Die Versorgung dementer Patienten ist oft nicht gesichert
Im Pflege-Thermometer 20141 hat das Deutsche Institut für angewandte Pflegeforschung e.V. (dip) Stationsleitungen aus Krankenhäusern in ganz Deutschland zur Situation und Versorgung von Menschen mit Demenz befragt. Es handelt sich um Krankenhäuser mit mindestens 100 Betten. Ausgeschlossen wurden psychiatrische Krankenhäuser, Kinderkliniken und Rehabilitationseinrichtungen. Insgesamt konnten 1844 Fragebögen ausgewertet werden. Die Gesamtbettenzahl (65.765) der teilnehmenden Stationen entspricht circa 15 Prozent aller in den Grunddaten der Krankenhäuser für 2013 vom Statistischen Bundesamt angegebenen Betten von Allgemeinkrankenhäusern.
Grundsätzlich ist in den vergangenen Jahren in den Krankenhäusern eine Zunahme älterer Patient(inn)en festzustellen. Lag der Anteil der über 75-jährigen Patient(inn)en im Jahr 2000 noch bei 18 Prozent, so stieg er bis 2012 bereits auf 25 Prozent an. Damit verbunden ist auch, dass die Behandlung von Menschen mit kognitiven Störungen zunimmt. Die Angaben in der Literatur über Menschen mit Demenz in Krankenhäusern sind sehr widersprüchlich. In der amtlichen Krankenhausstatistik des Bundes für das Jahr 2010 werden nur 0,2 Prozent der Krankenhausfälle mit einer Diagnose Demenz2 ausgewiesen. In internationalen Studien hingegen wurde eine Krankheitshäufigkeit von 3,4 bis 43,3 Prozent beschrieben.3
Orthopädische Stationen mit geringster Demenzrate
Im Pflege-Thermometer 2014 lag die stichtagsbezogene Häufigkeit von an Demenz erkrankten Personen über alle Stationen hinweg bei 23 Prozent, wobei sich große Unterschiede zwischen den Fachbereichen ergaben. Der niedrigste Wert wurde auf orthopädischen Stationen mit zwölf Prozent angegeben, der höchste Wert mit 68 Prozent auf Stationen, die sich auf die Behandlung von Menschen mit Demenz besonders spezialisiert haben. Nur 4,1 Prozent der Stationen hatten keine Patient(inn)en mit einer Demenzerkrankung im letzten Frühdienst der stichtagsbezogenen Erhebung. Daraus lässt sich schließen, dass nahezu alle Fachbereiche mit an Demenz Erkrankten konfrontiert sind und die Problematik fachübergreifend von hoher Relevanz ist. Das zeigt sich auch in der Bewertung der Leitungskräfte. In einem Ranking der derzeit wichtigsten pflegerischen Themen wird die Versorgung von Menschen mit Demenz an dritter Stelle hinter der Umsetzung des Pflegekomplexmaßnahmen-Scores, also der Erfassung aufwendig zu versorgender Patienten im Krankenhaus, und der Optimierung der Pflegedokumentation platziert.
Versorgung ist durch knappes Personal begrenzt
Ein zentraler Schlüssel für die Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz ist die Personalbesetzung auf der Station. Den Ergebnissen der hier beschrieben Studie zufolge versorgte eine Pflegefachkraft durchschnittlich 8,7 Patient(inn)en im Frühdienst, im Spätdienst sogar durchschnittlich 11,8. In der Nachtschicht sind es 23,5 Patient(inn)en. Die Ergebnisse bestätigen frühere Erhebungen4,5 und verweisen auf eine im europäischen Vergleich eher niedrige Personalausstattung in den deutschen Krankenhäusern. Vor diesem Hintergrund lässt sich die Möglichkeit einer individuellen Versorgung von pflegeaufwendigen Patient(inn)en, wie zum Beispiel mit Demenzerkrankung, infrage stellen. Dies spiegelt sich auch bei der Einschätzung zur Versorgungssicherheit aus der Perspektive der Befragten wider. In den Kernarbeitszeiten (vormittags an Werktagen) sehen bereits 25 Prozent der Leitungen die Versorgung als nicht mehr gesichert an. In der nächtlichen Betreuung werden die größten Defizite beschrieben: In nur einer von fünf Stationen wird die Versorgungssituation als gesichert bezeichnet. Pflegende erleben die daraus resultierenden Schwierigkeiten als beruflich stark belastend. So empfinden 66,9 Prozent der Stationsleitungen es als belastend, dass Patient(inn)en unbemerkt die Station verlassen könnten, 59,9 Prozent sorgen sich, dass Patient(inn)en unbeaufsichtigt aufstehen könnten.
Bettgitter und sedierende Medikamente als Indikatoren
Im Pflege-Thermometer 2014 wurde neben dem subjektiven Unsicherheitsgefühl erhoben, wie oft sich konkrete Problemsituationen innerhalb der letzten sieben Arbeitstage ergeben hatten. Auf der Basis dieser Zahlen wurde geschätzt, wie viele problematische Zwischenfälle bei Menschen mit Demenz im Jahr in Krankenhäusern in Deutschland vorkommen.
In der Auswertung zeigt sich, dass nicht nur Beobachtungsmängel, sondern weitere Problembereiche die Sicherheit der Patient(inn)en infrage stellen. Dies wird unter anderem auch an der hohen Anzahl der freiheitseinschränkenden Maßnahmen (Gabe sedierender Medikamente, Anbringen von beidseitigen Bettgittern, Anbringen von körpernahen Fixierungshilfen) deutlich.
In den vergangenen Jahren wurden in zahlreichen Projekten und Initiativen Maßnahmen für eine verbesserte Versorgung erprobt.6 In der Fläche aber zeigt sich
weiterhin ein großer Handlungsbedarf.
Konzepte werden nur vereinzelt umgesetzt
Der Umsetzungsgrad von den in der Literatur beschriebenen Konzepten kann insgesamt als eher gering betrachtet werden. Am ehesten wurden noch die Zusammenarbeit mit regionalen Einrichtungen der ambulanten und teil- sowie vollstationären Versorgung (22,9 Prozent) und die Schaffung einer Sitzgelegenheit in Nähe des Stützpunktes auf der Station zur besseren Beobachtung (21,4 Prozent) angegeben.
In 19 Prozent der befragten Stationen gab es Niedrigbetten, um Sturzfolgen bei Unruhe und unbeaufsichtigtem Aufstehen zu vermindern. Es haben aber nur 17,2 Prozent der befragten Stationen Möglichkeiten, sehr unruhige Patient(inn)en in Einzelzimmern zu behandeln, um Konflikte zwischen Patient(inn)en mit und ohne Demenz zu vermeiden. Konzepte und Maßnahmen, die sich nur mit größeren strukturellen Veränderungen oder mit umfassenden Schulungen umsetzen lassen, werden wesentlich seltener umgesetzt. Tagesstrukturierende Angebote oder spezielle Ernährungsangebote, wie zum Beispiel eine späte Mahlzeit, um nächtliche Unruhe durch aufkommende Hungergefühle zu vermeiden, finden sich nur auf 9,4 Prozent beziehungsweise 6,5 Prozent der befragten Stationen. Vielmehr dominiert bei allen identifizierten Konzepten der Anteil der Stationen, wo aktuell keine Verbesserungen geplant sind.
Dass das Thema Demenz unter anderem auch in der Krankenhausbehandlung Priorität hat, zeigt sich nicht zuletzt an der Aufnahme des Handlungsfeldes IV, der Verbesserung der Krankenhausversorgung von Menschen mit Demenz, in ein Arbeitspapier der Allianz für Demenz des Bundesgesundheitsministeriums und des Bundesfamilienministeriums. Es wurde in Zusammenarbeit mit Trägern und Verbünden, unter anderem auch der Krankenhausgesellschaft, entwickelt. In dem Maßnahmenkatalog werden zentrale Ziele beschrieben, die nur zu erreichen sind, wenn die Einrichtungen umfassende Änderungen umsetzen. Die Herausforderungen sind benannt. Es mangelt konzeptionell nicht an erprobtem Wissen. Hilfen und praktische Hinweise sind in Handreichungen und Berichten zu finden, wie zum Beispiel in der Handreichung der Arbeitsgruppe der Krankenhäuser der Diözesan-Caritasgemeinschaft für das Erzbistum Köln.7
Anmerkungen
1. Isfort, Michael; Klostermann, Jutta; Gehlen, Danny; Siegling, Bianca: Pflege-Thermometer 2014. Eine bundesweite Befragung von leitenden Pflegekräften zur Pflege und Patientenversorgung von Menschen mit Demenz im Krankenhaus. Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung e.V. (dip): Köln, 2014. Online verfügbar unter www.dip.de
2. Kirchen-Peters, Sabine: Analyse von hemmenden und förderlichen Faktoren für die Verbreitung demenzsensibler Konzepte in Akutkrankenhäusern. Endbericht mit Handlungsempfehlungen an die Deutsche Alzheimer Gesellschaft. Unter Mitarbeit von Herz-Silvestrini, Dorothea und Bauer, Judith. Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft e.V.: Saarbrücken, 2012.
3. Pinkert, Christiane; Holle, Bernhard: Demenz im Krankenhaus. Die fachgerechte Pflege und Betreuung von Patienten mit Demenz im Krankenhaus ist aus den unterschiedlichsten Gründen ein scheinbar kaum zu bewältigendes Problem. In: Die Schwester/Der Pfleger 9/2013.
4. Isfort, Michael; Weidner, Frank et al.: Pflege-Thermometer 2009. Eine bundesweite Befragung von Pflegekräften zur Situation der Pflege und Patientenversorgung im Krankenhaus. Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung e.V.: Köln, 2010. Online verfügbar unter www.dip.de/fileadmin/data/pdf/material/ dip_Pflege-Thermometer_2009.pdf
5. Ausserhofer, Dietmar; Zander, Britta; Busse, Reinhard; Schubert, Maria; De Geest, Sabina; Rafferty, Anne Maria et al.: Prevalence, patterns and predictors of nursing care left undone in European hospitals: results from the multicountry cross-sectional RN4CAST study. In: BMJ Quality & Safety 2/2014, S. 126-135. DOI: 10.1136/bmjqs-2013-002318.
6. Gurlit, Simone: Der alte Mensch im OP. Praktische Anregungen zur besseren Versorgung und Verhinderung eines perioperativen Altersdelirs. Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen; St. Franziskus-Hospital Münster: Düsseldorf, 2012.
7. Isfort, Michael: Menschen mit Demenz im Krankenhaus. Eine Handreichung der interdisziplinären Arbeitsgruppe der Diözesan-Arbeitsgemeinschaft der katholischen Krankenhäuser (DiAG) in der Erzdiözese Köln. Unter Mitarbeit von Gehlen, Danny; Kraus, Sebastian; Busche, Werner und Krause, Oliver. Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln e.V.; Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung e.V.: Köln, 2012. Online verfügbar unter www.dip.de/fileadmin/data/pdf/projekte/Demenz_im_Krankenhaus_Handreichung_Endbericht.pdf
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