Anerkennung tariflicher Personal- kosten nun auch im SGB XII?
Die Fehlende Harmonisierung der Sozialgesetzbücher führt dazu, dass ein Grundsatz, der in einem SGB-Bereich bereits etabliert ist, oft nur durch langwierige rechtliche Umwege in andere Bereiche gelangt. Einrichtungen spüren dies besonders, wenn ihre Finanzen davon abhängen.
Der Grundsatz "Wahrung der Tarifbindung" ist ein typisches Beispiel. Da die Personalkosten circa 80 Prozent der Gesamtkosten ausmachen, ist ihre Refinanzierung für die Einrichtungen entscheidend.
In der ersten Dekade des 21.?Jahrhunderts galt die sogenannte Marktpreisrechtsprechung (Bundessozialgericht - BSG, Urteil vom 14. Dezember 2000, Az. B 3 P 19/00 R). Der externe Vergleich im örtlichen Einzugsgebiet stand im Vordergrund; die Kostenstrukturen etwa aufgrund von Tarifbindung fanden keine Berücksichtigung. Das änderte sich 2009 im SGB-
XI-Bereich mit dem BSG-Urteil vom 29. Januar 2009 (Az. B 3 P 6/08 R), das die sogenannten Marktpreisurteile kippte und Tariferhöhungen für Pflegepersonal als Kostenfaktor anerkannte. Weitere
Urteile und Schiedssprüche bekräftigten diese Entscheidung (BSG-Urteile vom 25. November 2010, Az. B 3 KR 1/10 R, und vom 16. Mai 2013, B 3 P 2/12 R).1
Im Bereich der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung (SGB XII) jedoch wird die Bezahlung nach Tarif noch nicht refinanziert. Das jüngste BSG-Urteil vom 7. Oktober 2015 gibt aber Anlass zur Hoffnung (Az. B 8 SO 19/14 R, Terminbericht Nr. 43/15). In diesem Verfahren war der Schiedsspruch über die Höhe der Vergütung für stationäre Leistungen der Eingliederungshilfe strittig. Der beklagte Träger, die Barmherzige Brüder gGmbH, betreibt eine Wohn- und Fördereinrichtung für Menschen mit Behinderung. Als Mitglied des Caritasverbandes für die Diözese Trier ist die Einrichtung tariflich an
die Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) des Deutschen Caritasverbandes gebunden. Die Einrichtung hatte eine Schiedsstelle angerufen, da die Vergütungsverhandlungen ohne Erfolg geblieben waren. Die Schiedsstelle setzte die Vergütung auf das Niveau der vom Träger beantragten Höhe fest und übertrug bei ihrer Entscheidung die Rechtsprechung des BSG zur Vereinbarung von Pflegesatzvergütungen nach dem SGB XI auf das SGB XII: Die Wahrung der Tarifbindung stehe der Wirtschaftlichkeit der Betriebsführung nicht entgegen. Das Land erhob dagegen Klage beim Landessozialgericht (LSG) Saarland, das den Schiedsspruch aufhob. Das LSG argumentierte, es fehle die Darstellung, dass die festgesetzte Vergütung dem Gebot der Sparsamkeit genüge, das bei Vergütungen nach dem SGB XII zusätzlich zu beachten sei.
Vor dem BSG argumentierte das Land, dass der Wortlaut zwischen SGB XI (Leistungsgerechtigkeit der Pflegesätze, § 84 Abs. 2) und SGB XII (Grundsätze der Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und Leistungsfähigkeit, § 75 Abs. 3) so unterschiedlich sei, dass die Bewertung anders ausfallen könne. Das BSG dagegen weist darauf hin, dass der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit auch im SGB XI verankert ist (§ 84 Abs. 2 Satz 4), das Prinzip der Sparsamkeit sei dabei inbegriffen.
Laut dem BSG ist das Pflegesatzverfahren aus dem SGB XI zwar "nicht nahtlos" auf das SGB XII übertragbar, die Prüfungsgrundsätze gestalteten sich jedoch in beiden Bereichen gleich. Die Schiedsstelle kann das gleiche Prüfungsschema wie im SGB XI anwenden - das BSG bestätigte ihren Schiedsspruch. Die schriftlichen Urteilsgründe sind Mitte November zu erwarten. Bei Redaktionsschluss war noch unklar, ob das BSG der Rechtsprechung zum SGB XI auch im SGB XII volle Wirkung verleiht. Die Erfahrung im SGB-XI-Bereich lehrt zudem, dass sich die Verhandlungspraxis nicht sofort ändert. Doch deuten die Anzeichen darauf hin, dass die Einrichtungen im SGB-XII-Bereich einer verbesserten Refinanzierung der Personalkosten entgegensehen können. Und dann hätte man auch gute Argumente für die Übertragung ins SGB V in der Tasche ...
Anmerkung
1. Vgl. www.iffland-wischnewski.de
„Hier stand einmal ein Krankenhaus“
Neue Bilanzierungsregeln
Hand in Hand mit den Bürgern
Nah bei den Menschen – auch im Netz
Nur vertrauliche Hilfe wirkt
Hinterlassen Sie einen Kommentar zum Thema
Danke für Ihren Kommentar!
Ups...
Ein Fehler ist aufgetreten. Bitte laden Sie die Seite erneut und wiederholen Sie den Vorgang.
{{Reply.Name}} antwortet
{{Reply.Text}}