In Tandems lernt es sich gut voneinander
Salam steht für "Spielen - Austauschen - Lernen - Achtsam - Miteinander". Im Patenschaftsprojekt Salam an der Pädagogischen Hochschule in Freiburg übernehmen seit nun mehr sieben Jahren Studierende die Patenschaft für ein Grundschulkind, das einen Migrationshintergrund hat oder dem aus einem anderen Grund besondere Aufmerksamkeit zukommen sollte. Doch weder Hausaufgaben machen noch Sprachförderung stehen dabei im Vordergrund. Vielmehr gestalten die beiden an einem Nachmittag pro Woche miteinander die Freizeit und bauen eine vertrauensvolle Beziehung auf. Beide lassen sich auf eine ungewisse Reise ein, die Zeit braucht und Energie kostet. Das Programm ist ein gegenseitiges Geben und Nehmen, bei dem beide Seiten voneinander lernen.
Ein Patenschaftsprogramm lebt vom Engagement, der Motivation, der Ausdauer und der Neugier der Beteiligten. Die Eltern vertrauen ihr Kind einer ihnen zunächst fremden Person an. Die Studierenden wiederum betreten ein ihnen zumeist völlig fremdes Terrain und lernen neue Menschen kennen. Zuverlässigkeit und Geduld sind vonseiten der Studierenden, des Kindes und auch seiner Familie wichtig, um hierbei eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen.
Der Projektrahmen
Der Rahmen des Programms mit seinen Ritualen und festen Abläufen bietet Sicherheit. Dabei ist der enge Kontakt zur Schule ein zentrales Element. Wir arbeiten derzeit mit vier Grundschulen zusammen, die einen hohen Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund oder Fluchtgeschichte haben. Die Hochschule ist verantwortlich für die Begleitung der Mentor(inn)en. Das wird gewährleistet durch drei Mentorinnentreffen an den Schulen sowie vierzehntäglichen Begleitveranstaltungen an der Hochschule. In diesen können sich die Mentorinnen austauschen, schwierige Situationen besprechen, aber auch die eigenen Erfahrungen mit theoretischen Ansätzen aus der Fachliteratur verknüpfen. Das Patenschaftsprogramm ist im Curriculum der Hochschule verankert und wird als Studienleistung anerkannt. Zudem erhalten die Studierenden von der Stadt Freiburg einmalig eine Aufwandsentschädigung von 110 Euro für Unkosten.
Beide Seiten gewinnen
Die Kinder lernen ihre Umgebung besser kennen und schauen über den Tellerrand. Sie erkunden neue Orte in Freiburg, von der Stadtbibliothek bis zum Münsterturm, von der Dreisam bis zum Mundenhof. Viele der Unternehmungen sind für die Kinder in unserem Programm eine Besonderheit. Die Eltern haben keine Zeit, kein Geld oder kein Interesse, mit den Kindern Ausflüge zu machen. Die Kinder kennen oft nur den Weg zur Schule, das direkte Wohnumfeld und den dazugehörigen Spielplatz. Sie sind nur selten im Stadtzentrum und kennen wenige besondere Orte mit ihren Angeboten (Stadtbibliothek, Jugendzentren, Museen).
In den Familien ist der Medienkonsum meistens hoch. Scheinbar selbstverständliche Aktivitäten wie Basteln, Malen, Backen, Brettspiele, die den Studierenden aus ihren Herkunftsfamilien vertraut sind, haben für viele der Salamkinder einen großen Reiz, weil das in den Familien nicht gemacht wird. In der Patenschaft ist es zudem möglich, die Kinder schrittweise an selbstverständliche Alltagsaktivitäten heranzuführen wie eine Straßenbahnkarte kaufen, ein Eis bestellen, die Punkte beim Minigolfen auszurechnen.
Die Studierenden schaffen es meist ausgezeichnet, solche informellen Lernchancen zu nutzen und damit die Kompetenzen des Kindes zu erweitern. Im Verlauf der Patenschaft finden die Studierenden heraus, was das Kind braucht und in welchen Bereichen es sich weiterentwickeln könnte (schüchterne, vorlaute, ängstliche, rücksichtslose, unmotivierte, höfliche Kinder). Die Studierenden nehmen die Kinder mit in die Wohngemeinschaft und an die Hochschule, so dass die Kinder eine Vorstellung bekommen, was es heißt zu studieren. Die Studierenden wirken als Rollenmodell und werden oft von den Kindern um Rat gefragt. Die Kinder verbessern ihr Deutsch, aber auch insgesamt ihre Sprach- und Kommunikationsfähigkeit. Sie steigern ihr Durchhaltevermögen, sie werden selbstständiger, selbstbewusster und verbessern insgesamt ihre soziale Kompetenz.
Die Studierenden lernen die Welt der Kinder kennen: was ein Grundschulkind denkt, fühlt, hofft, erwartet - eine Erfahrung, die ihnen in ihrem pädagogischen Beruf nützlich sein wird. Sie betreten Neuland, wenn sie Kontakt zur Familie aufnehmen und erfahren, wie Migranten- und Flüchtlingsfamilien leben, wo sie wohnen, was sie bewegt. Sie setzen sich mit kultureller Zugehörigkeit auseinander (ich bin türkisch und du bist deutsch). Sie übernehmen Verantwortung und erproben sich im Erziehungsalltag. Sie ermutigen und motivieren die Kinder, sie hören ihnen zu und nehmen sie ernst. Sie setzen ihnen Grenzen und tragen Konflikte aus.
Es gibt auch Stolpersteine ...
Herausfordernd ist, wenn es nicht gelingt eine Beziehung zum Kind aufzubauen und vom Kind bis zum Schluss wenig zurückkommt, es wenig Eigeninitiative ergreift, Gleichgültigkeit ausstrahlt und nur schwer zu begeistern ist. Ins Stolpern kommen kann die Patenschaft auch, wenn das Kind stark auffälliges Verhalten zeigt oder an einer schweren Krankheit leidet.
Schwierigkeiten kann es geben, wenn die Eltern falsche Erwartungen haben. Wenn sie beispielsweise annehmen, die Kinder bekämen Nachhilfe oder die Studentin als willkommene Babysitterin ansehen oder wenn nur ein Elternteil will, dass das Kind mitmacht. Erschwerend ist es, wenn die Eltern keinerlei Interesse zeigen oder unzuverlässig sind, so dass die Studentin mehrfach trotz Absprache vor verschlossener Türe steht, aber auch wenn sie zu vereinnahmend sind. All das sind in der Regel Stolpersteine, die ausgeräumt werden können im Gespräch, durch klare Absprachen und Geduld. Auch die Studierenden können unzuverlässig sein, krank werden oder die Lust verlieren.
... aber auch Edelsteine
Für die Studierenden ist es beglückend, wenn sie es schaffen, zu einem ihnen unbekannten Kind und einer fremden Familie mit einer anderen Sprache, Kultur, Religion, Schichtzugehörigkeit eine enge und freundschaftliche Beziehung aufzubauen. Sie erfahren, dass das eigene Tun Wirkung hat, dass sie von den Kindern und den Eltern akzeptiert werden. Aber auch, wenn sie Erfolge wahrnehmen, wenn die Kinder beispielsweise ihr Selbstwertgefühl oder ihre Lernbereitschaft steigern. Oft sind es kleine Begebenheiten, die das zeigen, so etwa mit einem Kind, das nicht lesen will, ein Bilderbuch zu lesen und es zu schaffen, dass es freiwillig in der Schulfibel liest.
Eine großangelegte quantitative Studie des Verhaltensökonomen Fabian Kosse1, die 2016 veröffentlicht wurde, konnte in einem Vorher-nachher-Vergleich zeigen, dass Kinder, die am Programm "Balu und Du"2 teilgenommen haben, nach einem Jahr deutlich bessere Werte in ihrem prosozialen Verhalten erreicht haben und dass die Übergangsquote in Realschulen und Gymnasien gestiegen ist.
ich persönlich freut es besonders, wenn die Tandems die Beziehung nach dem offiziellen Ende des Mentorenprogramms am Schuljahresende weiterführen und die Studierenden mir rückmelden, welche Bedeutung die Patenschaft in ihrem Studium hatte.
Anmerkungen
1. Kosse, F.; Deckers, T.; Schildberg-Höerisch, H.; Falk, A.: Formation of Human Prosociality. Causal Evidence of the role of social Environment, 2016. http://bit.ly/2g26Mmc
2. www.balu-und-du.de/home
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