Manch eine Videoberatung wird zu einem kleinen Hausbesuch
Um die Zugänge zur Familienberatung zu verbessern und die Beratung an die Lebenswelt der Ratsuchenden anzupassen, hat die Caritas Münster schon 2019 begonnen, nach einer Messenger-Alternative zu Whatsapp zu suchen.1 Damals konnte man nicht erahnen, wie beratungsrelevant die Einführung des Messengers "Wire" ab März 2020 sein würde. Auch wenn alle von Anfang an überzeugt waren, dass die Nutzung eines Messengers für die Beratenden und die Ratsuchenden Sinn macht, sollte die Messenger-Einführung mit ausreichend Zeit verbunden sein. Geplant war, dass ein Team von "Early Adopters" (frühzeitigen Anwendenden) über einen Zeitraum von sechs bis zwölf Monaten Erfahrungen mit dem Messenger sammelt. Danach sollte die Akzeptanz der Ratsuchenden sowie der Kolleg(inn)en und die generelle Praxistauglichkeit reflektiert und anschließend über eine dauerhafte Nutzung in der Familienberatung entschieden werden.
Hatte zu Beginn noch jede der vier Beratungsstellen ein Tablet, wurde schnell deutlich, dass die "Early Adopters" jeweils ein eigenes Tablet für die Beratungsformate Messenger- und Online-Beratung benötigen.
Die "Wire"-Accounts wurden einheitlich festgelegt: nachname_ caritas_ms. Die Account-Namen stehen inzwischen auf den Visiten[1]karten und alle Mitarbeitenden sind mit Bild und "Wire-Kennung" auf der Internetseite zu finden. Nach ersten sehr positiven Erfahrungen mit dem Messenger wurden, früher als geplant, im Februar 2020 alle 15 Berater(innen) mit einem eigenen Tablet ausgestattet und die Beratung über "Wire" in der gesamten Familienberatung eingeführt. Keine drei Wochen später wurde der erste Lockdown verkündet. Die Familienberater(innen) der Caritas Münster wechselten innerhalb weniger Stunden komplett ins "Homeoffice". Alle bestehenden Beratungstermine wurden ohne große zeitliche Unterbrechung über Telefon, Online-Beratung, Video und Chat geführt.
Im ersten Lockdown gab es einige Familien, welche die Möglichkeit der Videoberatung nicht wahrnehmen, sondern lieber die Wochen im Lockdown bis zu einer möglichen Präsenzberatung abwarten wollten. Es gab aber auch viele Familien, die gerade den Lockdown und die damit verbundene Distanz - manchmal über Länder hinweg - genutzt haben, um zum Beispiel die nächsten Umgangskontakte und Begegnungen in der Beratung vorab zu besprechen.
Gute Erfahrung mit kooperierenden Schulen
Gute Erfahrungen konnten auch mit den kooperierenden Schulen gesammelt werden. Wenn seitens der Schule Eltern - nicht nur in der Coronakrise - der Vorschlag unterbreitet wird, sich bei der Caritas beraten zu lassen, kommen viele letztendlich nicht bei der Caritas an. Seit der Einführung von "Wire" kann den Eltern und Jugendlichen der Vorschlag gemacht werden, den ersten Kontakt gemeinsam mit einer vertrauten Person aus der Schule per Video über den Messenger zu führen. Dies hat jedes Mal das Eis gebrochen. Zumal die Kolleg(inn)en aus der Schule auch beim Installieren des Messengers auf den Geräten der Ratsuchenden behilflich sein konnten. Als im Sommer wieder Face-to-Face-Kontakte angeboten werden konnten, haben die Ratsuchenden beide Beratungsformen plus Telefon im Wechsel genutzt. Im zweiten Lockdown hat sich die Akzeptanz des Messenger-An[1]gebots noch vergrößert. Da sich die Situation nicht mehr aussitzen ließ, sind die Beratungsanfragen so hoch wie vor der Pandemie, und die Videochat- oder Telefonberatung wird nicht infrage gestellt. Beispielsweise gab es in den Monaten November und Dezember 45 Prozent Videoberatungen. Ratsuchende mit hohen Schwellenängsten oder anderen Angstthematiken melden zurück, dass sie dankbar sind für diese Beratungsmöglichkeit, da die persönliche Beratung oder die telefonische Kontaktaufnahme sie abgeschreckt und eine Beratung vereitelt hätte.
So manche Videoberatung wird jetzt zu einem kleinen Hausbesuch. Zu einer Jugendlichen, die in ihrem Bett sitzt und ihr Zimmer zeigt, hat man einen anderen persönlichen Bezug. Die Berater(innen) bekommen ein Stück Alltag zu sehen, wenn die Kinder in der Elternberatung kurz Hallo sagen wollen oder bei Absprachen zwischen ihnen zugegen sind.
Die Beraterin ist immer dabei
Lag zu Beginn die Vermutung nahe, dass mit dem Messenger eher die bereits angemeldeten Ratsuchenden erreicht würden, hat sich nach und nach herausgestellt, dass immer öfter Erstanfragen über den Messenger gestellt werden. Ratsuchende installieren sich "Wire", stellen eine Kontaktanfrage und schreiben eine erste Nachricht. Gleichzeitig gibt es die Rückmeldung, was für ein gutes Gefühl es sei, die Berater(innen) über die App in der "Hosentasche" immer dabei zu haben. Ratsuchende, deren Beratung bereits länger beendet ist, melden sich via Messenger und bitten um ein oder zwei neue (Video-)Beratungen.
Aktuell sind alle technischen Fragen geklärt und der Fokus liegt auf der fachlichen Weiterentwicklung des digitalen Beratungsangebots. Ein paar Gedanken, die sich Teams vorab machen sollten, wenn sie einen Messenger einführen wollen:
Welche Endgeräte wollen wir nutzen? Generell sind Laptop, Tablet und Smartphone geeignet. Für die Nutzung aller Funktionen im Messenger (Chat, Voicemail und Video) sind Tablets gegenüber Laptops deutlich zu bevorzugen, für regelmäßige Videoberatung sind Smartphones wegen der Display-Größe nicht geeignet. Laptops haben den Vorteil, dass die Videokamera mittig angebracht ist.
◆ Welche verbindliche Reaktionsgeschwindigkeit wollen wir festlegen? Alles über 48 Stunden ist in der digitalen Lebenswelt eine Ewigkeit.
◆ Wie schafft man es, ausreichend freie Zeitblöcke im "normalen" Beratungsbetrieb einzufügen, um die unterschiedlichen Kanäle (neben dem Messenger etwa die Online-Beratung, Anrufbeantworter, E-Mail-Konto) abrufen und beantworten zu können? Ausreichend Zeit für alle Kommunikationskanäle muss auch Thema bei den Kostenverhandlungen sein!
◆ Wie ist der Umgang mit digitalen Erstanmeldungen bezogen auf die analogen Erstanmeldungen (Warteliste, Auswahl der Familienberater(in) beziehungsweise Fallverteilung)? ◆ Wie kann die Urlaubsvertretung geklärt werden? Über Messenger kann keine Abwesenheitsnotiz verschickt werden
Der Messenger "Wire" ist aus der Familienberatung der Caritas Münster aktuell nicht mehr wegzudenken. Das kann sich ändern, wenn die Caritas-Online-Beratung nicht nur als reine Online-Beratung, sondern mit App quasi als Messenger genutzt werden kann. Aktuell wird die Beratung mit "Wire" mit Unterstützung der Stiftung Wohlfahrtspflege NRW in allen sozialen Beratungsdiensten der Caritas Münster eingeführt.
Anmerkung
1. Vgl. Dreier, R.: Welcher Messenger passt für die soziale Arbeit? In: neue caritas Heft 15/2019, S. 21 ff
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