanagement in der Pandemie
Aus dem Projekt "Wegbereiter" ist festzuhalten: Seit dem Ausbruch der Coronapandemie haben sich die Unterstützungsanfragen nicht reduziert (32 Anfragen im Zeitraum April 2020 bis Juni 2021). Sie sind im Vergleich zu den vorpandemischen Zeiten konstant geblieben. Auch sind Beschäftigungsabbrüche (Auslaufen des Vertrages ohne Verlängerung oder betriebsbedingte Kündigungen) im Projekt nicht verstärkt aufgetreten. Die Probleme, die mit den Unterstützungsanfragen verknüpft waren, haben sich inhaltlich auch nicht verändert, jedoch in ihrer Qualität verschärft. Insbesondere ist hier der Bereich des berufsbezogenen Spracherwerbs zu nennen. So hat sich der Großteil der familiengeführten KMU an das Projekt gewandt, weil pandemiebedingt Sprach- und berufsbezogene Kurse ausgefallen sind und es daher nicht die notwendige Unterstützung gab.
Beratung und Sprachpatenschaften digital
Es wurden digitale Sprachpatenschaften eingerichtet. Diese betreuen Geflüchtete im Einzelsetting digital, zum Beispiel per Videokonferenz. Der Fokus liegt auf berufsbezogener Nachhilfe und berufsbezogenem Vokabeltraining.
Durch die Schließung der Verwaltungen und Behörden für Bürger (ohne Termin) wurde der "Behördendschungel" für die Menschen mit Fluchthintergrund zunehmend zum Problem. Hier konnte ein Ehrenamtlicher gewonnen werden, der zuvor in der Begleitung zu Behörden sehr aktiv war. Via Zoom, Webex und weitere Videokonferenzsysteme wurden die Probleme mit den Geflüchteten besprochen. Der ehrenamtliche Helfer konnte den jeweiligen Sachverhalt telefonisch oder per E-Mail klären. An der Tagesordnung waren Kontakte mit dem Bafög-Amt, der Familienkasse und dem Jobcenter. Es fanden seit dem Frühjahr 2021 über 90 Kontakte statt.
Einzelberatung im Quartiersbüro
Nicht alle Probleme und Sachverhalte können digital behandelt werden. So beraten Berufspaten auch in Quartiersbüros im Eins-zu-eins-Setting unter Einhaltung des Hygienekonzepts.
Als Vorteil der digitalen Hilfe wird immer wieder die Zeitersparnis genannt, weil Anfahrtswege entfallen. Festzuhalten ist unabhängig von der Coronapandemie: Die Einzelfallhilfe durch einen "Kümmerer" wird von den Beteiligten als hochwirksames Instrument angesehen bei der Arbeitsmarktinklusion Geflüchteter im Zusammenspiel mit Familienunternehmen.
Ohne Eins-zu-eins-Hilfestellung geht es nicht
Aus der Studie wird deutlich: Die Kernkategorie "Möglichkeitsräume" ergibt sich aus flachen Hierarchien, daraus resultierenden schnellen Entscheidungen in Kombination mit individueller, bedarfsorientierter Begleitung durch einen Paten beziehungsweise "Kümmerer". "Ohne Engagierte, die Eins-zu-eins-Hilfestellungen geben, würden die meisten Arbeitsverhältnisse schnell scheitern", so ein Angestellter eines Jobcenters. "Nur durch Patenschaftsmodelle und funktionierende Netzwerkkommunikation können wir Geflüchtete in der Regel dauerhaft in Arbeit vermitteln. Aus diesem Grund sind Brückenprojekte neben Regelförderangeboten der Jobcenter sehr willkommen!"
Anmerkungen
1. Vgl. Ergebnisse der teilnehmenden Beobachtung in: Kopp, V.: "Im ersten Moment steckt noch nicht einmal der soziale Gedanke dahinter …". Arbeitsmarktintegration Geflüchteter in kleinen und mittelständischen Familienunternehmen als Corporate Social Responsibility. Hamburg, 2020.
Münich, G.: Integration ist nicht allein vom Arbeitsplatz abhängig. In: neue caritas Heft 14/2020, S. 9 ff. Online verfügbar unter: www.caritas.de/neue-caritas/heftarchiv/jahrgang2020/artikel/integration-ist-nicht-allein-vom-arbeitsplatz-abhaengig (Stand: 25.11.2021).
2. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF): Ablauf des deutschen Asylverfahrens. Ein Überblick über die einzelnen Verfahrensschritte und rechtlichen Grundlagen. Nürnberg, 2016 a.
3. Vgl. Münich, G.: a. a. O.
4. Siehe Kopp, a. a. O.
5. Vgl. Kopp, a. a. O.: S. 141 f.
6. Vgl. Kopp, a. a. O: "Kernkategorie".
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