Dissoziale Jugendliche: Erziehungshilfen bedingt wirksam
Kinder und Jugendliche mit dissozialen Auffälligkeiten wie Gewaltbereitschaft, Reizbarkeit, Wutausbrüchen und Bedrohung anderer sind eine zentrale Klientel der Hilfen zur Erziehung (HzE): In rund 35 Prozent der neu begonnenen Hilfen lag eine dissoziale Störung vor, in rund 40 Prozent wurde aggressives Verhalten als interventionsbedürftige Symptomatik angesehen. Diese Anteile waren in den letzten fünf Jahren fast konstant.1
Welche Effekte in der Arbeit mit dissozialer Klientel erreicht werden, zeigen die Ergebnisse von drei spezifischen pädagogisch-therapeutischen Ansätzen:
- Das Zandwijk-Projekt in den Niederlanden verdeutlichte mit einem methodisch anspruchsvollen Kontrollgruppendesign, wie schwer dissoziales Verhalten bei Jugendlichen zu beeinflussen ist.2 Jugendhilfeergänzende Psychotherapie reduzierte dissoziales Verhalten nicht, wirkte sich aber positiv auf die Entwicklung in der Ausbildung und von stabilen Partnerschaften aus.
- Ermutigendere Ergebnisse liegen über die "Kurt-Hahn-Gruppe" in Dormagen vor, eine intensivpädagogische Gruppe für schwer dissoziale Jungen mit zumeist langer, gescheiterter Jugendhilfekarriere. In der kontrollierten Studie zeigten sich besondere Effekte beim Abbau von Distanzstörungen sowie beim Aufbau eines kompetenten Sozialverhaltens. Auch bei aggressiv-oppositionellen und delinquenten Verhaltensweisen konnten sehr gute Ergebnisse erzielt werden.3
- Auch Stadler4 berichtet in seiner Untersuchung zu dissozialen Mädchen in intensivtherapeutischer individuell-geschlossener Heimunterbringung über positive Effekte vor allem bei Konfliktfähigkeit und schulbezogenen Verhaltensweisen.
Diese Evaluationen zeigen, dass einzelne intensiv- beziehungsweise individualpädagogische Hilfen positive Entwicklungen begünstigen können. Wie sieht aber das Bild in den HzE insgesamt aus Eine EVAS-Auswertung5 zeigt anhand einer Gegenüberstellung der Hilfeergebnisse von dissozial auffälligen jungen Menschen und einer Vergleichsgruppe mit andersgeartetem Hilfebedarf, dass es sich hier um eine Gruppe handelt, welche die Jugendhilfe vor große Herausforderungen stellt. Trotz schwieriger Ausgangskonstellation verdeutlichen die Befunde, dass auch hier durchaus respektable Wirkungen erzielt werden. Statistische Vorhersagemodelle zeigen sogar, dass selbst bei ungünstigem Hilfeverlauf noch mit recht guter Erfolgsaussicht gegengesteuert werden kann.
Als besonders effektiv hat sich in vielen Studien eine verstärkte Kooperation der Hilfeadressaten erwiesen: Je mehr es gelingt, diese als aktive "Koproduzenten" in den Hilfeprozess einzubinden, umso erfolgreicher verlaufen die Hilfen. Die dissozialen Kinder und Jugendlichen weisen allerdings eine signifikant geringere Kooperation auf als die Vergleichsgruppe. Die Sorgeberechtigten dagegen kooperieren überdurchschnittlich gut.
Prozessuale Besonderheiten erzieherischer Hilfen für dissoziale Kinder und Jugendliche sind:
- signifikant mehr Hilfeplangespräche;
- mehr einzelfallbezogene einrichtungsinterne Interventionsplanungen;
- höherer mittlerer Stundenumfang der zielgerichteten und hilfeplanrelevanten kindbezogenen Interventionen in Alltagspädagogik, Lernförderung, ressourcenorientierte Pädagogik, Psychotherapie und Entspannungsverfahren;
- höherer Umfang der familienbezogenen Interventionen.
Diese umfangreicheren Interventionen drücken sich auch in um zehn Prozent höheren Gesamtkosten der Hilfe aus.
Auf den ersten Blick werden in den HzE mit dissozialer Klientel überdurchschnittliche Effekte erreicht. Dies gilt besonders für die Stärkung der Ressourcen, aber auch für die Reduzierung der Defizite. Ein zweiter Blick verdeutlicht allerdings ein ähnliches Ergebnis wie beim Zandwijk-Projekt: So sind etwa für
die typischen Problemlagen "schulische Leistungsschwäche", "Aufmerksamkeitsdefizit/Impulsivität", "Delinquenz" sowie "Bindungsverhalten" gegenüber der Vergleichsgruppe keine signifikant höheren "Einzeleffekte" zu verzeichnen. Stattdessen gelingt es, Begleitsymptome überdurchschnittlich zu reduzieren. Dabei handelt es sich um die Bereiche "Zwänge", "psychosomatische Symptome", "Schulangst" und Stimmungsprobleme".
Anmerkungen
1. Institut für Kinder- und Jugendhilfe: EVAS-Highlights 2009. Institut für Kinder- und Jugendhilfe: Mainz, 2009.
2. Van Engeland, Herman; Matthys, Walter: Ergebnisse von Jugendhilfe-Maßnahmen bei dissozialen Störungen. Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie, 26, 1998, S. 63-69.
3. Scholten, Hans; Hoff, Bjoern; Klein, Joachim; Macsenaere, Michael: Kick-Off-Gruppen: Intensive Pädagogik für eine extreme Klientel. Unsere Jugend, 57 (3), S. 131-141, 2005.
4. Stadler, Bernhard: Therapie unter Zwang - ein Widerspruch? Intensivtherapie für dissoziale Jugendliche im geschlossenen Mädchenheim Gauting. Marburg: Tectum, 2009.
5. Institut für Kinder- und Jugendhilfe: a.a.O.
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