Institutionelle Spiritualität – hölzernes Eisen oder Kern der Corporate Identity?
Unternehmen brauchen eine Spiritualität, Organisationen müssen Tugenden pflegen. Immer häufiger äußern sich Firmengründer(innen) und Manager(innen) in diesem Sinn. Vor allem Demut ist gefragt, auch bei Fußballtrainer(inne)n und Vereinsbossen. Offensichtlich lässt sich abseits von kirchlichen Organisationen selbstverständlicher über Spiritualität sprechen als im Binnenraum der Kirche.
Mehr als die Summe frommer Individuen?
Das Verhältnis von Individuum und Institution regeln die christlichen Konfessionskirchen auf unterschiedliche Weise - mit jeweils spezifischen Problemen. In der römisch-katholischen Kirche hält sich nach wie vor eine Unterscheidung zwischen der "heiligen" Kirche und den "Sündern in ihrem Schoß" (Lumen gentium 8). Erneuerung der Kirche, Verlebendigung ihres Lebens, die Sorge um eine Praxis der Nächstenliebe, die dem Evangelium entspricht, werden an die Kirchenmitglieder delegiert. Folgerichtig ist die Entwicklung einer Spiritualität vorrangig eine Aufgabe des Individuums. Erst seit einiger Zeit findet die geistliche Begleitung von Gruppen stärkere Aufmerksamkeit - gerade auch in ihrer Bedeutung für die Entwicklung der Organisation Kirche.
Verträgt Organisation Spiritualität?
Aber wird dies zu einer Spiritualität der Institution führen? Kann eine Institution, auch wenn sie sich als Kirche oder kirchlicher Wohlfahrtsverband versteht, spirituell sein? Wenn Spiritualität wesentlich mit Geist (lateinisch: spiritus) zu tun hat, scheint große Skepsis angebracht. Die in der Bibel erzählten Geschichten ebenso wie die 2000-jährige Geschichte der christlichen Kirchen belegen eher eine grundsätzliche Spannung zwischen Geist und Institution. "Löscht den Geist nicht aus!", muss Paulus schon die junge Gemeinde in Thessaloniki (1 Thess 5,19) ermahnen. Weder im Ersten noch im Neuen Bund waren Propheten willkommen, die nicht nur die Gottesbeziehung des Einzelnen, sondern auch die soziale Praxis im Blick hatten, wie zum Beispiel Amos: "Dein Harfenspiel will ich nicht hören, sondern das Recht ströme wie Wasser, die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach" (Amos 5, 23-24). Charismatiker (Geistbegabte) wie Propheten und vor allem Prophetinnen waren den Leitern der Kirchen verdächtig: So nahmen diese eher für sich in Anspruch, den wahren Geist zu besitzen. Stehen also Spiritualität und Institution nicht nur in Spannung - ist vielmehr "institutionelle Spiritualität" ein sprichwörtliches hölzernes Eisen? - Zunächst:
Was ist überhaupt Spiritualität?
Die binnenkirchliche Zurückhaltung gegenüber der Rede von einer Spiritualität der Institution Kirche erklärt sich auch aus den Erscheinungsformen von Spiritualität, zum Teil auch aufgrund mangelnden Wissens. Irgendwie hat ja Spiritualität etwas mit Frömmigkeit zu tun, und deren Ansehen gerät schnell in die Nähe von Frömmeln in einer privaten Gottesbeziehung. Abgelesen wird das zumeist an bestimmten Ausdrucksformen individueller Frömmigkeit wie persönlichem Gebet, Meditation, Exerzitien, Wallfahrten. Vielen Skeptiker(inne)n wird darin die Einheit von Gottes- und Nächstenliebe nicht erkennbar. Hinzu kommt, dass auch neuere geistliche (charismatische) Bewegungen nicht selten - Gruppenphänomen zum Trotz - eher als individualistisch, privatistisch, in jedem Fall als unpolitisch wahrgenommen werden.
Es gilt, das Kind keineswegs mit dem Bade auszuschütten, das heißt: Zu Spiritualität gehören durchaus Gebet, Meditation, Wüstentage und "Ich bin dann mal weg". Dies sind Ausdrucksformen von Spiritualität, nämlich Äußerungen einer spirituellen Haltung, einem vom Spiritus, also geistbestimmten Verhalten. Spiritualität ist also zunächst einmal und grundlegend eine Einstellung, an der abzulesen ist, "wes Geistes Kind" jemand ist. In einem gewissen Sinn ließe sich sogar von einer negativen Spiritualität sprechen, also einer Haltung, die durch "Ungeist" geprägt ist. Schwarz-Weiß-Malerei ist freilich konsequent zu meiden - gibt es doch seit jeher nicht nur eine Reserve oder gar Feindseligkeit der Institution gegenüber spirituellen (charismatischen) Bewegungen, sondern auch "ungeistlichen" Hochmut und unangemessenes Elitebewusstsein aufseiten von Menschen und Gruppierungen, die vergessen, dass Charisma eine Geistesgabe und nicht eine persönliche Leistung ist.
Aus den oben genannten Gründen für eine Reserve gegenüber traditionellen wie aktuellen christlichen Spiritualitäten erklärt sich die in unserer Gesellschaft anhaltende, ja wachsende Hinwendung zu vor allem asiatischen Formen der Spiritualität. In der Tat findet sich hier manches Beeindruckende, ja, die hierzulande lasche Glaubenspraxis Beschämende. Aber auch hier gilt die Warnung vor Schwarz-Weiß-Malerei, und es gilt die Aussage des Zweiten Vatikanischen Konzils in der Erklärung zur Einstellung (zum Habitus) der Kirche gegenüber den nichtchristlichen Religionen, dass sie nämlich "nichts von alledem ablehnt, was in diesen Religionen wahr und heilig ist" (Nostra aetate, Nr. 2). Der Päpstliche Rat für den interreligiösen Dialog unterscheidet und verbindet vier Ebenen des interreligiösen Dialogs: zusammen leben, zusammen handeln, theologisch reflektieren, spiritueller Austausch. Caritas-Einrichtungen, in denen Mitarbeiter(innen) verschiedener Konfessionen und Religionen zusammenwirken, kennen nicht nur Schwierigkeiten, sie erfahren auch Bereicherung durch dieses Miteinander. Spezifisch christliche Spiritualität muss sich nicht abgrenzen, muss sich nicht exklusiv geben, sondern zeigt sich selbstbewusst im Miteinander, ohne von vornherein zu unterstellen, dass es dies und jenes, was Christenmenschen wichtig erscheint, sonst nirgendwo gäbe.
Eine spezifisch christliche Spiritualität?
Was ist Christenmenschen zentral in ihrer Spiritualität? Was sollte es sein (denn die Diskrepanz zwischen Sein und Sollen, Anspruch und Praxis ist nicht zu vertuschen)? Christen orientieren sich an dem Gottes- und Menschenbild, das Jesus von Nazareth (selbst in einer religiösen Tradition stehend) in Wort und Tat verkündet hat: dass Gott sich allen Menschen und nicht nur den Glaubensgenoss(inn)en bedingungslos und grenzenlos vergebungsbereit zuwendet; dass der Schöpfergott will, dass die Menschen wieder so zusammenleben, wie er es für seine Schöpfung vorgesehen hat, dass nämlich jede und jeder einen Platz in der Welt hat, anerkannt ist, ein Gesicht, ein Ansehen hat. Der Schöpfungspsalm 104, 29-30 bringt dies in direkten Zusammenhang mit dem Geist: "Verbirgst du dein Gesicht, sind sie verstört; nimmst du ihnen den Atem-Geist, so schwinden sie hin und kehren zurück zum Staub der Erde. Sendest du deinen Geist-Atem aus, so werden sie alle erschaffen, und du erneuerst das Gesicht der Erde." Gott zeigt sein Gesicht, damit Menschen und die gesamte Schöpfung ein Gesicht bekommen - sein Geist ist der Atem des Lebens, Luft zum (Über-)Leben, letztlich zum neuen, definitiven Leben.
Eine spezifische Caritas-Spiritualität
Grundelemente der spirituellen Haltung, die für die Einzelnen und ihre Gruppierungen bestimmend sind, machen auch die institutionelle Spiritualität der organisierten Caritas aus. Es handelt sich aber keineswegs um eine bloße Ausweitung dessen, was selbstverständlich für das Beten und Arbeiten der Einzelnen gilt - deshalb, weil im Verband auch fromme Christen arbeiten oder weil zur Gottesliebe ja auch die Nächstenliebe hinzukommen sollte. Denn Jesus zufolge ist das zweite Gebot, das der Nächstenliebe, "ebenso wichtig" wie das erste (Matthäusevangelium 22,39). Ja mehr noch: Den Nächsten zu lieben ist eine, ja, ist die wichtige Form der Gottesliebe. Der geschwisterlichen Gemeinde des Johannes wird so ins Gewissen geredet: "Wer seinen Mitmenschen nicht liebt, den er sieht, kann Gott nicht lieben, den er nicht sieht" (1. Johannesbrief 4,20). Zugespitzt formuliert: Gott ist in Jesus nicht Mensch geworden, den Menschen auf Augenhöhe begegnet, um sie zum sonntäglichen Hochamt einzuladen, sondern um sie aufzufordern, zur Reich-Gottes-Praxis zurückzukehren.
Christliche Spiritualität hat ihre Quelle im heiligen-heilenden Geist, von dem es im IV. Hochgebet der römisch-katholischen Liturgie heißt: "Damit wir nicht mehr uns selber leben, sondern ihm, der für uns gestorben und auferstanden ist, hat er als erste Gabe von Dir, Vater, für alle, die glauben, den Heiligen Geist gesandt, damit er das Werk Deines Sohnes auf Erden fortführe und alle Heiligung vollende." Von diesem heiligen-heilenden Geist beseelte Christenmenschen und Caritas-Einrichtungen geben - wie der Gottesgeist - Raum, damit Mitmenschen atmen, aufatmen, durchatmen, sich aufrichten, heil werden können. Christenmenschen und Caritasverband kreisen nicht sorgenvoll um sich selbst, gar um Privilegien, auch nicht um Refinanzierungen, sondern verstehen es, die durchaus berechtigte Selbstsorge in die Beziehungssorge einzubringen. Gegebenenfalls treten sie ein Stück zurück und lassen den anderen den Vortritt. Dazu animiert sie der Geist, der sich als der Geist des Lebens, der Freiheit, der Wahrheit und der Gerechtigkeit offenbart hat.
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