Zum Stand der Salafismusprävention in Deutschland
Wie wird uns das Jahr 2016 in Erinnerung bleiben? Sicher als eines, das den Terror auf schreckliche Weise auch in Deutschland greifbar gemacht hat. Hannover, Essen, Würzburg, Ansbach, Berlin - fünf Städte, die für ein Jahr stehen, in dem der islamistische Terrorismus in Deutschland mit voller Härte zugeschlagen hat. Es waren Monate, die unser Land geprägt haben."1 So eröffnet Thomas de Maizière, damaliger Bundesinnenminister, den Verfassungsschutzbericht 2017. Er gibt hier dem Thema islamistischer Terrorismus höchste Priorität. Die Bedrohungslage hat sich jedoch verändert. Mit dem Zerfall des Islamischen Staates (IS) ist die Ausreisewelle, die das Phänomen in seinen Anfängen charakterisierte, erst einmal abgeebbt. Nun stehen die Sicherheitsbehörden vor der Frage, was passiert, wenn die Ausgereisten zurückkehren. Wie ist das Ganze rechtsstaatlich zu beurteilen?
Neben dem Anschlagspotenzial, das von den Rückkehrern ausgeht, spricht der Verfassungsschutzbericht vor allem von einem Phänomen der Selbstradikalisierung. Er listet fünf konkrete Anschläge von Einzeltätern auf.2 Diese sich im Inland vollziehenden Radikalisierungsprozesse werden in Zukunft Schwerpunkt von Prävention sein.
Inwiefern ist Salafismus eine Jugendbewegung?
Die in der Tabelle aufgeführten Organisationen sind alle dem islamistischen Spektrum zuzuordnen. Das bedeutet, dass Islamisten sich eine Gesellschaftsordnung nach islamischen Vorstellungen wünschen und versuchen, diese realpolitisch umzusetzen. Aufgrund der semantischen Nähe von "Islam" und "Islamismus" bedarf es einer Klärung, um unklare oder unscharfe Begriffsverwendung zu vermeiden. Islamismus bezieht sich auf unterschiedliche Gruppierungen, die sich anhand der Einstellung zu Gewalt, der Einstellung zur Moderne/zur politischen Grundordnung und des Ortes unterscheiden, an dem die Implementierung einer Sozialordnung im Sinne des Islams erfolgen soll.
Die Vorstellungen der einzelnen Organisationen können durchaus variieren und beinhalten Streitpunkte untereinander. Ebenso wie es "die Scharia" (islamische Rechtslehre) nicht gibt, gibt es "die Islamische Gesellschaftsordnung" nicht. Im Islam gibt es verschiedene theologische und Rechtsschulen, die sich in ihrer Auslegung der heiligen Schrift unterscheiden.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz konstatiert dahingehend: "Islamismus beginnt dort, wo religiöse islamische Gebote und Normen als verbindliche politische Handlungsanweisungen gedeutet werden. Islamismus ist eine politische Ideologie, die einen universalen Herrschaftsanspruch erhebt und mitunter Gewaltanwendung legitimiert, um als ,islamisch‘ definierte Ziele umzusetzen."3 "Islamistisch" als Attribut ist in Bezug zum Begriff der Radikalisierung daher als eine Zuschreibung zu verstehen, die auf religiös-politischen Motiven beruht. Sie ist eine Referenzfolie, die zu vielfältigen Interpretationen einlädt.4
Der Salafismus orientiert sich in seiner Auslegung an der "as-salaf as-salih", den rechtgeleiteten Altvorderen, und versucht einen Islam zu leben, der sich strikt an dieser ersten Generation der Muslime zu orientieren versucht. Das muss nicht immer mit einem politischen oder gewaltsamen Anspruch, die Gesellschaft zu verändern, einhergehen. Die Grenzen sind jedoch keineswegs klar und die Übergänge können durchaus fließend sein.
Bei salafistischen Gruppierungen handelt es sich nicht ausschließlich um ausländische islamistische Gruppen, sondern unter anderem um eine Bewegung, die aus westlichen Gesellschaften hervorgeht.
Beim Salafismus kann man von einer Jugendkultur sprechen. Er dient der Abgrenzung und Provokation von der Elterngeneration, selbst wenn die Eltern Muslime sind. Dies geschieht über eine besonders strenge Form der Religionsausübung. Dabei dient der Konservatismus in einer liberalen Gesellschaft als Provokation.5
Zudem ist der Salafismus für Jugendliche mit Ausgrenzungserfahrungen interessant. Die Identität der Gruppe wird über das Muslimsein definiert, in ihr kann man sich durch besondere Frömmigkeit hervortun.
Ein weiterer wichtiger Faktor ist die (wahrgenommene) Unterdrückung der Muslime. Hierbei wird an das Ungerechtigkeitsempfinden der Jugendlichen appelliert. Muslime werden als globale Opfergemeinschaft verstanden. Die Wahrnehmung, dass das muslimische Opfer in Konflikten nichts wert ist, wird geschürt und auf die Unterdrückung der Muslime in aktuellen Konflikten hingewiesen.
Die Wahrnehmung der Ungerechtigkeit kann durchaus gerechtfertigt sein. In salafistischen Kreisen wird sie jedoch in ihrer Komplexität stark reduziert und zur Begründung der eigenen Ideologie genutzt: "Wir Muslime sind deswegen schwach, weil wir unseren Glauben nicht mehr ernst nehmen, wir müssen uns wieder auf die alte Stärke der Muslime besinnen."6 Deswegen auch der Rückbezug auf die Prophetengeneration. Der Einsatz von Gewalt gegenüber Anders- oder Ungläubigen ist auch unter den Anhängern des Salafismus nicht unumstritten. So hat sich der bekannteste deutsche Salafist, Pierre Vogel, von Gewalt distanziert, da diese der Dawa (Missionierung) schade. Sein Weggefährte Sven Lau wurde kürzlich zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt, weil er den IS unterstützt und mitunter Kämpfer rekrutiert hat.
Was muss Prävention in diesem Bereich leisten?
Prävention bewegt sich hier an der Schnittstelle von Politik und Religion. Analog zu anderen Radikalisierungsprozessen handelt es sich bei religiös begründeter Radikalisierung um gesellschaftliche Gegenbewegungen, die mit Demokratiedistanz beziehungsweise Demokratiefeindlichkeit einhergehen. Auf der anderen Seite spielen Aspekte wie Diskriminierung, Ausgrenzung und Islamfeindlichkeit als Ausgangspunkt von Radikalisierungsprozessen eine relevante Rolle. Daher sind sowohl politische als auch die religiöse Bildung relevant, ebenso die politisch-gesellschaftlichen und religiös-theologischen Diskursebenen.7
Für die primäre Präventionsebene bietet sich eine Demokratieerziehung an, die Toleranz gegenüber Religiosität sowie Nichtreligiosität in den Mittelpunkt stellt. Dazu bedarf es des Wissens über die Toleranz und Friedenspotenziale der Religionen sowie des Wissens um die Rolle der Religion im weltanschaulich neutralen Staat, in diesem Falle der Bundesrepublik Deutschland.
Für den sekundären Bereich der Prävention bedarf es des Wissens über den Verlauf von Radikalisierungsprozessen, über Kennzeichen und Erkennungs- sowie Handlungsmöglichkeiten.
Salafisten verstehen es, die Jugendlichen und jungen Erwachsenen "dort abzuholen, wo sie stehen", Antworten auf schwierige Fragen zu geben und Inhalte adressatengerecht zu verpacken. Salafismus bietet bei Gefühlen der Orientierungslosigkeit klare Strukturen, in schwierigen Lebensphasen sinnstiftende Antworten und bei Problemen mit der Familie Gemeinschaftsgefühl.8 Für eine gelungene Prävention müssen Akteure ausgebildet werden oder über entsprechende persönliche Erfahrungen und Fingerspitzengefühl verfügen, um den Antworten und Entwürfen des Salafismus etwas entgegenzusetzen.
Wie verläuft Radikalisierung?
Radikalisierung differenziert betrachtet stellt sich als Wechselspiel zwischen Individuum und Gesellschaft sowie als Sozialisationsprozess dar.9 Der US-amerikanische Psychologe Randy Borum teilt Radikalisierung in ein Vierphasenmodell ein:
- Feststellung des Missstandes ("It’s not right");
- Gefühl der Ungerechtigkeit ("It’s not fair");
- Wird verbunden mit einer Fremdzuschreibung von Schuld an ein(e) Person/System ("It’s your fault");
- Verteufelung der Zielgruppe/-person ("You’re evil").10
Dieser Prozess ist nicht linear, nicht alle Personen durchlaufen alle Stufen, und nicht immer kommt es zur Ausübung einer Gewalttat. Vielmehr können die Personen an bestimmten Punkten verharren oder sich irgendwann im Prozess abwenden. Das Wissen über Nichtlinearität und das Bewusstsein für die Einflussfaktoren ist für das Gelingen von Prävention relevant. Darüber hinaus können sogenannte weitere Faktoren oder auch Gelegenheitsstrukturen unterstützend wirken.11
Prävention ist prinzipiell eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Ziel der Präventionsarbeit ist die Ermächtigung zur gleichberichtigten Teilhabe an der demokratischen Gesellschaft, um Radikalisierung sowie potenzielle Gewaltanwendung zu vermeiden. Gelungene Prävention muss neben der Einzelperson im Handlungsfeld auch Sozialinstanzen beziehungsweise -agenten (Familie, Peer-Group Funktionsträger usw.) sowie Institutionen (Schule, Moscheegemeinde usw.) oder virtuelle Gesellschaften und radikale Milieus einbeziehen.12
Sind Pädagogen für die Präventionsarbeit gerüstet?
Trautmann und Zick untersuchten 36 Initiativen die sich mit der Prävention auseinandersetzen, jedoch in der Auswahl der Zielgruppe noch einmal stark variieren. Die Gruppe für primäre Prävention ist in der Regel zwölf bis 18 Jahre alt.
Aufgrund des noch jungen Phänomens greift ein Großteil der Initiativen bei der Konzeption auf Wissen, Methoden und Professionen aus anderen Themenfeldern (zum Beispiel Rechtsextremismus) zurück. Formate und Konzepte für die pädagogische Auseinandersetzung mit Thematiken bezüglich Migration, Kooperationsmodellen und anderem werden erprobt, ohne jedoch spezifische Aussagen über die Ausgestaltung der Maßnahmen oder deren "Erfolgskontrolle" zu treffen.13
Sie weisen darauf hin, dass die von ihnen systematisierten Initiativen ihren Zielvorstellungen aufgrund der Komplexität und mangelnder finanzieller Ausstattung nicht gerecht werden. Sie sehen die Politik hier in der Verantwortung, die Rahmenbedingungen für erfolgreiche Prävention zu verbessern.
Seitdem ist in diesem Bereich einiges passiert. Vor allem die Bundeszentrale für politische Bildung hat mit dem Informationsdienst Radikalisierungsprävention eine Informationsplattform geschaffen, die eine Sammlung von Texten, Informationen und Ansprechpartnern bietet und als Informationsgrundlage für Präventionsarbeit sehr zu empfehlen ist.14
Anmerkungen
1. BMI (2017): Verfassungsschutzbericht 2016.Verfügbar unter: www.verfassungsschutz.de/de/oeffentlichkeitsarbeit/publikationen/verfassungsschutzberichte/vsbericht-2016. S. 1.
2. BMI (2017): a.a.O. S. 156.
3. BfV - Bundesamt für Verfassungsschutz: Salafistische Bestrebungen in Deutschland. Unter Mitarbeit von Landesbehörden für Verfassungsschutz. Köln, 2012.
4. Trautmann, C.; Zick, A.: Systematisierung von in Deutschland angebotenen und durchgeführten (Präventions-)Programmen gegen islamistisch motivierte Radikalisierung außerhalb des Justizvollzuges. Stiftung Deutsches Forum für Kriminalprävention; Universität Bielefeld, 2016. S. 63.
5. El-Mafaalani, A.: Salafismus als Jugendkultur, 2016a, online verfügbar unter: www.sueddeutsche.de/politik/2.220/salafismus-als-jugendkultur-burka-ist-der-neue-punk-1.2318706
6. El-Mafaalani, A.: A.a.O.
7. El-Mafaalani, A.: A.a.O.
8. MIK - Ministerium für Inneres und kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.): Startseite, 2015. Online verfügbar unter www.mik.nrw.de/startseite.html, zuletzt geprüft
am 6.1.2016.
9. Böckler, N.; Zick, A.: Wie gestalten sich Radikalisierungsprozesse im Vorfeld dschihadistisch-terroristischer Gewalt? Perspektiven aus der Forschung, 2015, S. 99-122. Online verfügbar unter http://library.fes.de/pdf-files/dialog/12034-20151201.pdf, zuletzt geprüft am 25.11.2015.
10. Borum, R.: Radicalization into Violent Extremism II. A Review of Conceptual Models and Empirical Research. In: JSS 4 (4) 2011, S. 37-62. DOI: 10.5038/1944-0472.4.4.2.
11. Borum, R.: A.a.O.
12. Böckler, N.; Zick, A.: A.a.O., S. 115.
13. Böckler, N.; Zick, A.: A.a.O., S. 56 f.
14. BPB Infodienst: Radkialisierungsprävention online verfügbar unter: www.bpb.de/politik/extremismus/radikalisierungspraevention
Literatur
Ceylan, R.; Kiefer, M.: Salafismus: Fundamentalistische Strömungen und Radikalisierungsprävention. Wiesbaden: Springer Fachmedien, 2013. Online verfügbar unter http://lib.myilibrary.com/detail.asp?id=569108, zuletzt geprüft am 26.2.2016.
Zick, A.; Böckler, N.: Extremistische Radikalisierung als Inszenierung. Vorschlag für eine Sicht auf den Prozess der Radikalisierung und die Prävention. In: Forum Kriminalprävention (3) 2015, S. 6-16. Online verfügbar unter www.forum-kriminalpraevention.de/files/1Forum-kriminalpraevention-webseite/pdf/2015-03/2015-03_radikalisierung_als_inzenierung.pdf, zuletzt geprüft am 26.2.2016.
Prävention ist alles
Abfrage der Konfession muss begründbar sein
Zusammenhalt muss erlebbar werden
Individuelle Lebensentwürfe erfordern eine individualisierte Personalpolitik
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