Syrische Flüchtlinge wohnen beim Erzbischof in der WG
"Ihr seid meine Gäste", hatte Erzbischof Raphael Minassian gesagt und seinen Bischofssitz für 50 armenisch-christliche Flüchtlinge aus Syrien geöffnet. Seit Dezember 2012 teilen sich nun mehrere Familien und einige Einzelpersonen zusammen mit dem katholischen Oberhaupt Armeniens in einem Außenbezirk der Hauptstadt Eriwan die Räume des Ordinariats. Im Garten spielen die Kinder und ihr Rufen dringt über die Mauern zu den Nachbarn.
Anfangs hatten die Flüchtlinge noch den Fernseher mit dem Erzbischof geteilt, um gebannt den Nachrichten aus Syrien zu folgen. Inzwischen gibt es ein eigenes Fernsehzimmer und die für die Außenkontakte so wichtigen Computerplätze mit Wlan. Rund 6000 Flüchtlinge aus Syrien sind nach Caritasangaben derzeit in Armenien, allesamt Christen und der armenischen Diaspora in Syrien zugehörig. Dazu muss man wissen, dass große Teile des früheren Westarmeniens heute auf syrischem Grund liegen und dass zahlreiche Armenier nach dem Genozid durch die Türken 1915 bis 1917 nach Syrien geflüchtet sind.
Ihr Weg ins Bischofshaus wurde vom syrischen Bischof miteingefädelt, der seinen Amtsbruder um Hilfe bat, sowie durch das für die armenische Diaspora zuständige Ministerium in Eriwan. Erzbischof Minassian wiederum hatte seine armenische Caritas gebeten, sich um die Flüchtlinge zu kümmern. Finanziell unterstützt vom Deutschen Caritasverband, sind in dem schmucklosen Bischofspalais diejenigen Flüchtlinge gelandet, die es am schwersten haben: Menschen, die nur Arabisch sprechen, oder Alleinerziehende, wie beispielsweise Balbi. Von ihrem syrisch-arabischen Mann getrennt lebend, ernährte Balbi sich und ihren neunjährigen Sohn George in Aleppo problemlos von ihrer Arbeit als Köchin. Dann wurde ihre Wohnung in Aleppo zerstört und sie wusste nicht mehr, wohin, denn: "Als Christin habe ich mich nirgendwo mehr sicher gefühlt", so Balbi. Flucht schien die einzige Lösung für ihre Angst vor einem Kidnapping. Die derzeit noch in Aleppo verbliebenen christlichen Armenier versucht eine Brigade der armenischen Armee zu schützen - eine in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommene, von den Flüchtlingen aber bestätigte erstaunliche Konstellation.
Massive Jagd auf Christen
An eIne Rückkehr nach Syrien nach Ende des Bürgerkrieges glaubt Balbi nicht. "Beide Seiten sind für uns eine Bedrohung", formuliert sie das, was auch jüngst Jerusalems armenischer Patriarch Nourhan I. gegenüber der Nachrichtenagentur KNA bestätigt hat: "Wenn es so weitergeht in Syrien, wird es keine Christen mehr dort geben. Es ist nur eine Frage der Zeit. Das Töten der Christen hat bereits begonnen."
Als wenn es gelte, alle Klischees über traumatisierte Flüchtlingskinder zu bestätigen, spielt George im engen Zweibettzimmer, das er mit Balbi teilt, auf dem Laptop ein Kriegsspiel. Auf der Bettdecke liegt eine kleine grüne Handgranate aus Plastik, die gerade in die Menge der Playmobil-Menschen gefallen ist. Er besucht inzwischen eine öffentliche Schule in der Nähe. Balbi hat sich schon einige Arbeitsplätze als Köchin angeschaut, aber noch nichts gefunden, was ihr zusagt. Die Standards in Armenien hinken deutlich gegenüber dem her, was sie aus Aleppo kennt. Vorläufig hilft sie in der Ordinariatsküche mit, die gemeinsamen Mahlzeiten zuzubereiten.
Im Flur hat sich vor Balbis Zimmer mittlerweile eine Gruppe der Flüchtlinge postiert. Sie wollen unbedingt mit den LEUten der deutschen Caritas reden. "Warum nimmt Deutschland uns nicht auf?", fragt sofort und direkt ihr offensichtlicher Wortführer, Abdulmasih Hanna Baghdo, bis vor wenigen Monaten noch Direktor des archäologischen Museums im ostsyrischen Hassake. "Ihr habt in Deutschland Millionen von türkischen Muslimen. Wieso nehmt ihr keine Christen auf?" Baghdo macht kein Geheimnis daraus, dass er nach all dem, was er jüngst erlebt hat, Moslems hasst. Seine Frage rührt an einen empfindlichen Punkt in der Diskussion um die Aufnahme und Verteilung von Flüchtlingen in den Ländern der EU. Auch Caritas-Präsident Peter Neher hatte wiederholt betont, dass die westlichen Länder den syrischen Flüchtlingen gegenüber eine humanitäre Verpflichtung haben, der sie sich nicht entziehen dürfen. Er plädiert für Aufnahmekontingente von besonders verletzlichen Gruppen, jedoch nicht ausschließlich Christen.
Der promovierte Baghdo spricht Arabisch, Französisch und sogar etwas Deutsch aufgrund seiner wissenschaftlichen Kontakte nach Deutschland, aber kein Armenisch. Auch seine Familie gehörte zur armenischen Diaspora in Syrien. Doch auch er weiß jetzt nicht, wie es weitergehen soll. Das wenige herübergerettete Geld ist zu Ende. Wären nicht der Bischof und die Mittel der Caritas, sie wären verloren.
Nicht gewohnt zu nehmen
Für gerade mal 40 weitere Personen hat das staatliche armenische Migrationsbüro Wohnraum bereitstellen können. Tausende Flüchtige müssen sich alleine und mit eigenen Mitteln durchschlagen. Viele sind mit dem eigenen Auto, Gepäck und Bargeld gekommen. Doch das wird allmählich knapp. "Um Hilfe zu bitten müssen viele erst lernen", beobachtet Tigranuhi Tarakhchyan. Sie leitet das Migrationsprogramm bei der Caritas in Eriwan. "Viele von ihnen haben in Aleppo, Hassake oder Qamischli zur höheren Schicht gehört. Sie waren gewohnt zu spenden, nicht von Spenden zu leben." Inzwischen klappern sie mehr oder weniger verzweifelt alle erreichbaren Hilfsorganisationen in der Stadt ab, in der Hoffnung, einen gangbaren Weg gewiesen zu bekommen. Dass dieser nicht in Armenien liegt, ist greifbar, hat doch das Land mit sich selbst genug Probleme. Der Archäologe Baghdo hat eine klare Vorstellung, was die beste Lösung für die Flüchtlingsgruppe sein sollte: als Kontingentflüchtlinge in ein aufnahmewilliges christliches Land zu reisen. Nach Deutschland?