Die Caritas setzt sich für Resettlement ein
In diesem und bereits im vergangenen Jahr war die Türkei das Land, das weltweit die größte absolute Zahl an Flüchtlingen aufnahm: 2,5 Millionen Menschen.1 Einer von ihnen war der Syrer Abdullah K.2 Mit seiner Frau, den beiden Kindern, seiner kranken Mutter und weiteren Familienangehörigen lebte er die letzten drei Jahre in der Türkei, einige Stunden von Istanbul entfernt. Das Leben in der Türkei war für die Familie schwierig. Die Kinder waren vom Krieg in Syrien schwer traumatisiert. In der Türkei gab es keine Möglichkeit für sie, die Schule regelmäßig zu besuchen, und Abdullah, der eigentlich Schriftsteller ist, musste als Straßenverkäufer für den Lebensunterhalt der Familie sorgen.
Eine legale und sichere Einreise ist möglich
Heute lebt Abdullah mit seiner Familie in Niedersachsen. Über das deutsche Resettlement-Programm konnten er, seine Frau und seine Kinder im April 2016 legal nach Deutschland einreisen. Resettlement kann im Deutschen mit "Neuansiedlung" übersetzt werden. Für diese Form der legalen und sicheren Einreise nach Deutschland kommen Personen infrage, die vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) als Flüchtling anerkannt sind und aufgrund ihrer physischen oder psychischen Verfassung einen besonders hohen Schutzbedarf haben.3 Flüchtlinge, die über Resettlement aufgenommen werden, leben immer bereits in einem Zufluchtsland außerhalb ihrer Heimat, in der Regel unter Bedingungen, die ihnen keine Lebensperspektive ermöglichen. Resettlement ist neben der freiwilligen Rückkehr ins Herkunftsland oder der Integration im Erstaufnahmeland eine der dauerhaften Lösungen für Flüchtlinge: Die Menschen erhalten bei Einreise in Deutschland einen Aufenthaltstitel nach § 23 Abs. 4 des Aufenthaltsgesetzes, der ihnen eine dauerhafte Bleibeperspektive eröffnet.
Derzeit führt Deutschland Resettlement im Rahmen der sogenannten EU-Türkei-Erklärung durch.4 In der vielfach kritisierten Erklärung vom März 2016 wurde festgelegt, dass zunächst bis zu 18.000 Menschen aus Syrien legal über Aufnahmeprogramme wie Resettlement in die EU einreisen können, die Türkei jedoch gleichzeitig alle notwendigen Maßnahmen ergreifen muss, um irreguläre Grenzübertritte in die EU zu verhindern. Resettlement ist ein wichtiges international genutztes Instrument zum Schutz besonders vulnerabler Flüchtlinge. Kritisiert werden im aktuellen Verfahren daher auch nicht die Aufnahmen aus der Türkei, sondern die damit verknüpften Abschottungsmaßnahmen. Der Deutsche Caritasverband setzt sich für Resettlement ein, betonte jedoch mehrfach, dass Resettlement eine Ergänzung und kein Ersatz für das reguläre Asylverfahren ist.5
Viel Stress mit der Bürokratie
Abdullah K. und seine Familie waren unter den Ersten, die im Rahmen dieser Aufnahme aus der Türkei nach Deutschland gekommen sind. Nachdem die Familie den Auswahlprozess durch die türkische Migrationsbehörde DGMM, UNHCR und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) durchlaufen hatte, mussten sich Abdullah und seine Frau binnen kürzester Zeit für die Ausreise nach Deutschland entscheiden. Der darauffolgende Einreise- und Aufnahmeprozess lief für die syrische Familie jedoch nicht sonderlich gut. Der Zeitdruck ermöglichte keinen Austausch innerhalb der Familie über die nun anstehenden Schritte und führte zu Konflikten. Als "stressig" und "chaotisch" beschreibt Abdullah die Ausreise nach Deutschland. Auch in der niedersächsischen Stadt, in der er und seine Familie jetzt leben, fällt es ihm noch immer schwer, wirklich anzukommen. Die vielen bürokratischen Schritte, die es nun zum Beispiel bei der Ausländerbehörde oder dem Jobcenter zu erledigen gibt, sind herausfordernd.
Viele Flüchtlinge, die über Resettlement in Deutschland aufgenommen wurden, nennen ähnliche Schwierigkeiten, was den Aufnahmeprozess betrifft. Vor der Ausreise ist eine umfassende Information über den Ablauf der Aufnahme und das Leben im Aufnahmeland häufig nicht möglich, trotz Vorbereitungskursen der Internationalen Organisation für Migration (IOM), welche die Flüchtlinge in der Regel vor der Einreise besuchen. Von einem auf den anderen Tag befinden sich die Menschen, die zum Teil jahrelang in Flüchtlingscamps gelebt haben, in einer völlig anderen Umgebung. Nach einer zweiwöchigen Erstaufnahme im Grenzdurchgangslager in Friedland (Niedersachsen) werden sie in die Kommunen verteilt und treffen dort leider nicht immer auf Strukturen, die ihren besonderen Bedürfnissen gerecht werden.
Hier setzt das Projekt "resettlement.de" der Caritas an. Ziel des Projektes ist es, Strukturen zu fördern, welche die Neueingereisten so gut wie möglich unterstützen. Da der Auswahl- und Einreiseprozess von Resettlement-Flüchtlingen von staatlichen Akteuren organisiert wird, konzentriert sich das Projekt vor allem darauf, den Aufnahmeprozess in Deutschland seitens der Zivilgesellschaft zu verbessern. In Kooperation mit dem Caritasverband für die Diözese Hildesheim/ Caritasstelle im Grenzdurchgangslager Friedland und dem Deutschen Caritasverband wird das Projekt gemeinsam umgesetzt.
Ein realistischer Blick auf das neue Leben ist wichtig
Ein Element des Projektes ist es, Erwartungen, Fragen und Ängste der Neuankömmlinge direkt in der zweiwöchigen Erstaufnahme in Friedland aufzufangen. Hierzu führt das Projekt Austauschtreffen zwischen gerade neu und ehemals eingereisten Resettlement-Flüchtlingen durch. Durch den Austausch profitieren die Neuankömmlinge vom Wissen und den Erfahrungen ihrer Vorgänger(innen). Da diese in der Regel aus demselben Heimatland kommen, erlauben die Treffen einen offenen und vertrauensvollen Austausch in der Muttersprache. So können Ängste genommen werden und Geflüchtete können ein realistischeres Bild von ihrem zukünftigen Leben in Deutschland entwickeln. Im Rahmen des Projektes nehmen die Projektmitarbeitenden vor dem Übergang der Neueingereisten aus der Erstaufnahme in die Kommunen auch Kontakt zu den aufnehmenden Städten und Dörfern auf, zum Beispiel um über einen besonderen medizinischen Bedarf oder Umverteilungswünsche in andere Bundesländer zu informieren. Zudem hat das Projekt eine Notfallhotline und eine Facebook-Seite eingerichtet, an die sich die Neueingereisten wenden können, falls sie vor Ort überfordert sind oder nicht wissen, wo sie Unterstützung finden.
In den neuen Wohnorten entstanden und entstehen für die Resettlement-Flüchtlinge häufig schwierige Situationen - in Beratungsstellen, aber vor allem auch in Ausländerbehörden -, da die Aufnahmeprogramme und die damit verbundenen Aufenthaltstitel bei staatlichen und nichtstaatlichen Stellen häufig noch unzureichend bekannt sind. Dem begegnet das Projekt zum einen durch Fortbildungen für Sozialarbeiter(innen), Behördenmitarbeitende und Ehrenamtliche. Zudem hat das Projekt "resettlement.de" eine gleichnamige Website und einen Newsletter eingerichtet, um alle am Aufnahmeprozess beteiligten Akteure bestmöglich über die verschiedenen Aufnahmen und damit verbundenen Prozesse aufzuklären. Diese Informationsarbeit wird durch eine jährliche bundesweite Fachtagung ergänzt.
Austauschtreffen helfen, um besser anzukommen
Mittlerweile lassen sich einige Fortschritte festhalten: Seit dem Start des Projektes im Juni 2015 wurden die Austauschtreffen mit ehemals und neu eingereisten Geflüchteten bereits sieben Mal durchgeführt. Diese werden von den Teilnehmer(inne)n sehr geschätzt. Die Geflüchteten äußern sich positiv zu diesem Austausch und beschreiben das Treffen bisweilen als die beste Orientierungsmaßnahme, die sie während der Erstaufnahme erhalten. Auch die Notfall-Hotline wird häufig genutzt und ermöglicht es immer wieder, Missverständnisse, zum Beispiel mit den Ausländerbehörden, aus dem Weg zu räumen oder die Geflüchteten an geeignete Unterstützungsstellen zu vermitteln. Die Fachtagung des Projekts, die zuletzt am 24. Oktober 2016 in Frankfurt am Main unter dem Titel "Resettlement, Kontingente, humanitäre Aufnahme - politische Entwicklung und Bedeutung für die Praxis" stattfand, zog bundesweit großes Interesse nach sich. Dies zeigt, dass Informationsbedarf da ist und das Angebot des Projektes wahrgenommen und genutzt wird.
Austausch mit staatlichen Akteuren ist nötig
Doch um die Aufnahmen für Menschen wie Abdullah K. und seine Familie in Zukunft gut zu gestalten, sind noch viele Verbesserungen notwendig. Dabei gilt es vor allem, die Unterstützungsangebote zu verstetigen und den Aufnahmeprozess möglichst vorausschauend, gut strukturiert und transparent zu organisieren. So können sich die Geflüchteten und auch die Aufnahmegesellschaft besser aufeinander zubewegen. Vieles liegt dabei nicht in der Hand der Zivilgesellschaft, sondern in der staatlicher Akteure wie des Innenministeriums, des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und der Behörden der Bundesländer. Daher ist es eine wichtige Aufgabe für das Projekt, die Erfahrungen von Menschen wie Abdullah K. an diese staatlichen Akteure zu vermitteln und in Zukunft einen noch intensiveren Austausch mit ihnen zu praktizieren.
Anmerkungen
1. Vgl. UNHCR: Global Trends. Forced Displacement 2015, Genf, 2016, S. 3.
2. Name von der Redaktion geändert.
3. Der Schutzbedarf wird durch UNHCR mittels acht Kriterien definiert: a) Personen mit besonderen rechtlichen und physischen Schutzbedürfnissen, b) Personen mit besonderem medizinischem Behandlungsbedarf, c) Überlebende Opfer von Gewalt und Folter, d) Frauen mit besonderer Risikoexposition, e) Flüchtlingskinder und heranwachsende Flüchtlinge, f) ältere Flüchtlinge, g) Personen, die aus anderen Gründen keinerlei Perspektive auf eine Eingliederung im derzeitigen Aufenthaltsstaat haben, h) Personen, deren Familienangehörige sich bereits in einem Drittstaat befinden. Vgl. UNHCR: Hintergrundinformationen zum Ablauf von Resettlement-Verfahren. Berlin 2008. S. 2.
4. 2016 und 2017 sollen 1600 Personen aus Drittstaaten in Deutschland aufgenommen werden. vgl. Anordnung des Bundesministeriums des Innern für Resettlement-Verfahren in den Jahren 2016 und 2017 vom 4. April 2016 und vgl. Europäischer Rat: Erklärung EU-Türkei, Brüssel, 18.3.2016.
5. Vgl. Deutscher Caritasverband: Position des Deutschen Caritasverbandes zum Thema Resettlement. Freiburg, 2012 und vgl. Deutscher Caritasverband: Eckpunktepapier zur Position des Deutschen Caritasverbandes zum Thema Resettlement. Freiburg, 2012.
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