Hilfen für gewaltbetroffene Frauen sind deutlich unterfinanziert
In den vergangenen Jahren gab es wichtige Fortschritte in der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen in Deutschland: Das Bewusstsein in der Gesellschaft für das Problem ist gewachsen, es gibt zum Teil verbesserte Gesetze. Und doch bleibt noch immer vielen gewaltbetroffenen Frauen und deren Kindern der erforderliche Schutz und eine angemessene Unterstützung versagt. Die Träger von Frauenhäusern und Fachberatungsstellen haben keine verlässliche Finanzierungsgrundlage und stehen vor erheblichen Finanzierungslücken.
Seit seiner Gründung setzt sich der eingetragene Verein „Frauenhauskoordinierung“1 offensiv für die Sicherung von Frauenhäusern und Fachberatungsstellen ein und fordert einen Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe für gewaltbetroffene Frauen und deren Kinder.
Bericht der Bundesregierung deckt eklatante Mängel auf
Die Bundesregierung befasste sich in der Vergangenheit mehrfach mit der Problematik der Finanzierung von Frauenhäusern und Fachberatungsstellen: Es wurden insgesamt drei Berichte zur Lage der Frauenhäuser beziehungsweise des Hilfesystems erstellt. In den Jahren 2008 und 2012 befasste sich der Bundestagsausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Anhörungen mit dem Thema. Zudem griff die Gleichstellungs- und Frauenministerinnen-Konferenz (GFMK) mehrfach das Thema auf und forderte die Bundesregierung zum Handeln auf. Auch der Deutsche Verein beschäftigte sich in den vergangenen Jahren intensiv mit der Finanzierungsproblematik und legte den Handlungsbedarf dar.
Mit dem „Bericht der Bundesregierung zur Situation der Frauenhäuser, Fachberatungsstellen und anderer Unterstützungsangebote für gewaltbetroffene Frauen und deren Kinder 2012“ liegt eine aktuelle und umfassende Analyse der Hilfestrukturen und deren Finanzierung vor. Der Bericht enthält eine Bestandsaufnahme bestehend aus einer sozialwissenschaftlichen Analyse und einem rechtlichen Gutachten sowie die Stellungnahme der Bundesregierung. Die Bestandsaufnahme kommt zu dem Ergebnis, dass eklatante Mängel hinsichtlich der Strukturen und der Ressourcen im Hilfesystem für gewaltbetroffene Frauen bestehen: „Die Versorgung von Gewalt betroffener Frauen und ihrer Kinder ist … nicht in ausreichendem Umfang sichergestellt.“2
Der ländliche Raum ist unterversorgt
Die Sozialwissenschaftlerinnen weisen auf regionale Versorgungsprobleme hin. Gerade in ländlichen Regionen erreichen gewaltbetroffene Frauen oft keine spezifische Unterstützungseinrichtung bei Gewalt. Mindestens 125 Kommunen3 in Deutschland haben kein eigenes Frauenhaus. In den Ballungszentren führen fehlende Kapazitäten zu Wartelisten für die Aufnahme im Frauenhaus oder für einen Beratungstermin.
In der Bestandsaufnahme im Bericht der Bundesregierung stellen die Sozialwissenschaftlerinnen fest: „Das Unterstützungsangebot ist mehrheitlich unterfinanziert.“4 Damit sichert die derzeitige finanzielle Ausstattung allenfalls den Erhalt des Mangelzustandes und nicht die qualitativ erforderlichen Leistungen des Hilfesystems und schon gar nicht die im Bericht der Bundesregierung geforderte Weiterentwicklung des Hilfesystems. Ein großer Teil der Frauenhäuser und Fachberatungsstellen sind mit zu wenig Personal und Sachmitteln ausgestattet, so dass die nötige Unterstützung nicht im erforderlichen Umfang und in der gewünschten Qualität geleistet werden kann.
Die Hilfeinfrastruktur ist zudem nicht gleichermaßen allen Frauen zugänglich. Insbesondere Frauen mit zusätzlichen Belastungen wie Behinderungen oder psychischen Beeinträchtigungen, Migrantinnen oder Frauen mit älteren Söhnen, welche Schutz in einem Frauenhaus benötigen, wird das derzeitige Angebot nicht gerecht.
Der Bericht der Bundesregierung kommt im rechtswissenschaftlichen Teil zu der Aussage: „Die Finanzierung der Einrichtungen ist uneinheitlich, abhängig von der Politik auf Landesebene und in den Städten und Landkreisen.“5 Die Finanzierungslandschaft der Frauenhäuser und Fachberatungsstellen in Deutschland gleicht einem bunten Flickenteppich: Sie setzt sich zusammen aus Landesmitteln, kommunalen Zuschüssen, Eigenmitteln der Träger und der betroffenen Frauen selbst. Die verbindlichen Rechte gewaltbetroffener Frauen und ihrer Kinder auf Schutz und Hilfe können nur eingeschränkt aus Bundesgesetzen über bedarfsabhängige Sozialleistungen (SGB XII und SGB II) hergeleitet werden. Bestimmte Gruppen von Frauen und deren Kinder sind von Schutz und Hilfe in Frauenhäusern ausgeschlossen oder können sie nur unter der Voraussetzung nutzen, dass sie die Kosten selbst tragen. Die Bundesregierung erkennt das in ihrer Stellungnahme „als grundlegenden strukturellen Nachteil, dass die leistungsrechtliche Verortung der Hilfen für gewaltbetroffene Frauen zur Zeit überwiegend über Normen des Sozialrechts erfolgt … und nicht auf den individuellen Hilfebedarf bei Gewalterfahrungen“ zugeschnitten ist.
Die Träger von Frauenhäusern und Fachberatungsstellen haben keine Planungssicherheit, da die in der Regel als freiwillige Leistungen der Länder und Kommunen ausgereichten Mittel abhängig von Haushaltslagen sind und jederzeit gekürzt werden können.
Die von der Bundesregierung in ihrer Stellungnahme favorisierte „behutsame, aber effektive Fortentwicklung des geltenden Rechts auf bundesrechtlicher oder landesrechtlicher Ebene sowie (durch) die aktive Nutzung konsensualer Instrumente auf untergesetzlicher Ebene“6 hat sich nicht bewährt, sie hat keine Verbesserungen gebracht.
Unbegründet erscheint auch das Vertrauen der Bundesregierung in verwaltungsinterne „konsensuale“ Lösungen bezüglich der Kostenerstattungslösungen für den Frauenhausaufenthalt ortsfremder Frauen zwischen Ländern und Kommunen. Es fehlen Rechtsgrundlagen und Verpflichtungen für die Kommunen und Länder. Erforderlich wären eine Vielzahl von Kooperationsvereinbarungen, Rahmenvereinbarungen und bilateralen Vereinbarungen mit den beteiligten Akteuren.
Wohlfahrtsverbände zeigen Lösungswege auf
Für die Verbände ist es von zentraler Bedeutung, dass alle gewaltbetroffenen Frauen und ihre Kinder Zugang zu Schutz und Hilfe finden. Dies setzt die verbindliche Anerkennung ihres Rechts auf effektiven Schutz und Hilfe sowie eine verlässliche Finanzierung des Hilfesystems voraus. Das von den Wohlfahrtsverbänden in Auftrag gegebene Gutachten von Joachim Wieland, Professor an der Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer, und Margarete Schuler-Harms, Professorin an der Universität der Bundeswehr in Hamburg, ergänzt den Bericht der Bundesregierung mit wichtigen Lösungsansätzen.
Dieses Rechtsgutachten prüfte die Handlungsmöglichkeiten des Bundes und bestätigt eindeutig die Regelungsbefugnis des Bundes.
Ein weiteres Rechtsgutachten von Dagmar Oberlies, Professorin an der Fachhochschule Frankfurt am Main, wurde vom Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) beauftragt. Es beschreibt Lösungsansätze auf Bundes- und Länderebene und stellt ebenfalls eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes fest.7 Beide Gutachten sehen die Regelungskompetenz des Bundes.
Impulse für Weiterentwicklung der Hilfeinfrastruktur
Der Bericht der Bundesregierung enthält wichtige Anregungen für die konzeptionelle Weiterentwicklung der Hilfeinfrastruktur. Das betrifft zum Beispiel den Ausbau zugehender Beratungsangebote, um gerade in ländlichen Regionen gewaltbetroffene Frauen zu erreichen. Besonderes Augenmerk legt die Bestandsaufnahme auch auf Angebote für gewaltbetroffene Frauen mit zusätzlichen Belastungen wie Behinderungen, Suchtproblemen und psychischen Beeinträchtigungen. Weitere Handlungsempfehlungen betreffen die Weiterentwicklung der spezifischen Unterstützung mitbetroffener Kinder bei der Bewältigung der Gewalterfahrungen.
In der Bestandsaufnahme wird empfohlen, Bedarfsplanungen in Ländern und Kommunen zu erstellen. Diese könnten sich zum Beispiel an vorhandenen Modellen aus der Jugendhilfeplanung orientieren. An der Festlegung von Qualitätsanforderungen sollten die Träger, die Verbände und die Mitarbeiterinnen aus der Fachpraxis beteiligt werden.
Zu begrüßen ist, dass die Bundesregierung plant, mit einem Monitoring kontinuierlich und systematisch die Wirksamkeit der Hilfen und rechtlichen Vorschriften bei der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen zu überprüfen. Die Mitwirkung der Hilfeinfrastruktur an der Umsetzung des Monitorings und an Bedarfsanalysen erfordert aber auch zusätzliche personelle Ressourcen, an denen es mangelt.
Handlungsbedarf zur Sicherung von Schutz und Hilfe
Dringend erforderlich sind rechtliche Rahmenbedingungen für die gesamte Bundesrepublik und ein umfassendes Gesamtkonzept für eine auskömmliche Finanzierung der Hilfeinfrastruktur. Dazu braucht es den politischen Willen und ein entschlossenes Handeln des Bundes. Dieser muss die Initiative ergreifen, den gesetzlichen Rahmen schaffen und die Länder und Kommunen mit ins Boot holen. Nur ein verantwortungsvolles Zusammenwirken des Bundes, der Länder und Kommunen kann hier zu durchgreifenden Veränderungen führen.
„Frauenhauskoordinierung“ fordert daher ein Bundesgesetz, welches neben einem rechtlichen Anspruch auf Schutz und Hilfe auch die finanziellen und organisatorischen Fragen der Hilfeinfrastruktur regelt. Dieses Bundesgesetz muss für alle Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt, insbesondere Frauen und ihre Kinder, sofortigen Schutz, auch in anderen Kommunen oder Bundesländern, gewährleisten, eine angemessene Unterkunft und die materielle Existenz sichern sowie die psychosoziale Beratung und Unterstützung, die gesundheitliche Versorgung und rechtliche Information beziehungsweise Unterstützung sicherstellen.
Diese Hilfen sind niedrigschwellig und unabhängig von Einkommen und Vermögen, Herkunftsort sowie Aufenthaltsstatus bereitzustellen und müssen zusätzlichen Unterstützungsbedarf berücksichtigen. Frauenhäuser und Fachberatungsstellen brauchen für die Unterstützung und den Schutz gewaltbetroffener Frauen und ihrer Kinder eine angemessene Ausstattung mit Personal und Sachmitteln.
Anmerkungen
1. Frauenhauskoordinierung e.V. vertritt die Interessen der Frauenhäuser und der anderen Unterstützungseinrichtungen bei Gewalt unter dem Dach der Bundesverbände Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e.V. (AWO), Deutscher Caritasverband e.V. (DCV), Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband Gesamtverband e.V. (Der Paritätische), Diakonie Deutschland – Evangelischer Bundesverband Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e.V. (EW DE) und Sozialdienst katholischer Frauen – Gesamtverein e.V. (SkF) sowie von weiteren Frauenhäusern in ihrer Mitgliedschaft.
2. Bericht der Bundesregierung, 2012, S. 323.
3. dpa Regiodata 0348 Frauenhäuser in Deutschland 5.3.2010.
4. Bericht der Bundesregierung, 2012, S. 214.
5. Bericht der Bundesregierung 2012, S. 215.
6. Bericht der Bundesregierung, 2012, S. XXVII.
7. Gutachten Oberlies, Dagmar, Zusammenfassung,2012, S. 4. http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a13/anhoerungen/Frauenhaeuser/Stellungnahmen/17_13_227h.pdf