„Wer kann, verlässt das Land“
Jordanien ist ein Königreich, das ist nicht zu übersehen: König Abdullah II. bin al-Hussein lächelt von Häuserfassaden und grüßt von Plakatwänden, er ist überall präsent. Auch in den Büros der Caritas Jordanien. Oft hängt das Porträt des Königs neben dem Bild des Papstes.
Jordanien hat knapp 6,5 Millionen Einwohner(innen). Rund 93 Prozent davon sind sunnitische Muslime, sechs Prozent sind Christen, ein Prozent Drusen. Derzeit leben rund 450.000 syrische Flüchtlinge im Land. Sie sind nicht die einzige Gruppe, die auf der Flucht vor einem Bürgerkrieg, vor Häuserkampf und Scharfschützen ihre Heimat verlassen musste. Nach Angaben der jordanischen Regierung leben hier auch 450.000 irakische Flüchtlinge. Hinzu kommen 1,9 Millionen Palästinenser, die bis zu diesem Zeitpunkt als Flüchtlinge registriert wurden. Angesichts der Größe des Landes ist dies eine ungeheuer große Zahl. Durch den Zustrom syrischer Flüchtlinge hat das Land seine Kapazitätsgrenzen längst erreicht, doch nach wie vor fliehen täglich mindestens 2500 Menschen über die syrische Grenze nach Jordanien.
Die Caritas Jordanien ist die einzige katholische Nichtregierungsorganisation (NGO) im Land. 150 Mitarbeiter(innen) arbeiten für die Caritas, 30 haben unbefristete, die anderen befristete Verträge, die im Zusammenhang mit den Flüchtlingsprojekten vergeben werden. Unterstützt wird die Arbeit der jordanischen Caritas durch 1100 Freiwillige.
Die Hilfen für die Flüchtlinge aus Syrien ist der große Arbeitsschwerpunkt in Amman. Die Caritas Jordanien arbeitet nicht in den jordanischen Flüchtlingscamps, sondern unterstützt die Hilfesuchenden, indem sie beispielsweise für einige Monate die Miete übernimmt, die medizinische Versorgung sicherstellt und Gutscheine ausgibt, mit denen Lebensmittel und Dinge des täglichen Bedarfs gekauft werden können. Es ist wichtig, dass die Menschen ihr Essen selbst auswählen können, es ist ein Zeichen der Würde, macht Suhad Zarafili, Leiterin des Migranten-Zentrums in der Hauptstadt Amman, deutlich (s.a. neue caritas Heft 8/2013, S. 39). Sie begleitet uns beim Besuch von Flüchtlingsfamilien. Die Familien sind aus Homs geflohen und hoffen, nach Hause zurückkehren zu können. Die Männer sind krank und gezeichnet: Ein Mann hat Diabetes und ist auf die Hilfe seiner Frau angewiesen. Der andere wurde Opfer eines Scharfschützen, zwei Kugeln mussten ihm aus dem Brustkorb entfernt werden. Die Familien, die drei beziehungsweise vier Kinder haben, sind vollkommen auf die Hilfe der Caritas angewiesen. Arbeit gibt es in Amman für Flüchtlinge so gut wie keine.
Die Frauen tragen plötzlich die Verantwortung
Suhad Zarafili erzählt auch, dass viele Männer ihre Familien über die Grenze bringen und dann zurückkehren, um zu kämpfen. Die Frauen tragen dann plötzlich alle Verantwortung: in einem fremden Land den Alltag bewältigen, die Kinder versorgen, die Flucht, Gewalt, Traumatisierung verarbeiten. Die Caritas wird von Freiwilligen unterstützt, von denen auch einige Muslime sind. Auf die Frage, wie ihre Familien dieses Engagement für einen katholischen Verband sehen, antworten sie mit Stolz, dass ihre Familie sie achte für ihren Einsatz. Hier spielt die Frage der Religion keine Rolle.
Sonst aber schon. Im Gespräch mit dem lateinischen Bischof von Amman, Maroun Lahham, wird die schwierige Lage der Christen deutlich. "Wir wollen ein Teil der Gesellschaft sein", betont Lahham. "Die Christen kommen aus dieser Region, ihre Wurzeln sind hier." Er engagiert sich intensiv für den Dialog der Religionen, doch er weiß auch, dass viele Christen das Land verlassen. Dabei sei dies keine Lösung, ist Lahham überzeugt. Auch in anderen Gesprächen zeigt sich, dass Christen mit Bangen den Sturz Assads in Syrien befürchten. Ihre Situation wird sich verschlimmern, an eine Rückkehr in die Heimat ist für sie dann nicht mehr zu denken.
Zweite Station: der Libanon
Beirut ist eine moderne Stadt. Doch schnell wird deutlich, dass der Frieden in diesem Land permanent bedroht ist. Während einer Autofahrt machen der Präsident der libanesischen Caritas, Kamal Sioufi, und die Direktorin Najla Chahda auf ein Viertel aufmerksam, das während des Krieges im Jahr 2006 vollkommen zerstört war von den Bombenangriffen. Der Krieg: Die Menschen im Libanon kennen ihn. Der Krieg ist in dieser Region auf eine Weise präsent, die sich erst begreifen lässt, wenn man vor Ort ist und Flüchtlingscamps besucht. Dazu gehören nicht nur die Zeltlager der syrischen Flüchtlinge, die sich überall im Land finden, sondern auch die Camps der palästinensischen Flüchtlinge, von denen das älteste, das wir auch besuchen, seit 1949 existiert.
Im Libanon leben 4,2 Millionen Menschen. Das Land hat bis jetzt rund eine Million syrischer Flüchtlinge aufgenommen. Die Regierung erlaubt keine offiziellen Flüchtlingslager. So lassen sich die Flüchtlinge auf jedem Stück Land nieder, das ihnen von den Landbesitzern zur Verfügung gestellt wird. Natürlich nicht kostenlos. Die Caritas übernimmt die Miete für die Zelte, die bei rund 200 Euro pro Zelt für ein Jahr liegt, wie Najla Chahda berichtet - ein gutes Geschäft für die Landbesitzer. Auch hier gilt, dass die meisten Flüchtlinge komplett auf Hilfe angewiesen sind. Die Caritas Libanon verfügt wie auch die jordanische über große Erfahrung in der Flüchtlingsarbeit. So versorgt die Caritas beispielsweise Flüchtlinge in der Bekaa-Ebene und verteilt Lebensmittel, Hygieneartikel und Decken. Wir treffen in den Lagern überwiegend Frauen und Kinder, die ihre desolate Lebenssituation mit einer Kraft und einer Würde tragen, die die Besucher nicht unberührt lässt. Eine Frau zeigt uns ihr Zelt, in dem sie seit fast zwei Jahren mit ihrer Familie lebt. Trotz der großen Armut ist erkennbar, wie sehr sie sich um Sauberkeit bemüht. Die Kinder des Camps laufen ohne Scheu und mit einem Lächeln auf uns zu. Eine Schule besuchen sie nicht.
Keine Zukunft in Sicht
Im Gespräch mit Bischof Paul Sayah, dem Stellvertreter des maronitischen Patriarchen im Libanon, bestätigt dieser die Aussage seines Bischofskollegen aus Amman: "Wer kann, verlässt das Land, denn viele sehen hier keine Zukunft mehr." Dabei könnte der Libanon ein Modell dafür sein, wie das Zusammenleben zwischen Christen und Moslems gelingen kann, macht Sayah dEUtlich. Die Muslime machen rund 60 Prozent, die Christen rund 39 Prozent der Bevölkerung aus. Entscheidend sei, dass sich alle Parteien an einen Tisch setzten. Dies bezieht er auch auf den Konflikt in Syrien und äußert sich kritisch zu den geplanten Waffenlieferungen der EU an die syrische Opposition.
Noch etwas anderes bereitet ihm Sorgen: Die Bevölkerung habe es lange Zeit mitgetragen, dass immer neue Flüchtlinge ins Land gekommen sind. Doch jetzt wachse das Gefühl der Libanesen, zu kurz zu kommen, weil die Flüchtlinge so viel Unterstützung bräuchten. Dass die einheimische Bevölkerung zunehmend kritisch auf die hereinströmenden Flüchtlinge blickt, wird auch von der Caritas in Jordanien angesprochen. Zwar profitiere das Land von den Flüchtlingen, weil viele Waren benötigt würden. Wegen der großen Nachfrage aber stiegen beispielsweise die Mieten - mit entsprechenden Konsequenzen für die Einheimischen, berichtet Wael Suleiman, Direktor der Caritas Jordanien.
Bewundernswerter Einsatz
Was nimmt man mit nach Deutschland? An erster Stelle stehen die Bewunderung und die Anerkennung der Arbeit und des Einsatzes der Caritas-Mitarbeiter(innen) in den beiden Ländern. Der Begriff der "Caritas-Familie" bekommt nach dieser Reise eine neue Bedeutung. Es zeigt sich, wie wichtig die weltweite Kooperation und Vernetzung ist, wie die Kompetenzen der nationalen Caritasverbände fruchtbar gemacht werden können und zu effizienter Hilfe für Menschen in Not beitragen.
Was auch bleibt, ist das Gefühl der Ratlosigkeit. Den Flüchtlingen zu helfen mit Nahrung, einem Dach über dem Kopf und medizinischer Versorgung ist wichtig und eine zentrale Aufgabe. Wie aber die Konflikte in der Region lösen, die der Boden sind für Gewalt und Krieg, für Flucht und für große humanitäre Not? Der Konflikt zwischen Israel und Palästina, die Situation in Ägypten, der Bürgerkrieg in Syrien: Nichts deutet darauf hin, dass sich in absehbarer Zeit politische Vernunft statt bewaffnetem Kampf durchsetzt. Wie lange Jordanien und Libanon den Ansturm der Flüchtlinge noch bewältigen können, ist ungewiss. Ganz sicher sind die Anrainerstaaten Syriens - dazu gehören auch die Türkei und der Irak - auf die Hilfe der Weltgemeinschaft angewiesen. Die Menschen haben ohne diese Unterstützung kaum eine Chance.