Gut geführt ist halb gewonnen
Unternehmen müssen sich immer größeren Herausforderungen stellen und sich am Markt behaupten. Auch Verbände und andere soziale oder kirchliche Institutionen müssen den Nutzen für ihre Ziel- beziehungsweise Anspruchsgruppen mehr denn je unter Beweis stellen. Führungskräfte sollen Zielvorgaben erfüllen, Beschäftigte ihr Bestes geben, und das möglichst lange. Diesen Ansprüchen zu genügen ist nicht leicht. Der Druck auf Unternehmen nimmt stetig zu. Stimmen jedoch die Bedingungen und sind die Voraussetzungen für Wohlbefinden und Arbeitsfähigkeit gegeben, erhöht dies signifikant die Chancen, den langfristigen Herausforderungen standzuhalten. Eine wertschätzende Unternehmens- beziehungsweise Organisationskultur, das Leben von gemeinsam getragenen Werten, Anerkennung und respektvoll gelebte Beziehungen untereinander stellen nicht nur das Sozialkapital dar, sondern sind die Grundfesten eines "Gesundheitsklimas". Sie bilden die Voraussetzungen für Leistungsbereitschaft, Innovationskraft und Wertschöpfung in jeglicher Richtung (siehe Grafik: Die zehn wichtigsten Faktoren, die die Zufriedenheit am Arbeitsplatz beeinflussen).
Eine große Herausforderung für Unternehmen und Führungskräfte ist unter anderem die demografische Entwicklung, aufgrund derer es zu einer weiteren Verschärfung des Fachkräftemangels sowie der Zunahme an älteren Beschäftigten kommen wird. Weitere Gestaltungs- und Bewältigungsthemen ließen sich um extern induzierte Faktoren wie Arbeitsverdichtung, paradigmatische Umbrüche, Komplexitätszunahme und vieles mehr ergänzen. Sicher ist bei alledem: Die Ursachen bleiben bestehen. Sie liegen in der Veränderung der Märkte beziehungsweise des Umfeldes und den damit notwendig werdenden Um- beziehungsweise Neuorganisationen, Vernetzungen oder Zusammenschlüssen. Dadurch ausgelöste Stressreaktionen und Ängste sind zumindest krankheitsbegünstigend. Die Organisation beziehungsweise die Führungskräfte haben aber Möglichkeiten, dies positiv zu beeinflussen.
Die logische Konsequenz für viele vorausschauend denkende Unternehmensleitungen wird sein, dass sie dem Thema "gesunde Führung" einen sehr hohen Stellenwert als Wettbewerbs- und teilweise Überlebensfaktor geben und dies entsprechend strategisch gestalten. Den Weg zur "gesunden Führung" ebnet oft ein betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM). Ein BGM lohnt sich auch betriebswirtschaftlich betrachtet.
Schlechte Führung verursacht innere Kündigung
"Gesundes Führen" ist eine wichtige Voraussetzung für gelebte Werteorientierung, überdurchschnittliche Produktivität und organisatorische Wandlungsfähigkeit. Schlechte Führung hingegen kann weitreichende Konsequenzen nach sich ziehen und ist nicht zuletzt für viele Mitarbeiter(innen) der Hauptgrund für eine "innere Kündigung" und nicht selten Anlass für einen Wechsel des Arbeitgebers. Führungskräfte stellen also hier die Schlüsselpersonen der wirtschaftlichen und kulturellen Gesundheit eines Unternehmens dar.
Unternehmen beziehungsweise Organisationen müssen sich mit folgenden Fakten dauerhaft auseinandersetzen, bei denen ihnen nur die Wahl zwischen zielgerichteter Gestaltung oder reaktiver Schadensbegrenzung bleibt:
- Die Kosten, die einem Unternehmen durch Absentismus (krankheitsbedingter Arbeitsausfall) und Präsentismus (Anwesenheit bei eingeschränkter gesundheitlicher Verfassung und verminderter Leistungsfähigkeit) entstehen, liegen nachweislich zwischen 20 und 30 Prozent1 der direkten (positiv und negativ beeinflussbaren) Lohnkosten. Rechnet man die zusätzlichen Begleitkosten wie Produktivitätsrückgang, Fehlleistungen, Unfälle, verminderte Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit, Fluktuation, administrativen und infrastrukturellen Mehraufwand mit ein, können diese Zahlen ohne weiteres nochmals deutlich höher ausfallen. Laut einer Studie entstehen einem Unternehmen Kosten von circa 2400 Euro pro Jahr2, wenn Mitarbeiter(innen) trotz (wirklicher) Krankheit am Arbeitsplatz erscheinen. Demnach verursachen sie doppelt so hohe Kosten wie kranke Beschäftigte, die zu Hause bleiben.
- Absentismus ist erkenntnisgesichert vergleichsweise stark im Sozial- und Gesundheitswesen verbreitet. Laut Fehlzeitenreport 2012 lag der Krankenstand
im Sozial- und Gesundheitswesen bei 5,1 Prozent. Im Vergleich dazu lag der Krankenstand in der Informations- und Kommunikationsbranche bei lediglich 3,3 Prozent.3 - Präsentismus führt mit einer gewissen Verzögerung sehr häufig zum Arbeitsausfall, oftmals wegen des fortgeschrittenen Störungsstadiums mit deutlich längeren Fehlzeiten. Der wirtschaftliche Schaden für Unternehmen entsteht auch vor allem aus dem Absentismus, der aus dem Präsentismus von Mitarbeiter(inne)n resultiert.
- Die Zahl der psychischen Erkrankungen nimmt deutlich zu. Eine psychische Erkrankung (zum Beispiel Burnout oder Überlastungssyndrome) führt im Schnitt zu einem Monat Arbeitsausfall. Die Dauer solcher Erkrankungen ist aber durch das Arbeitsklima erheblich beeinflussbar. Beschäftigte mit psychischen Erkrankungen fehlen statistisch gesehen mehr als doppelt so lange wie Mitarbeitende mit anderen Erkrankungen.
- Verschiedene Studien belegen, dass viele Beschäftigte innerlich gekündigt haben und über 50 Prozent eher Dienst nach Vorschrift machen. Das lässt erahnen, welches Potenzial hier bei entsprechender Handlungsstrategie zu heben ist. Unterstrichen wird diese Annahme noch durch die Tatsache, dass in erster Linie der/die direkte Vorgesetzte von den Betroffenen als Hauptursache benannt wird.
- Das Phänomen der "inneren Kündigung" befindet sich auf dem Höchststand. 84 Prozent der Arbeitnehmer(innen) fühlen sich gar nicht oder nur wenig mit ihrem Unternehmen verbunden.4
- Die Führungsqualität in Organisationen ist oftmals unzureichend beziehungsweise nicht ausreichend, um die neuen Herausforderungen gut meistern zu können. Bei den zunehmenden Verdichtungs- und den permanenten unternehmerischen Entwicklungs- und Anpassungsprozessen wird Führungsqualität aber immer mehr zu einem zentralen Erfolgshebel. In Studien beziehungsweise Befragungen wird immer wieder festgestellt, dass oft deutlich weniger als 40 Prozent der Beschäftigten ihren Vorgesetzten ausreichende Führungsqualitäten bescheinigen.
- Viele Studien belegen, dass sich jeder Euro, der "richtig" in das betriebliche Gesundheitsmanagement investiert wird, um das Mehrfache bezahlt macht.
Führungskraft sollte authentisches Vorbild sein
Ein Unternehmen, das langfristig erfolgreich sein will, wird aufgrund der oben beschriebenen Veränderungen den Themen Gesundheit und gesundes Führen eine personalstrategische Bedeutung geben. Den Verantwortlichen ist bewusst, dass eine wenig fürsorgliche Unternehmenskultur allenfalls vordergründig oder kurzfristig wirtschaftlicher ist. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.
Viel spannender ist allerdings die Frage nach den richtigen Handlungsstrategien. Hier lässt sich mit Überzeugung sagen, dass nur eine Investition in die Leitungskräfte zur Steigerung ihrer Führungsqualität zu langfristig wirksamen und anhaltend positiven Effekten führen wird. Dieser Prozess fängt bei den Führungskräften an, da sie nur überzeugen können, wenn sie von den Beschäftigten als authentisches Vorbild erlebt werden.
Aufgabe der Führungskräfte ist es, die Arbeit als Ursache oder Verstärker von Erkrankungen zu minimieren. Die Fragen, die sich anschließen, sind:
- Wie groß ist das Risiko, an Arbeitsstörungen zu erkranken, wenn man bei einer bestimmten Führungskraft arbeitet?
- Was tut die Organisation beziehungsweise die Führungskraft, um dieses Risiko zu verringern?
Können Organisationen beziehungsweise Führungskräfte Krankheit verhindern? Überwiegend sicher nicht. Führungskräfte handeln in dem Rahmen, den die Organisation vorgibt: Ergonomie, Arbeitszeit-, Arbeitsrechtsregelungen, Angebote zum Stressausgleich oder fachliche Hilfen und dem, was der/die Mitarbeiter(in) mitbringt an Prädispositionen wie Motivationsstruktur, Widerstandsfähigkeit (Resilienz) und Konstitution. Allerdings bleibt jeder Führungskraft ein großes und eigenverantwortliches Gestaltungsfeld, in dem sie dem einzelnen Beschäftigten und der Organisation sehr viel Nutzen, aber auch großen Schaden zufügen kann.
Wichtig sind in diesem Zusammenhang folgende Fragen: - Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Krankheitsaufkommen bei den Beschäftigten und der jeweils zuständigen Führungskraft?
- Von welchen Führungskräften, die ihre nachgeordneten Beschäftigten "krank machen", trennt man sich?
- Welche Maßnahmen ergreifen Organisationen, um ihre Führungskräfte für "gesundes Führen" fit zu machen?
Gesunde Führung hat zwei wichtige Handlungsfelder
Erstens: Was kann eine Führungskraft tun, damit Krankheiten oder innere Kündigung erst gar nicht entstehen (präventive Führung)? - Achtsamkeit bei der Aufgabenbeschreibung (Über-/Unterforderung) und bei Delegationsprozessen;
- klar geäußerte Erwartungen und differenziertes, ehrliches Feedback;
- richtige und rechtzeitige Vorbereitung sowie dialogbereite Kommunikation von Veränderungen;
- der emotionalen Sicherheit und der Vertrauenskultur einen hohen Wert beimessen;
- die Unterstützung eines betrieblichen Gesundheitsmanagements sowie die Motivierung der Mitarbeitenden zur aktiven, gezielten Nutzung der Angebote.
Zweitens: Was muss eine Leitung tun, wenn ein(e) Mitarbeiter(in) wegen häufig wiederkehrender Erkrankung ausfällt (begleitende Führung)? - Früh Veränderungen erkennen und angemessen thematisieren. Hierzu beispielsweise auch Feedback- oder Rückkehrgespräche nutzen;
- zur passenden Zeit Dritte einschalten;
- Angebote zur temporären oder dauerhaften Veränderung der Zeit-, Aufgaben- und Ablaufstruktur machen;
- ein betriebliches Gesundheitsmanagement unterstützen sowie die Mitarbeitenden zur gezielten Nutzung der Angebote aktivieren.
Es bleibt die Frage, wie eine Organisation den Einstieg in die gesunde und wertschätzende Führung und Personalpflege finden kann. In Führungskräfteklausuren oder -workshops werden, ausgehend von der Selbstreflexion des eigenen Umgangs mit sich selbst, das Führungsverständnis und -verhalten sowie die individuelle Führungsarbeit in den Fokus genommen. Daraus lassen sich unternehmensspezifische Maßnahmenpakete erstellen, die idealerweise auf einer Unternehmensvision und Führungsgrundsätzen basieren. Flankiert durch personalstrategische Aktivitäten (beispielsweise betriebliches Eingliederungsmanagement, Rückkehrgespräche, betriebliches Gesundheitsmana- gement und vieles mehr) können diese Schritte wirksam gestützt beziehungsweise gelenkt werden.
Für die Beschäftigten braucht es gezielte und wirksame Angebote. Hier ist nicht die Dauer, sondern teilweise Individualität und Passgenauigkeit der eingesetzten Programme wichtig. Wenige, sehr zielgerichtete und erfolgsgesicherte Teilschritte sind oftmals mehr als viele, teilweise fehlgeleitete Aktivitäten nach Zeitplan.
Die Beschäftigten müssen erleben, dass ihre Vorgesetzten ambitioniert und aktiv, mit angemessener Sensibilität, aber auch mit der nötigen Klarheit, Verbindlichkeit und Konsequenz handeln. Dieses Leitungsverhalten kann anfangs zu Irritationen führen. Mittelfristig zahlt es sich jedoch aus, wenn die Prozesse mit einer hohen Authentizität, auf Basis eines gemeinsamen Führungsverständnisses und durch ein klares und glaubwürdiges Bekenntnis der obersten Leitungsebene gestaltet werden.
Krankenkassen beteiligen sich finanziell
Oftmals können Krankenkassen gewonnen werden, sich im Rahmen von BGM-Projekten nennenswert an den Kosten (Präventionsmaßnahmen, externe Prozessbegleitung und anderes) zu beteiligen. Um hier einen nachhaltigen Organisationsentwicklungseffekt erzielen zu können, lassen die Krankenkassen oftmals derartige Prozesse durch erfahrene externe Expert(inn)en begleiten.
Führungskräfte ihrerseits sind natürlich ebenfalls Beschäftigte, die unter permanenter Belastung stehen und denen auch die Fürsorge des Unternehmens zuteil werden sollte. Es bedarf eines gegenseitigen Verständnisses auf allen Ebenen und hin und wieder eines Perspektivwechsels, damit das Projekt "Gesund führen" nachhaltig gelingen kann.
Anmerkungen
1. http://karriere-journal.monster.ch; Suchwort: "Präsentismus" (Überschrift: "Sich krank zur Arbeit schleppen")
2. www.karriere-job-infos.de/krank-arbeit-volkswirtschaftliche-schaeden;
www.manager-magazin.de/unternehmen/karriere/a-767083.html
3. Quelle: Badura et al. (Hrsg.): Fehlzeiten-Report 2012. Zahlen, Daten, Analysen aus allen Branchen der Wirtschaft. Berlin/Heidelberg:?Springer Verlag, 2012, S. 29.
4. ww.welt.de/wirtschaft/article126409764/Innere-Kuendigung-kostet-Wirtschaft-118-Milliarden.html (31. März 2014)
Keine Entwarnung
Aufsichtsräte brauchen Rückgrat
Gesunde Führung setzt auf Vertrauen und Dialog
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