Befragung widerlegt Klischees über Alleinerziehende
Alleinerziehende sind seit einigen Jahren stärker in den Fokus von Politik und öffentlicher Arbeitsverwaltung geraten. Allgemein geht es dabei um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, deren Akzeptanz eng mit dem Familienbild zusammenhängt. Zeigen die empirischen Befunde eine starke Erwerbsorientierung der Alleinerziehenden allgemein, so sind für die Teilgruppe der Alleinerziehenden, die Leistungen nach SGB II beziehen, das Familienbild und die Erwerbsorientierung nicht so gut untersucht. Anhand einer Projektevaluation1 werden in diesem Beitrag Ergebnisse zum Familienbild von deutschen Alleinerziehenden, die Arbeitslosengeld II beziehen, vorgestellt.
Hinsichtlich der Integration von arbeitsuchenden Alleinerziehenden im Rechtskreis des SGB II in Arbeit oder Ausbildung ist relevant, inwieweit diese eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf vor dem Hintergrund ihres Familienbildes akzeptieren. Für die Evaluation wurde diese Fragestellung anhand von sechs Fragen operationalisiert, also messbar gemacht.2 Sie beschreiben ein traditionelles Familienbild als eine Präferenz der Mütterlichkeit gegenüber einer Berufstätigkeit.
Die Merkmale des traditionellen Familienbildes korrelieren positiv mit folgenden Aussagen:
- "Arbeitende Mütter schaden ihren Kindern";
- "Der Mann soll arbeiten, die Frau zu Hause bleiben";
- "Das Kleinkind leidet, wenn die Mutter berufstätig ist";
und sie korrelieren negativ mit folgenden Aussagen:
- "Für ein Kind ist es gut, wenn die Mutter berufstätig ist";
- "Berufstätige Mütter sind genauso gute Mütter wie nicht berufstätige";
- "Eine Frau kann Karriere machen und eine gute Mutter sein".
Das Familienbild steht in einem Zusammenhang mit der Erwerbsorientierung. Diese wurde unter anderem mit der Frage nach der Wichtigkeit einer Berufstätigkeit für die befragte Person operationalisiert.
Die hier referierten Ergebnisse stammen aus der abgeschlossenen Evaluation des Projekts "Kompetenzzentrum für Alleinerziehende" (Kompaz), getragen von Q-Prints&Service, einer Beschäftigungsgesellschaft in Pforzheim. Es wurde ein Kompetenzzentrum aufgebaut, welches als Anlaufstelle für Alleinerziehende dient und in enger Kooperation mit Jobcentern betrieben wird. In einem größeren Netzwerk sind soziale Einrichtungen sowie die arbeitsmarktpolitischen Akteure eingebunden. Das Projekt verfolgt einen integrierten und ganzheitlichen Ansatz mit den Handlungsschwerpunkten Aktivierung, Integration in Erwerbstätigkeit und sozialer sowie beschäftigungsbezogener Stabilisierung der alleinerziehenden Arbeitsuchenden. "Kompaz" wurde 2010 bis 2012 im Bundesprogramm "Gute Arbeit für Alleinerziehende" gefördert.
Die Stichprobe
Bei der Stichprobe handelt es sich um arbeitsuchende alleinerziehende Teilnehmende aus dem Projekt "Kompaz", die diesem durch zwei Jobcenter zugewiesen worden waren. Die Evaluation erfasste zwischen 2010 und 2012 zum Eintritt in die Maßnahme insgesamt 257 Personen, von denen 197 die deutsche Staatsangehörigkeit besaßen. Ihre Daten wurden für diesen Beitrag herangezogen. Insgesamt waren nur drei Männer unter den Teilnehmenden, weswegen im Folgenden die weibliche Form verwendet wird. Fast 79 Prozent der Befragten hatten keinen in Deutschland anerkannten Schulabschluss oder nur einen Hauptschulabschluss; rund 66 Prozent verfügten über keinen Berufsabschluss. Das durchschnittliche Alter der Befragten, die zwischen 20 und 52 Jahre alt waren, lag bei rund 33,5 Jahren. Das durchschnittliche Alter des jüngsten Kindes der Befragten betrug rund sieben Jahre, wodurch Kinderbetreuungsbedarf gegeben war. Vor der Arbeitslosigkeit waren rund 60 Prozent der befragten Alleinerziehenden erwerbstätig, also in Ausbildung (7,9 Prozent) oder sozialversicherungspflichtig beziehungsweise geringfügig beschäftigt (51,2 Prozent). Etwa 40 Prozent waren, beispielsweise als Schülerinnen oder Hausfrauen, nicht erwerbstätig.
Die Befragung erfolgte anonym und online. Die Daten wurden auf dem Server des Evaluators gespeichert; Auftraggeber und Jobcenter hatten keinen Zugriff. Die Befragung wurde mehrmals im Verlauf der Maßnahme durchgeführt, mit teilweise identischen Fragen (Vorher-nachher-Vergleich), zum Teil mit spezifischen Fragen.
Die Antworten zeigen, dass die Alleinerziehenden sehr deutlich eine Berufstätigkeit mit Familie als vereinbar ansehen und somit ein modernes Familienbild haben. Mit 90,9 Prozent am stärksten fiel die Ablehnung bei der Aussage aus: "Der Mann soll arbeiten, die Frau zu Hause bleiben." 87,2 Prozent lehnten die Aussage ab: "Arbeitende Mütter schaden ihren Kindern." Die größte Zustimmung fand die Aussage: "Berufstätige Mütter sind genauso gute Mütter wie nicht berufstätige" (85,9 Prozent).
Danach gefragt, wie wichtig für sie eine Berufstätigkeit sei, antworteten 95,5 Prozent der Befragten, dass ihnen eine Berufstätigkeit sehr wichtig oder ziemlich wichtig sei ("sehr wichtig": 58,97 Prozent; "ziemlich wichtig": 36,54 Prozent; "weniger wichtig": 3,85 Prozent; "gar nicht wichtig": 0,64 Prozent). Die mehrmalige Wiederholung der Befragung über den Projektzeitraum ergab, dass die Werte für ein modernes Familienbild und hohe Erwerbsorientierung weiter anstiegen.
Dabei unterschieden sich das Familienbild und die Wichtigkeit, die einer Berufstätigkeit zugemessen wurde, kaum nach Alter, Schul- oder Berufsbildung der Befragten. Allerdings schätzten die Alleinerziehenden bei einem modernen Familienbild die Berufstätigkeit als wichtiger ein als bei einem traditionellen Familienbild.
Die verschiedenen Gründe, die die Teilnehmerinnen dafür nannten, dass sie nicht erwerbstätig waren, geben Hinweise auf Handlungsbedarfe. Neben Gründen, die auf den Arbeitsmarkt verweisen (fehlende Stellen, erfolglose Suche), dominieren die kinderbezogenen Gründe. Fast jede Dritte hatte keine Betreuungsmöglichkeit gefunden und war nach eigener Einschätzung aus diesem Grund nicht erwerbstätig. Und zwei von fünf Befragten gaben an, durch die Kinderbetreuung gebunden zu sein. Weiter wurden gesundheitliche Gründe und die Belastung durch Haushaltsarbeit genannt. Ergänzend wiesen die Befragten auf Krankheiten der Kinder hin sowie auf die Arbeitszeiten, die nicht mit den Kinderbetreuungszeiten vereinbar seien.
Die befragten Alleinerziehenden hatten einerseits zu einem sehr hohen Anteil ein modernes Familienbild, das die Vereinbarkeit von Familie und Beruf beinhaltet. Hinzu kam die Wichtigkeit, die einer Berufstätigkeit beigemessen wurde. Andererseits zeigt die Analyse der Gründe für die Nichterwerbstätigkeit, dass vor allem kinderbezogene Ursachen die Nichterwerbstätigkeit bestimmen.
Zwei Spannungsfelder für Alleinerziehende erkennbar
Die präsentierten Ergebnisse verweisen auf zwei sich daraus ergebende Spannungsfelder: einmal ein intrapersonales für die Alleinerziehenden zwischen dem Streben nach Arbeit einerseits und dem Wohlergehen ihres Kindes anderseits (Berufstätigkeit versus problematische Situation des Kindes etwa durch ADS, chronisches Asthma oder Frühförderbedarf). Das zweite, interpersonale und bei den Teilnehmerinnen ausschlaggebendere Spannungsfeld ergibt sich zwischen dem modernen Familienbild der Alleinerziehenden einerseits und der Kinderbetreuungssituation (Berufstätigkeit versus keine Betreuungsmöglichkeit gefunden). In der Regel sind die Alleinerziehenden damit überfordert, die Spannungsfelder allein aufzulösen.
Zu Beginn der Beratungsarbeit im Projekt "Kompaz" wurden neben der Klärung der Erwerbsorientierung mit den Teilnehmerinnen die Anforderungen an eine Kinderbetreuung erhoben, Lösungen überlegt und die Teilnehmenden bei der Umsetzung unterstützt. Dabei haben sich vor allem folgende Elemente als wirksam erwiesen: Einzelcoaching, Biografiearbeit und Seminararbeit (soziales Kompetenztraining, Empowerment, Mathematik/EDV, Bewerbungstraining). Hierbei machte die Kombination der Instrumente, also nicht der singuläre Einsatz eines Instrumentes allein, die Wirksamkeit aus. Durch diesen Ansatz konnten die Gründe für die Nichterwerbstätigkeit vermindert werden, insbesondere bei den kinderbezogenen Gründen, und Vermittlungen in Erwerbstätigkeit verbucht werden. Die arbeitsuchenden Alleinerziehenden wurden in ihrer sozialen Teilhabe und der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit gefördert.3 Damit verbunden wurde ihrem modernen Familienbild und ihrer starken Erwerbsorientierung Rechnung getragen.
Vorbehalte bei Arbeitgebern überwinden
Die Einschätzung der Alleinerziehenden, dass Familie und Beruf miteinander vereinbar sind, und die starke Erwerbsorientierung sind ausgeprägt. Dies ist eine gute Voraussetzung für die Aufnahme und Beibehaltung einer Erwerbstätigkeit. Diese Einstellungen sind den Arbeitgebern noch deutlicher zu vermitteln, wenn sie motivierte Arbeitskräfte suchen. Notwendig sind eine flexible und arbeitszeitenabdeckende Kinderbetreuung und für Alleinerziehende flexible Arbeitszeiten, die die Unternehmen ihnen zubilligen müssten. Zur Reduzierung der Haushaltsarbeiten können haushaltsentlastende Dienste sinnvoll sein. Für die gesundheitlichen Gründe bietet sich eine entsprechende Gesundheitsförderung an.
Anmerkungen
1. Hammer, Andreas: Wissenschaftliche Begleitung des Projekts "Kompetenzzentrum für Alleinerziehende" Kompaz im Auftrag der Q-Prints&Service gGmbH, Pforzheim, Ergebnisbericht Februar 2010 bis Dezember 2012.
2. Analog Kompetenzzentrum Soziale Dienste der Universität Bielefeld (kom.sd): "Arbeitslos mit Kindern." Bewältigungsstrategien und institutionelle Unterstützung. Abschlussbericht unter www.komsd.de, "Downloads", "Projektberichte", S. 43.
3. Vgl. auch Hammer, Andreas: Nachhaltigkeit der Integration arbeitsloser Alleinerziehender in Arbeit. In: Kegelmann, Jörg; Martens, Kay-Uwe (Hrsg.): Kommunale Nachhaltigkeit. Baden-Baden, 2013, S. 207-220.
Literatur
Deutsches Jugendinstitut e.V.: Unterstützung für Alleinerziehende - Arbeitsmarktintegration und soziale Teilhabe. Ein kommunales Handlungskonzept erstellt vom Deutschen Jugendinstitut im Auftrag des BMFSFJ. November 2005.
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