Die Wirkung Sozialer Arbeit ist messbar
In der Sozialarbeit ist man sich recht einig, dass man die Wirkung von Sozialarbeit nicht messen kann. Ebenso einig ist man sich, dass Sozialarbeit wirkt. Beide Meinungen basieren auf kulturellen Glaubenssätzen, nicht aber auf wissenschaftlichen Erkenntnissen.
Nach einer Phase der Begründungsfindung für Sozialarbeit, die sich auf den Bedarf konzentrierte, wurde es modern, auf die positiven Effekte von Sozialarbeit hinzuweisen, um mehr Geld und mehr Stellen zu legitimieren. Ich kann mich nicht erinnern, dass in meiner Assistentenzeit in den 80er Jahren an der Universität Bamberg an unserem Lehrstuhl irgendjemand irgendeine kleine Arbeit über Wirkungen durchgeführt hat. Die großen Themen waren Bedarfsmessung (Warenkorb!), Bedarfsquoten (Altenhilfeplanung!), bedarfsgerechte Finanzierung, demografisch veränderte Rentnerzahlen oder die Verteilungsgerechtigkeit sozialer Leistungen. Die Leitfrage lautete: Wie viel Sozialarbeit wird benötigt?
In der anschließenden Phase der sogenannten Neuen Steuerungsmodelle (ein Modell zur strategischen Steuerung von Verwaltungen) kam eine neue Fragestellung auf: Wie viel Sozialarbeit bekommt man für eine definierte Menge Geld? Man kümmerte sich um den Output als "mengenmäßige Wirkung". Doch die Grundüberzeugung, dass Sozialarbeit wirkt, dass sie für den Einzelnen und die Gesellschaft positive Effekte erzeugt, blieb unüberprüft.
Die Wirksamkeit von Sozialarbeit war/ist ein Glaubensgut. Man glaubt, dass Kindergärten sich positiv auf irgendein Sozialverhalten auswirken, man glaubt, dass offene Jugendarbeit soziale Kompetenz erzeugt, Familienarbeit präventiv -mittelfristig - die Gefängniszeiten reduziert, Präventionsprogramme in Schulen wie "Ohne Rauch geht’s auch" die Lungenkrebsrate senken, dass Werkstätten für Menschen mit Behinderung hohe Vermittlungen in den ersten Arbeitsmarkt liefern, dass Senior(inn)en, die wöchentlich Seidentücher bemalen, nicht depressiv oder dass fiese Kolleg(inn)en durch Supervision teamfähig werden.
Das Problem bei diesen Überzeugungen, die mehr oder minder plausibel klingen, aber doch immer an einen Pudding erinnern, den man nicht an eine Wand nageln kann, besteht darin, dass man nicht nach Beweisen gefragt werden will.
Ansätze zur Wirkungsmessung Sozialer Arbeit
Das wirkungsorientierte Modell der International Group of Controlling
Einen methodisch relativ unkomplizierten Einstieg in die wirkungsorientierte Messung bietet das Controllingmodell für Non-Profit-Organisationen (NPO) der International Group of Controlling (IGC). Im Gegensatz zu Wirtschaftsunternehmen, die ihren Erfolg an wenigen Kennzahlen wie über den Gewinn und die Rentabilität ablesen können, ist der Erfolg sozialwirtschaftlicher Unternehmen komplizierter zu bestimmen. Die Wirkungen und Wertschöpfung beziehen sich auf einige Bezugsgruppen ("Stakeholder") mit eigenen, zum Teil widersprüchlichen Erfolgsdefinitionen. Weiterhin stehen die caritativen Organisationen vor der Problematik, dass sich ihre Wirkungen und Erfolge auf unterschiedlichen Ebenen zeigen. Entsprechend unterscheidet man vier Wirkungsebenen im NPO-Controlling.1 Während das traditionelle Controlling, das auch in caritativen Einrichtungen installiert ist, sich mit der Beobachtung der Finanzdaten und des Outputs zufriedengibt, erweitert das wirkungsorientierte Controlling seine Definition von Erfolg um die verschiedenen Wirkungsebenen:
- Output: quantitative Leistungsmenge, die letztlich die Basis für qualitative Wirkungseffekte (Impact, Outcome, Effect) darstellt. Der Output ist das mengenmäßige Produktionsergebnis der Organisation. Output ist eigentlich ein begrifflicher Zwitter: Er bezeichnet sowohl eine Seite der (quantitativen) Wirkung und gibt gleichfalls, in Bezug auf die Inputs, einen Hinweis auf die interne Effizienz der Organisation. Beispiel: Die Anzahl von Beratungsstunden pro Jahr in einer Suchtberatungsstelle mit drei Sozialarbeiter(inne)n.
- Outcome: gesellschaftliche Wirkungen und Nutzen (objektive kollektive Effektivität), den die von der Organisation erstellten Güter oder Dienstleistungen haben. Die Leistungen der Organisation wirken sich bei verschiedensten Adressatengruppen, bei Dritten, in der Gesellschaft, allgemein im Gemeinwohl, aus. Outcome bezieht sich somit auf die weitergehenden Effekte ("wider effects"). Beispiel: Reduzierte Arbeitsunfähigkeitstage und vermiedene Kosten bei den Arbeitgeber(inne)n der Klient(inn)en und den Sozialversicherungen.
- Effect: unmittelbare, objektiv ersichtliche und nachweisbare Wirkung (objektive Effektivität) für einzelne Stakeholder. Abgebildet werden hier zielgruppenspezifische, intendierte, von der Wahrnehmung und Deutung der Zielgruppen unabhängig bestehende Wirkungen. Beispiel: veränderte Leberwerte der Klient(inn)en.
- Impact: subjektiv erlebte Wirkung des Leistungsempfängers beziehungsweise der Stakeholder (subjektive Effektivität) und somit eine Reaktion der Zielgruppen auf Leistungen (Output) und/oder auf die (objektiven) Wirkungen (Effects) der Leistungen. Impacts als subjektive Reaktionen sind Einstellungen, Urteile, Zufriedenheitsäußerungen, aber auch die Änderung beziehungsweise Stabilisierung von Verhaltensweisen. Beispiel: veränderte subjektive Lebensqualität bei Klient(inn)en und deren Familien.
Das wirkungsorientierte Controlling operiert mit einer 16-Felder-Tafel, in welche diejenigen Wirkungsziele in Form von Kennzahlen eingetragen werden, die einerseits den zentralen Wirkungserwartungen der Stakeholder entsprechen und andererseits auch von der Organisation hergestellt und garantiert werden können (siehe Abbildung).
Das Controlling orientiert sich in diesem Modell an den Wirkungen der diakonischen Organisation und analysiert Differenzen zwischen Wirkungszielen und Wirkungsrealität.
Gefüttert werden kann das wirkungsorientierte Controlling durch die Daten, die in der Berechnung der gesellschaftlichen Wertschöpfung, des "Social Return on Investment" (SROI) sozialer Unternehmen und Einrichtungen methodisch gewonnen wurden.2 Aufgebaut ist diese wirkungsorientierte soziale Investitionsrechnung in fünf Schritten.
SROI 1 - institutionelle Perspektive
Die Perspektive des SROI 1 nimmt den institutionellen Standpunkt ein.3 Das Denkschema "Was erhält die Gesellschaft für jeden investierten Euro zurück?" ist hier am klarsten wiederzuerkennen: Analysiert werden alle öffentlichen Zuflüsse an das Sozialunternehmen (beispielsweise Entgelte, Zuschüsse, Steuersubventionen); sie werden mit den Rückflüssen aus dem Unternehmen an die öffentliche Hand (zum Beispiel Steuern, Sozialversicherungsbeiträge) in Relation gesetzt. Weiterhin werden in Transferanalysen auch die Zahlungsströme zwischen den verschiedenen "öffentlichen Händen" gezeigt, um die implizierte Umverteilung zwischen Gebietskörperschaften und Sozialversicherungen transparent zu machen.
SROI 2 - individuelle Perspektive
Der sogenannte SROI 2 fragt nach personenbezogenen Sozialleistungen und deren "Return". Diese Kennzahl berücksichtigt die indirekten und direkten, positiven und negativen Transfers an den einzelnen Klienten und "zurück" an die Gesellschaft.
SROI 3 - vermiedene Kosten, entgangene Erträge
Was wäre, wenn es ein Sozialunternehmen nicht gäbe? Soziale Einrichtungen vermeiden Kosten, die durch andere Dienstleister im Versorgungssystem entstehen würden, und sie ermöglichen "Opportunitätserträge" Dritter, die zum Teil als Steuern und Sozialversicherungsbeiträge an den Wohlfahrtsstaat zurückfließen. Im SROI 3 werden auch aus Klientensicht realistische Dienstleistungsalternativen modelliert, deren Kostendifferenzen zur untersuchten Einrichtung und deren qualitativen Effekte.
SROI 4 - regionalökonomische Wirkung
Hier werden drei Ebenen unterschieden:
- Direkte Wirkungen, die durch die Aktivität des Unternehmens in der Region entstehen (direkte Beschäftigungswirkung, direkte Nachfragewirkung, kommunal wirksame Steuern und Abgaben, durch Beschäftigung erhöhte Einnahmen).
- Induzierte Wirkungen, die durch die Aktivität des Sozialunternehmens bei anderen Unternehmen in der Region erzeugt werden (induzierte Beschäftigungswirkung, induzierte Nachfragewirkung).
- Vermiedene Kosten, die für die Kommune entstünden, wenn ein Teil der Beschäftigten ohne das Sozialunternehmen längere Zeit arbeitslos wäre.
SROI 5 - Lebensqualitätseffekte/Kompetenzzuwachs/Bildungsrendite
Um über die Wirkungen der sozialpädagogischen, pflegerischen oder therapeutischen Arbeit einer Organisation systematisch Rechenschaft ablegen zu können, müssen patienten- beziehungsweise klientenbezogene individuelle Werte gemes-sen, aggregiert und in einer Kennzahl zusammengefasst werden. Diese Kennzahlen holt sich das wirkungsorientierte Controlling aus den Hilfeplänen, den Anamnesebögen, Zielvereinbarungen, Entwicklungsberichten - oder aus validen Messinstrumenten. Angeführt sind hier die von Schallock/Van Loon4 entwickelte "Personal Outcome Scale" oder das vom Beratungsdienstleister "xit" und der Katholischen Universität Eichstätt/Ingolstadt (KU) entwickelte Instrument zur Messung der Lebensqualität von Menschen mit Behinderung im Einrichtungskontext. Methodisch abgesichert sind ebenfalls das EVAS-Verfahren sowie das Wimes-Verfahren in der Jugendhilfe5 und das an der KU (Katholischen Universität Eichstätt/Ingolstadt) für den Kita-Bereich getestete Verfahren der "Bildungsrendite" pädagogischer Einrichtungen.
Im Prinzip setzen sich im Sozialwesen offensichtlich solche Messkonzepte durch, die mehrdimensionale Operationalisierungen von Lebensqualität, Kompetenz oder Bildungsrendite methodisch so einfangen, dass sich für den einzelnen Klienten, aber auch für Klientengruppen, Skalenwerte ergeben. Diese Skalenwerte (Punkte) stellen eine Art "Zweitwährung" im Sozialbereich dar, mit der gegenüber den gesellschaftlichen Investoren eine Sozialbilanz erstellt werden kann.
Ein Beispiel aus der Wohnungslosenhilfe
In einer Studie mit dem Bezirk Oberbayern und dem Katholischen Männerfürsorgeverein München wurde der SROI einer stationären Einrichtung für Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten gemäß § 67 SGB XII ermittelt.6
Als Grundlage für die Untersuchung wurde ein Wirkungsmodell entwickelt, das insbesondere Veränderungen bei den Bewohner(inne)n in Bezug auf Straftaten, Schulden, Arbeit und Wohnen sowie der Entwicklung von Sozialkompetenzen berücksichtigt. Objektive Veränderungen wie vermiedene Hafttage durch eine Unterbringung in der stationären Einrichtung waren vergleichsweise einfach innerhalb eines SROI abzubilden. Komplizierter gestaltete sich die methodische Erfassung veränderter Sozialkompetenzen.
Der tatsächliche Aufwand der überörtlichen Kostenträger für die Leistungen gemäß Sozialgesetzbuch XII 8. Kapitel (§§ 67f.) beläuft sich im Jahr auf circa 1,8 Millionen Euro.
Dieser Investition stehen rückfließende Erträge an die verschiedenen Sozialversicherungen und öffentlichen Haushalte entgegen sowie die Vermeidung von Kosten, die angefallen wären, wenn es die stationäre Einrichtung nicht geben würde. Ebenso berechnet wurden Nutzeneffekte, die in Form von zusätzlichen monetären Erträgen durch die Aufnahme von Arbeit bislang arbeitsloser Personen entstehen. Insgesamt konnte für jeden eingesetzten Euro ein Rückfluss von 0,96 Euro ermittelt werden. Unter Einbeziehung derjenigen Wirkungen, die während der nächsten zwölf Monate nach Untersuchungszeitraum eingetreten sind, beläuft sich der SROI sogar auf einen Wert 1,11 Euro pro eingesetztem Euro.
Diese monetäre Erfolgsbilanz wird durch die Resultate der "Zweitwährung Kompetenzentwicklung" ergänzt. Gemessen wurde die individuelle Kompetenzentwicklung zwischen zwei Messzeitpunkten auf Ratingskalen. Die soziale Einrichtung wirkt - aber für Klientengruppen unterschiedlich. Bei den Klient(inn)en, die die jeweiligen Kompetenzen bei Einzug weit unterdurchschnittlich (unteres Quartil der Gesamtverteilung) aufwiesen, konnte während des Aufenthaltes im Adolf-Mathes-Haus des Katholischen Männerfürsorgevereins ein Kompetenzzugewinn festgestellt werden, der statistisch signifikant (p<0,05) war und eine hohe Effektstärke aufwies.
Das Modellprojekt hat gezeigt, dass sich die Wirkungen der Sozialarbeit, nach Klientengruppen und Stakeholdergruppen differenziert, messen und darstellen lassen. Es findet sich ein hoher Nutzen für die Kommunen (vermiedene Kosten für Unterbringung von Wohnungslosen), Bund (eingesparte SGB-II-Leistungen) und Land (vermiedene Haftkosten). Auch die Verbesserung der Sozialkompetenzen der Bewohner(innen) in den besonders unterstützungsbedürftigen Lebensbereichen lässt sich sehr gut belegen.
So wie sich anhand dieser SROI-Studie die Effekte der stationären Hilfen für wohnungslose Männer messen lassen, gelang das auch in verschiedenen SROI-Projekten, die wir in Werkstätten, Wohneinrichtungen, Komplexeinrichtungen, Kindergärten, Einrichtungen der Jugendarbeit und Hochschulen durchgeführt haben.
Mehr Lebensqualität entsteht
Mit den Verfahren des "Social Return on Investment" und der Systematik des wirkungsorientierten Controllings lassen sich die Wirkungen sozialer Einrichtungen und Dienste messen und in eine spezifische Produktivitätsbetrachtung integrieren.
Die Wirkungen sozialer Einrichtungen und Dienste beziehen sich auf monetäre "Return-Effekte", nachfrageinduzierte regionale Beschäftigungseffekte, vermiedene gesellschaftliche Kosten, ermöglichte private und gesellschaftliche "Opportunitätserträge" auf der monetären Seite sowie auf nicht monetäre Lebensqualitätseffekte. Soziale Einrichtungen und Dienste produzieren unterschiedliche Lebensqualitätseffekte, die aufgrund der Skalenkonstruktion eben nicht durch die Klientenproblematik erklärt werden können, sondern nur durch die sozialpädagogische Produktivität der jeweiligen Einrichtung.
Die Caritas kann durch Wirkungsmessungen nicht begründen, warum man Menschen helfen soll; aber sie kann durch Wirkungsmessungen lernen, wie man Menschen helfen soll. Nämlich so, dass ein sehr gutes Niveau an Lebensqualität entsteht.
Anmerkungen
1. International Group of Controlling (Hrsg.): Halfar, Bernd: Wirkungsorientiertes NPO-Controlling. Freiburg-Berlin-München : Haufe, 2010.
2. Methodisch sind die SROI-Ansätze des Heidelberger CSI und das xit/KU-Modell ähnlich. An dieser Stelle wird das Xit/KU-Modell exemplarisch referiert.
3. Halfar, Bernd; Wagner, Britta: Soziales wirkt. Der Social Return on Investment bewährt sich in der Praxis. In BFS Info 11/2011.
4. Van Loon, Joos et. al: POS - Personal Outcomes Scale: Individuelle Realität des Lebens. Sozialwerk St. Georg: Gelsenkirchen 2012.
5. Vgl. Macsenaere, Michael; Hermann, Timo: Klientel, Ausgangslage und Wirkungen in den Hilfen zur Erziehung. In: Unsere Jugend, Heft 1/ 2004, S. 32-42; und Tornow, Harald: WIMES als Methode zur trägerübergreifenden Wirkungsevaluation in Düsseldorf. In: Verein für Kommunalwissenschaft e.V. (Hrsg.): Mythos wirkungsorientierte Steuerung, Verein für Kommunalwissenschaften, Berlin, 2008, S. 35-62.
6. Siehe Lehmann, Robert; Ballweg, Thomas: Soziale Arbeit zahlt sich aus: der Social Return on Investment einer stationären Einrichtung der Wohnungslosenhilfe, Nachrichtendienst des Deutschen Vereins, Heft 10/2012. Durchgeführt wurde das Projekt an der "Arbeitsstelle für NPO-Controlling/SROI" an der Katholischen Universität Eichstätt/Ingolstadt.