Eine neue Unternehmenskultur steht an
Mit Leitkonzepten wie der Sozialraumorientierung, der Inklusion oder der Personenzentrierung verbindet sich für die Unternehmen der Sozialwirtschaft ein grundlegender Wandel: Nicht länger geht es darum, bestimmte Hilfestrukturen - gebunden an feste Orte und Angebotsformen - vorzuhalten. Vielmehr steht die individualisierte Hilfe im Mittelpunkt. Parallel dazu ist eine zunehmende Emanzipation der Kund(inn)en zu beobachten. Zwar bleibt die Sozialwirtschaft weiter eine eher komplexe und intransparente Branche. Aber in Zeiten des Internets sowie eines flächendeckenden Netzes an Beratungsstellen stehen vielen Hilfebedürftigen und ihren Angehörigen deutlich mehr Informationen zur Verfügung als früher. Dies führt unter anderem dazu, dass die betroffenen Menschen heute sehr viel genauer wissen, was ihnen zusteht, wie und wo sie die Hilfe erhalten und welche Leistungen sie gegebenenfalls als Selbstzahler(innen) hinzubuchen können.
Dies bedeutet nicht weniger als einen Paradigmenwechsel. Wo früher die Menschen in großen Leistungseinheiten, in der Eingliederungshilfe beispielsweise in den klassischen stationären Behindertenwohneinrichtungen, mit "Standardleistungen" (Wohnen, Freizeit, Arbeit) versorgt wurden, werden heute stationäre Einrichtungen abgebaut und Angebote ambulantisiert.
Unternehmensentwicklung deutlich differenzierter
Nach Ende des Selbstkostendeckungsprinzips entwickelten sich die zugrunde liegenden Geschäftsmodelle in der Eingliederungshilfe im Vergleich zu anderen Marktsegmenten der Sozialwirtschaft eher langsam weiter. Mit der Personenzentrierung müssen nun neue Angebote und Geschäftsmodelle (zum Beispiel Beratung oder Leistungskoordination) entwickelt und mit den Kostenträgern verhandelt werden. Technische und organisatorische Innovationen (wie zum Beispiel das Konzept des "Ambient Assisted Living", AAL) spielen dabei eine wichtige Rolle. Diese Entwicklung geht zudem einher mit neuen Refinanzierungsmodellen - die Kund(inn)en erhalten nun ihr eigenes Budget.
Damit verändert und erweitert sich das Angebotsportfolio insgesamt. Dies ist jedoch auch verbunden mit einer zunehmenden Differenzierung des Angebots. Klassische stationäre Angebote verlieren an Bedeutung, größere Komplexeinrichtungen werden zunehmend zurückgebaut (zusammengefasst unter dem Stichwort "Konversion"). Auf die Caritasträger kommt dabei die besondere Schwierigkeit zu, dass sie aufgrund des "Zerpflückens" der vorher komplexen Angebote insbesondere bei den niedrigschwelligeren nicht-fachlichen Angebote Probleme haben dürften, diese selbst am Markt zu platzieren. Deshalb sind sie zwingend auf Kooperationen angewiesen. Es wird somit zukünftig einen ganz anderen "Welfare Mix" geben. Ein einzelner Anbieter wird zukünftig kaum noch das Gesamtangebot vorhalten. Die Grenzen zu anderen Leistungserbringern (Unternehmen, Organisationen, aber auch Privatpersonen) verschwimmen, Kooperation und Vernetzung gewinnen an Bedeutung. Ein übergeordneter Erfolgsfaktor für das Gelingen der notwendigen Veränderungen ist, eine Innovations- und Veränderungskultur im Unternehmen einzuführen.
Marktbearbeitung ist zu intensivieren
Die skizzierte Differenzierung des Leistungsangebots und die damit einhergehende intensivere Mitwirkung der Kund(inn)en (beispielsweise durch Übertragung von Budgets) verändern die Kundenschnittstellen. Dadurch wird auch die Marktbearbeitung komplexer.
Bezogen sich in Zeiten eher starrer Angebotssegmente und einer überschaubaren Wettbewerbssituation fast sämtliche Marketingaktivitäten vor allem auf die institutionellen Kund(inn)en, rücken nun bei einer höheren Anbietervielfalt die Endkund(inn)en zunehmend in den Blick. Damit gibt es neue Aufgaben für das Marketing. So gewinnen im strategischen Marketing plötzlich Kundenbedürfnis- und Konkurrenzanalysen an Bedeutung. Im operativen Marketing sind gänzlich neue Marketing- und Vertriebsprozesse zu entwickeln, um institutionelle und Endkund(inn)en im personenzentrierten System zu erreichen. Um das Leistungsangebot zu differenzieren, muss letztlich ein gänzlich neuer "Marketingmix" (aus Produkt, Preis, Vertrieb, Kommunikation) erarbeitet werden. Kundengewinnung und -bindung wird zukünftig Aufgabe jedes Mitarbeitenden sein. Auch dies muss Teil der Unternehmenskultur werden.
Personaleinsatz wird zum Erfolgsfaktor
Die Ausdifferenzierung des Leistungsspektrums spiegelt sich auch in der täglichen Arbeit wider. Die bisherigen "Standardleistungen" (Wohnen, Freizeit, Arbeit) werden auf die individuellen Bedürfnisse des Kunden zugeschnitten und damit in kleinere und kleinste Leistungseinheiten aufgegliedert. Hinzu kommen deutlichere Schwankungen des Auftragsbestandes. Damit wird das Thema "Effizienz" immer wichtiger - auch vor dem Hintergrund einer größer werdenden Deckungslücke zwischen weiterhin steigenden Personalkosten und nicht adäquat nachverhandelbaren Entgelten.
Einem möglichst flexiblen Personaleinsatz kommt dabei entscheidende Bedeutung zu. Die Mitarbeiter(innen) müssen dort sein, wo die Menschen sind - und zwar genau zu den Zeiten, an denen sie da sind. Das mag sich zwar geradezu profan anhören, entspricht aber noch nicht überall der Realität. Ein so veränderter Personaleinsatz bedeutet:
- eine andere Dienstplanung (kurzfristige Einsatzplanung statt langfristige Schichtplanung) und damit
- andere Arbeitszeiten (in Verbindung mit einem deutlich höheren Anteil an Teilzeitkräften);
- aber auch andere Arbeitsorte (in der Regel nah an der eigenen Häuslichkeit des Kunden) sowie
- einen anderen Qualifikationsmix (mit einem höheren Anteil an Nicht-Fachkräften).
Für die in vielen Segmenten stark stationär geprägten Mitarbeitenden bedeutet dies eine erhebliche Umstellung. Neben der Qualität der Leistung muss zukünftig verstärkt auch die Wirtschaftlichkeit in den Blick genommen werden.
Zugleich werden sehr hohe Anforderungen an die Personalsteuerung durch
die operativ Verantwortlichen gestellt. Zentrale Steuerungsgrößen sind zukünftig individuelle Vorgabezeiten zur Leistungserbringung auf Basis eines individuell ermittelten Kalkulationssatzes je Stunde und Mitarbeiter(in) (nach Qualifikation)1 sowie die bestmögliche Arbeitsteilung zwischen Fachkräften und Ergänzungs- oder Verwaltungskräften (unter Ausnutzung zugelassener "Nicht-Fachkraft-Quoten").
Die Träger müssen dafür die organisatorischen Grundlagen schaffen. Zu diesen gehören insbesondere flexible Arbeitszeitmodelle, Arbeitszeitkonten sowie Feinsteuerungsinstrumente wie beispielsweise der Einsatz einer mobilen Datenerfassung wie in der ambulanten Pflege.
Veränderungen spiegeln sich auch in der Verwaltung wider
Die beschriebenen Anpassungen führen einerseits zu erhöhten Anforderungen an die zentralen Personaldienstleistungen. So gibt es beispielsweise insgesamt mehr Verwaltungsvorgänge mit mehr Personal und teilweise mehr Befristungen. Es wird zudem zu mehr Um- und Versetzungen kommen. Dienstplanung und -abrechnung werden insgesamt komplexer.
Aufgrund der differenzierten Leistungspakete wird auch das Rechnungswesen komplizierter. Es gibt einen höheren Aufwand in der Fakturierung (unter anderem durch Abrechnung von Fachleistungsstunden oder Leistungskomplexen statt Tagessätzen). Gegebenenfalls ist bei der Fakturierung auch notwendig, zwischen den Qualifikationsstufen der eingesetzten Mitarbeitenden zu differenzieren. Aufgrund einer deutlich höheren Anzahl an dezentralen Einheiten gibt es zum Beispiel mehr Kostenstellen oder Rechnungseingangsadressen.
Aufgrund der Notwendigkeit zur intensiveren Steuerung gibt es einen höheren Aufwand bei unterjährigen Abgrenzungen, zum Beispiel durch ein differenzierteres Nachhalten der Mehrstundenentwicklung im ambulanten Bereich.
Strukturen müssen angepasst werden
Insgesamt wird die Erbringung und Steuerung der Leistungen immer komplexer. Daher müssen bestehende Strukturen und Prozesse angepasst werden:
- Ein aussagekräftiges Finanz- und Leistungscontrolling schafft die notwendige Transparenz über die wirtschaftliche Situation;
- die Steuerung ist insgesamt zu systematisieren und intensivieren - auch außerhalb der eigenen Unternehmensgrenzen;
- die Einführung geeigneter Steuerungssysteme und der dafür notwendigen EDV-Lösungen schafft dafür die notwendigen Voraussetzungen;
- das ganze Unternehmen muss stärker auf den Markt und die Marktbearbeitung hin ausgerichtet werden;
- insgesamt muss ein ganzes neues Bewusstsein für die anstehenden Veränderungen geschaffen werden.
Neben rein organisatorischen Anpassungen wird es entscheidend darauf ankommen, die strategische Personalarbeit so zu gestalten, dass die notwendigen Veränderungen tatsächlich auch eine andere Unternehmenskultur mit sich bringen.
Anmerkung
1. Dabei geht es nicht um die Frage, was den den Mitarbeiter(inne)n gezahlt wird, sondern wie sie am Markt "verkauft" werden. Dafür ist eine Aufschlagskalkulation nötig, in die neben die Personalkosten auch Sach- und Overheadkosten sowie ein Gewinnaufschlag einfließen.
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