Zum Wohle von Pflegekindern und deren Familien
Es ist geschafft! Das neue Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) ist nach großen Anstrengungen und Differenzen im April vom Bundestag verabschiedet worden und hat im Mai die Zustimmung des Bundesrates erhalten. Damit tritt das Gesetz in Kraft, vorbehaltlich der Regelungen, für die ein mehrjähriger Stufenplan vorgesehen ist. Unstimmigkeiten zu einzelnen Punkten zwischen den Ländervertretungen im Bundesrat und der Bundesregierung hatten den Zeitplan in den letzten Wochen verzögert. Das wurde innerhalb der Kinder- und Jugendhilfe mit einiger Sorge beobachtet. Es veranlasste Akteure und Akteurinnen dazu, sich mit offenen Briefen und in vielen Hintergrundgesprächen auf allen politischen Ebenen bei den Verantwortlichen dafür einzusetzen, dass das Gesetzesverfahren trotz mancher Kritik noch in dieser Legislaturperiode zum Abschluss gebracht wird. Alles andere wäre eine Gefährdung des Gesetzesvorhabens und damit (erneut) eine vertane Chance für die Weiterentwicklung hin zu einer deutlich reformierten und inklusiven Kinder- und Jugendhilfe.
Die nun verabschiedete Reform des KJSG kommt Kindern und Jugendlichen, die in Pflegefamilien leben, erheblich zugute. Eines der Reformanliegen des neuen KJSG ist es, junge Menschen, die außerhalb ihrer Familien in Pflegeverhältnissen (oder Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe) leben, zu stärken. Für eine gute Entwicklung des Kindes beziehungsweise des Jugendlichen hält der Gesetzgeber "die Herstellung eines möglichst hohen Maßes an Stabilität und Kontinuität hinsichtlich [des] Lebensmittelpunktes und [der] gewachsenen Bindungen und Beziehungen zu Pflege- und Erziehungspersonen, aber natürlich auch zu Eltern und Geschwistern" für zentral.1 Mit Blick auf die Unterbringung von jungen Menschen außerhalb ihrer Familie ist es erklärtes Ziel des Gesetzes, "die Bedürfnisse und Bedarfe des Kindes oder Jugendlichen bei Hilfen außerhalb der eigenen Familie […] stärker in den Mittelpunkt des Beziehungsgefüges von Kind, Eltern, Pflegeeltern beziehungsweise Erziehungsperson" zu stellen. Damit unter "dieser Prämisse zum Wohl des Kindes [alle Beteiligten] ihren Beitrag leisten und auch zusammenwirken können" hält der Gesetzgeber es für notwendig, bessere Unterstützung und Begleitung für die unterschiedlichen Zielgruppen sicherzustellen, auszubauen, beziehungsweise einzuführen.
Das Recht, sich zu beschweren
Dafür setzt der Gesetzgeber an verschiedenen Stellen des neuen Kinder- und Jugendstärkungsgesetz an, indem er zum einen die Rechte, Interessenberücksichtigung sowie Beschwerdemöglichkeiten von jungen Menschen in Pflegefamilien (und Einrichtungen) stärkt. Zum anderen ist die bessere und passgenauere Einbeziehung der Eltern in den Hilfeprozess vorgesehen. Auch Pflegeeltern werden besser unterstützt und rechtlich gestärkt. Schließlich sieht das Gesetz einen Anspruch auf Beratung für die Fachkräfte der Pflegekinderhilfe vor und führt obligatorisch Schutzkonzepte in Pflegeverhältnissen ein.
Als zentrale Fachstelle für die Adoptions- und Pflegekinderdienste in katholischer Trägerschaft begrüßt der Sozialdienst katholischer Frauen Gesamtverein (SkF) die Neuregelungen in hohem Maße. Mit ihnen wurden viele Forderungen aus der Fachpraxis aufgegriffen, rechtlich unterlegt beziehungsweise klarer geregelt. Dies gilt insbesondere für die stärkere Berücksichtigung der Bedeutung von Geschwisterbeziehungen durch gemeinsame Unterbringung beziehungsweise Aufrechterhaltung von Kontakten (§ 36 Abs. 2 S. 3 SGB VIII-E)2 , den Schutz und die Beschwerdemöglichkeiten von Kindern in Pflegefamilien (§ 37b SGB VIII-E), die Pflicht auf eine für junge Menschen (und ihre Eltern) wahrnehmbare Beratung und Aufklärung während des gesamten Hilfeprozesses (§ 36 Abs. 1 S. 2 SGB VIII-E), die differenzierte Ausformulierung für eine jeweils am Kindeswohl orientierte stärkere Einbeziehung, Beratung und Unterstützung der (auch nichtsorgeberechtigten) Herkunftseltern im Hilfeprozess (§ 36 Abs. 5 SGB VIII-E; § 37 Abs. 1 SGB VIII-E) sowie schließlich die Stärkung der Pflegepersonen durch Recht auf Beratung und Unterstützung (§ 37 a SGB VIII-E). Aufgrund der Erfahrungen aus der Fachpraxis seiner Adoptions- und Pflegekinderdienste begrüßt der SkF insbesondere, dass mit dem § 37c SBG VIII-E ergänzende Bestimmungen für die Hilfeplanung zusammengeführt werden, welche die besonders intensiven Anforderungen bei Hilfen außerhalb der Familie gegenüber Kinder und Eltern abbilden und insbesondere das Recht auf prozesshafte Perspektivklärung verdeutlichen, wozu weiterhin auch die Prüfung auf Annahme des Kindes gehört. Dies schließt an das seit dem 1. April 2021 in Kraft getretene neue Adoptionshilfegesetz an, das unter anderem aufgrund einschlägiger Forschungsergebnisse ebenfalls deutlich ein Kooperationsgebot zwischen den verschiedenen sozialen Diensten formuliert.3 Klar muss sein, dass diese Prüfoption nicht zu einer Verpflichtung zur Adoption ausgelegt wird und weder Eltern noch Pflegeeltern unter Druck gesetzt werden.
Ein ungemein wichtiges Gesetzesziel ist auch, die Kostenheranziehung von jungen Menschen zu reduzieren, die Hilfen außerhalb der Familie erhalten. Zukünftig sollen junge Menschen, die in Pflegefamilien oder Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe leben, "nur noch" mit 25 Prozent ihres (in der Regel ohnehin nicht sehr üppigen) Einkommens statt der bisherigen 75 Prozent an den Kosten beteiligt werden (§ 94 Abs. 6 S. 2 SGB VIII-E). Zwar bleibt diese Neuregelung hinter der Forderung eines breiten Bündnisses in der Kinder- und Jugendhilfe zurück, das sich fachpolitisch für eine völlige Streichung der Kostenbeteiligung eingesetzt hatte. Auch ist die zugrunde gelegte Berechnungsart kritisch zu sehen. Doch ist dies in summa immerhin ein Schritt hin zu einer Verbesserung der Situation für junge Menschen in Pflegefamilien oder stationären Wohngruppen zu sehen, denen in vielen Lebensbereichen häufig keine gleichen Verwirklichungschancen auf sozioökonomische, soziale und kulturelle Teilhabe zur Verfügung stehen beziehungsweise gestellt werden.
Das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz beinhaltet nach langem politischen Ringen die Möglichkeit der Anordnung auf "dauerhaften Verbleib" am Lebensort außerhalb der Herkunftsfamilie durch das Familiengericht. Der SkF bewertet die sorgsam ausformulierte und das Kindeswohl sichernde Ergänzung positiv. Insbesondere das nun vorgesehene und von der Fachpraxis lange befürwortete Antragsrecht der Pflegeperson hält der SkF in diesem Kontext für wichtig (§ 1632 Abs. 4 BGB-E; § 1696 Abs. 3 BGB-E)
Den Lebensort des Kindes erhalten
Damit können Pflegeeltern nun einen Antrag auf "dauerhaften" Verbleib des Kindes in der Pflegefamilie beim Familiengericht stellen. Das Familiengericht kann dies auf Antrag anordnen, wenn sich innerhalb eines mit Blick auf das Kind vertretbaren Zeitraums trotz Beratungs- und Unterstützungsmaßnahmen die Erziehungsverhältnisse bei den Eltern nicht nachhaltig verbessert haben und dies mit hoher Wahrscheinlichkeit auch zukünftig nicht zu erwarten ist (§ 1632-BGB-E). Auch muss die Anordnung zum Wohl des Kindes erforderlich sein. Zwar ist eine Verbleibensanordnung in der Praxis nur in wenigen Fällen erforderlich, in diesen besonderen Fällen aber besonders elementar, um diesen oft bereits sehr belasteten Kindern den Verlust ihres (neuen) meist langjährigen Zuhauses in der Pflegefamilie zu ersparen und so Schaden abzuwenden. Bislang konnte dieser Lebensmittelpunkt aber immer wieder infrage gestellt werden, was zu großen Unsicherheiten für die betroffenen Kinder führte. Das neue Antragsrecht verbessert die rechtliche Situation der Pflegepersonen, die zuvor im Verfahren nur anregungsberechtigt waren, um sich für das Wohl des Kindes einzusetzen. In den wenigen, aber besonders dramatischen Fällen, in denen Eltern nicht das Bedürfnis ihrer Kinder nach Erhalt ihres Lebensortes prioritär im Blick haben, hätten diese jungen Menschen andernfalls weiterhin niemanden mehr, der ihre Wünsche und Rechte auch gegen die Interessen der Eltern zur Sprache bringt. Da in Fällen der beantragten Herausgabe nach § 1632 BGB die Eltern das Sorgerecht haben, gibt es nämlich auch keinen Vormund, der die Rechte des Kindes vor Gericht geltend machen kann.
Im Grundgesetz verbürgte Rechte bleiben hinreichend gesichert
Die Entscheidung des Familiengerichts ist aber auf Antrag der Eltern aufzuheben, wenn die Rückführung des Kindes von der Pflegefamilie in die Herkunftsfamilie das Kindeswohl nicht gefährdet (§ 1696 Abs. 3 BGB-E). Auf diese Weise hat der Gesetzgeber - in der Gesamtschau - differenziert und ausgewogen formuliert, dass auch die im Grundgesetz verbürgten Rechte der Eltern sowie die Beziehung des Kindes beziehungsweise des Jugendlichen zu seinen Herkunftseltern weiterhin hinreichend gesichert bleiben. Das neue Kinder- und Jugendstärkungsgesetz kommt - trotz mancher Kritik und Umsetzungsfragen für die Fachpraxis - der Weiterentwicklung und Neujustierung (allein) der Pflegekinderhilfe schon zugute. Insofern gilt es jetzt, die Umsetzung fachlich gut zu begleiten und sich insbesondere für eine inklusive Ausgestaltung mit einzusetzen.
Anmerkungen
1. Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (Kinder- und Jugendstärkungsgesetz - KJSG) Gesetzentwurf, Drucksache 19/26107, S. 2.
2. Hier und folgende: KJSG, Gesetzentwurf, Drucksache 19/26107.
3. § 2 Abs. 5 AdVermiG, BGBl I Nr. 7 S. 225-248; Gesetzesbegründung Adoptionshilfe-Gesetz, Drucksache 19/16718, S. 28; Drucksache; Empfehlungen des Expertise- und Forschungszentrums Adoption (EFZA) zur Weiterentwicklung der Adoption in Deutschland, S. 80. Abrufbar unter www.dji.de/veroeffentlichungen/literatursuche/detailansicht/literatur/25281-empfehlungen-des-expertise-und-forschungs-zentrums-adoption-zur-weiterentwicklung-des-deutsch.html
Aufholprogramm für Schüler
Mehr Beteiligung – besserer Kinderschutz
Mehr Teilhabe als neuer Prüfstein
Unternehmenspolitische Interessenvertretung durch neues Austauschforum gestärkt
Hinterlassen Sie einen Kommentar zum Thema
Danke für Ihren Kommentar!
Ups...
Ein Fehler ist aufgetreten. Bitte laden Sie die Seite erneut und wiederholen Sie den Vorgang.
{{Reply.Name}} antwortet
{{Reply.Text}}