Verena Eberenz über inklusive Schulen für Sehbehinderte
Was ist ein Sonderpädagogischer Dienst?
Das ist ein Beratungs- und Unterstützungsangebot der Sonderschulen, um Schülern mit einer Sehbeeinträchtigung den Zugang zu Bildung in der Allgemeinen Schule zu ermöglichen. Ausgehend von einer fundierten Diagnostik beraten wir Schüler, ihre Eltern und Lehrkräfte. Wir unterstützen die individuelle Förderung zur größtmöglichen Selbstständigkeit mittels Umsetzung eines spezifischen Curriculums.
Wie läuft ein Arbeitstag ab?
Die Arbeit ist sehr vielfältig. An Beratungstagen erfolgt nach einer Unterrichtshospitation die Beratung der Lehrkräfte vor Ort. Es geht darum, wie der Unterricht, die Materialien und oder der Arbeitsplatz so gestaltet werden können, damit die Teilhabe am Schulalltag und der Zugang zu den Bildungsinhalten gelingt. Auch erklären wir, wie Unterrichtsmaterialien sehbehinderten- oder blindenspezifisch angepasst werden. Hilfsmittel werden ausgewählt und der Umgang damit geschult. Dann werden beim Hausbesuch aktuelle Fragen mit den Eltern und Schülern besprochen. Unser Beratungsgebiet erstreckt sich über 15 Landkreise, so dass wir sehr viel mit dem Auto unterwegs sind. Alle zwei Wochen treffen sich die Kollegen und Kolleginnen zur Teamsitzung in Stuttgart zur kollegialen Fallberatung, Fortbildungsplanung, organisatorischen Fragen und der Absprache von Abläufen.
Unterrichten Sie also gar nicht selbst?
Nein, es gehört zu meinen Aufgaben, den Schülern sehbehinderten- und blindenspezifische Inhalte zu vermitteln, wie unter anderem den Umgang mit Hilfsmitteln. Ein Schüler benötigt zum Beispiel derzeit eine Tafelkamera, da das Monokular (Fernglas) bei steigendem Tempo und mehr Text an Tafel und Beamer nicht mehr ausreicht. Dabei begleite ich den ganzen Prozess, angefangen bei der Diagnostik des Sehens, über die Auswahl des Gerätes bis hin zur Einführung in die Handhabung. Zudem verfasse ich Stellungnahmen, um die Beantragung bei der Krankenkasse oder dem Sozialamt durch die Eltern zu unterstützen. Noten gebe ich also keine. Gemeinsam mit Schülern, Eltern und Lehrern werden sehbehinderten- oder blindenspezifische Förderziele vereinbart und geklärt, wer dabei welche Aufgabe übernimmt.
Wie gehen Sie das konkret in der Schule an?
Zu Beginn des Schuljahres gestalte ich eine Simulationsstunde, bei der die Klassenkameraden mit einer entsprechenden Simulationsbrille, die die Sehbehinderung des Schülers simuliert, verschiedene Aufgaben ausprobieren können. So können sie sein Handicap besser nachvollziehen. Auch mit den Lehrern führe ich das in der Klassenkonferenz zu Beginn des Schuljahres durch. Ein anderes Beispiel ist die Beratung zur Adaption von Material, damit die Lehrer wissen, was für den jeweiligen Schüler hilfreich ist. Hier erkläre ich, wie zum Beispiel ein taktiles Arbeitsblatt gestaltet wird oder an eine Sehbehinderung angepasst visuell gestaltet werden kann. Die Einrichtung des Arbeitsplatzes ist dabei immer wichtig und ebenfalls individuell anzupassen. Für einige Schüler mit Sehbehinderung ist es gut, wenn sie eine möglichst helle Beleuchtung haben. Bei vielen ist jedoch zusätzlich wichtig, dass sie nicht geblendet werden, da sie stark blendempfindlich sind. Sie können in einer etwas abgedunkelten Arbeitsumgebung besser arbeiten.
Werden den Inklusionsschülern andere Lehrstoffe vermittelt?
Alle meine Schüler sind ja zielgleich unterrichtet. Das bedeutet, dass die Lerninhalte in den Anforderungen nicht heruntergesetzt werden dürfen und sie die gleiche Abschlussprüfung schreiben. Sie können dem Bildungsgang der Schule, die sie besuchen, folgen. Diese Form des gemeinsamen Unterrichts findet schon seit über 40 Jahren im Bereich der Blinden- und Sehbehindertenpädagogik erfolgreich statt.
Allerdings haben sie einen Anspruch auf den sogenannten Nachteilsausgleich. Das bedeutet, dass die Schüler mit einer Seheinschränkung Hilfsmittel verwenden dürfen und Aufgaben ihrem Sehvermögen entsprechend aufbereitet werden. Prüfungen werden manchen Schülern auch digital zur Verfügung gestellt, da sie damit besser arbeiten können. Zudem hat jeder Schüler entsprechend seiner Seheinschränkung zusätzlich sein eigenes, spezifisches Curriculum. Dieses umfasst individuell Inhalte aus dem Bereichen Sehförderung, Wahrnehmung und Lernen, Orientierung und Mobilität, lebenspraktische Fähigkeiten, technische Hilfsmittel, Lebensplanung, Beruf und Freizeit sowie soziale Kompetenz.
Wie funktioniert die Kooperation mit den Lehrern?
Die Häufigkeit meiner Besuche richtet sich nach dem Förderbedarf des einzelnen Schülers. Dies kann in Einzelfällen wöchentlich sein, meist sind die Abstände jedoch größer. Das bedeutet, dass wir seltener vor Ort sind, die Beratung der Schwerpunkt der Zusammenarbeit ist und nicht das gemeinsame Unterrichten. So gibt es zum Beispiel zu Schuljahresbeginn eine Konferenz mit allen Lehrern, die "meine" Schüler unterrichten. Dort erläutere ich die medizinische Diagnose und ihre Auswirkungen, gebe didaktische Hinweise und mache Vorschläge, welcher Nachteilsausgleich sinnvoll wäre. Dann folgen die Beratungstage und die Unterstützung im Schullalltag wie beschrieben. Für unsere Beratung ist es wichtig, systemisch beraten zu können. Dafür hospitiere ich in verschiedenen Schulfächern und besuche den Schüler auch zu Hause, um ein umfassendes Bild der Situation zu bekommen.
Wie reagieren die Klassen und die Lehrer auf Ihre Präsenz?
Die Beratung wird als hilfreich erlebt. Natürlich brauchen diese Schüler mehr Aufmerksamkeit. Daher müssen die Lehrer(innen) mehr Zeit investieren, zum Beispiel für Besprechungen und differenziertere Unterrichtsvorbereitung, bei der auf den Schüler mit Seheinschränkung eingegangen werden muss. Für die Klasse ist es zu Beginn des Beratungsprozesses sicher ungewohnt. Aber das normalisiert sich schnell und wird zur Routine. Dabei helfen die schon erwähnten Simulationsstunden sehr.
Wie läuft die Kooperation mit "ihren" Schülern?
Die Kooperation ist sehr unterschiedlich und hängt auch sehr vom Unterstützungsbedarf ab. Ein blinder Schüler braucht die Unterstützung des Sonderschullehrers intensiver. In jedem Fall sind wir immer im Gespräch mit den Schülern, um die Unterrichtsmaterialien bestmöglich adaptieren zu können. Man kann aber keine allgemeingültige Aussage treffen. Jeder Mensch, jede Behinderung und jedes Setting ist unterschiedlich.
Welche Vorteile hat diese Art der zielgleichen Inklusion?
Dass die Schüler an ihrem Wohnort zur Schule gehen können, statt mit dem Taxi weite Strecken zu fahren oder im Internat einer Schule für Sehbehinderte und Blinde zu wohnen. Sie bleiben im familiären Umfeld. Gleichzeitig müssen wir bei jedem schauen, wie die Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche schulische, aber auch soziale Teilhabe sichergestellt werden können. Hier betrachten wir die Persönlichkeit, den eigenen Umgang mit der Behinderung und prüfen, ob die Voraussetzungen in der Schule geschaffen werden können, auf den Schüler einzugehen und ein barrierearmes Lernen zu ermöglichen. Ganz wichtig ist die Unterstützung der Eltern.
Gibt es auch einen Haken?
Wir dürfen einen wichtigen Aspekt nicht vergessen: Der Schüler wird sich immer mit Klassenkameraden messen, die keine Behinderung haben. Da kann es passieren, dass die eigenen Stärken nicht erlebt werden können und die Defizite im Vordergrund stehen. Ich muss als beratende Sonderschullehrerin immer ein Auge darauf haben, wie es meinen Schülern in der Regelschule geht.
Wie weit sind wir auf dem Weg zu inklusiven Schulen?
Die Vielfalt der Lernenden ist ein Gewinn für alle
Das Insolvenzverfahren kann ein Segen sein
Ein Gewinn für Bedürftige und Förderer
Der Aufsichtsratschef als Vermittler
Abwegige Sparmaßnahmen
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