Nur Theorie: für jede Schule Sozialarbeit
Mit dem Bildungs- und Teilhabepaket wurde beschlossen, dass der Bund den Kommunen und Landkreisen zusätzlich für drei Jahre (2011-2013) jeweils 400 Millionen Euro für das Mittagessen von Kindern in Hortbetreuung und für Schulsozialarbeit zur Verfügung stellt. Das Gesamtvolumen für Schulsozialarbeit ist in den Verhandlungen pauschal mit 150 Millionen Euro jährlich beziffert worden. Mit dieser Summe wäre es möglich, bundesweit 3000 Schulsozialarbeiter(innen) einzustellen. Es gibt jedoch keine verbindliche (gesetzliche) Festschreibung, wie diese zusätzlichen Mittel einzusetzen sind. Die Bundesmittel werden über die Beteiligung an den "Kosten der Unterkunft" an die Kommunen und Landkreise weitergeleitet. Eine direkte Finanzmittelweitergabe vom Bund an die Kommunen ist aufgrund des Kooperationsverbotes nicht möglich. Davon ausgenommen sind die Kosten für die Unterkunft Anspruchsberechtigter, die vom Bund an die Kommunen weitergeleitet werden.
In den katholischen Arbeitszusammenhängen und Gremien der schulbezogenen Jugendsozialarbeit wurde die bisherige Umsetzung dieses Teils des Bildungs- und Teilhabepakets ausgewertet und aus den Erfahrungen Handlungsbedarfe abgeleitet. Es stellt sich jedoch als schwierig heraus, allgemeingültige Aussagen zu treffen, weil sich die Einrichtung neuer Schulsozialarbeitsstellen nicht nur von Bundesland zu Bundesland, sondern auch von einer Kommune zur anderen erheblich unterscheiden kann.
Die Kommunen entscheiden über Mittelverwendung
Der Umgang mit den für den Ausbau der Schulsozialarbeit vorgesehenen Mitteln aus dem Bildungs- und Teilhabepaket ist sehr vielfältig. Da es keine Vorgaben vom Bund gibt, entscheidet jede Kommune und jeder Landkreis nach eigenem Gutdünken. Einige Kommunen nehmen die Mittel, um das Mittagessen in Schulen und Horten zu bezuschussen, andere finanzieren damit auslaufende Projektstellen in der Schulsozialarbeit weiter. Wieder andere haben die Mittel dafür eingesetzt, bereits bestehende Schulsozialarbeitsstellen aufzustocken. Häufig werden die Beträge auch dazu genutzt, die Schulsozialarbeit in Grundschulen einzuführen.
Im präventiven Sinne soll Schulsozialarbeit bereits in der Grundschule angeboten werden. Vor allem sollen die Übergänge von der Kindertagesstätte in die Grundschule und anschließend in die Sekundarstufe I sozialpädagogisch begleitet werden. Zudem wird aus der Praxis zurückgemeldet, dass bereits seit Jahren bestehende Stellen aus diesem Topf finanziert werden.
Da der Bund keine Zweckbindung an die Mittel aus dem Bildungs- und Teilhabepaket festgelegt hat, werden diese auch - vor allem von Kommunen mit Haushaltsengpässen - dafür eingesetzt, den kommunalen Haushalt zu entlasten. Die Kommunen argumentieren, dass dieses Geld an sie weitergeleitet werde und die Verwendung somit in ihrer Entscheidungshoheit liege. Wie die Mittel verwendet werden, hängt oft von Schlüsselpersonen in den Kommunen und Landkreisen und ihrer Einstellung zur Schulsozialarbeit ab.
Kommunen waren unzureichend informiert
Der Start der Ausweitung der Schulsozialarbeit verlief holprig. An einigen Standorten waren sowohl Schulbehörden als auch Schulleitungen nicht darüber informiert, dass sie die Schulsozialarbeit über das Bildungs- und Teilhabepaket ausbauen können. Erst über Briefe der Träger der Jugendsozialarbeit wurden sie auf diese Möglichkeit aufmerksam gemacht. Die Jugendsozialarbeit in katholischer Trägerschaft war hier sehr aktiv und hat auch in Jugendhilfeausschüssen für den Ausbau der Schulsozialarbeit geworben.
Probleme gab es, weil Schulleitungen an einigen Orten in den Prozess der Einrichtung neuer Stellen in ihrer Schule nicht rechtzeitig einbezogen wurden. In der Praxis treten Schwierigkeiten bei den Kooperationsverhandlungen mit den politisch Verantwortlichen und mit den Schulen selbst auf, vor allem wenn es um Fragen der Dienst- und Fachaufsicht geht. Schulleitungen blockierten, weil sie immer wieder neue Programme zur Förderung Benachteiligter1 von außen vorgesetzt bekommen und in ihren Schulalltag integrieren müssen. Mit der zusätzlichen Arbeit und der Koordination der Stellen fühlten sie sich überfordert.
Nachdem im Jahr 2011 nur zögerlich neue Arbeitsplätze eingerichtet wurden, kam der Ausbau der Stellen erst 2012 voran. Zum Teil werden zum jetzigen Zeitpunkt Schulsozialarbeiter(innen) eingestellt, zum Teil wird noch nach passenden Fachkräften gesucht. Es ist jedoch schwierig zu erfassen, wie viele neue Stellen eingerichtet worden sind. Feststellen lässt sich, dass die Umsetzung dort ohne Schwierigkeiten angelaufen ist, wo bereits gut funktionierende Kooperationen zwischen Kommune beziehungsweise Landkreis und Trägern der Schulsozialarbeit bestehen. Zum Teil wurden Träger der Schulsozialarbeit direkt von den Behörden angesprochen, sich für die neu einzurichtenden Stellen zu bewerben. Bei IN VIA Katholische Mädchensozialarbeit sind im Jahr 2011 22 Orts- beziehungsweise Diözesanverbände in acht Bundesländern Träger der schulbezogenen Jugendsozialarbeit. Sie erreichen insgesamt etwa 10.000 junge Menschen.
Schulsozialarbeit ist ein Angebot der Jugendhilfe, und das muss auch so bleiben. Ergänzend zum Unterricht wirkt Schulsozialarbeit im Interesse der Kinder und Jugendlichen in den Schulen. Dort können alle Kinder und Jugendliche die Schulsozialarbeiter(innen) unkompliziert erreichen und ihre Anliegen und Interessen vorbringen. Die Schulsozialarbeiter(innen) greifen diese auf, leisten individuelle Unterstützung und bieten darüber hinaus Aktivitäten an, die das soziale Miteinander fördern. Die Stärke der Jugendhilfeorientierung ist darin begründet, dass sie individuell ansetzt, jedoch sowohl im Sozialraum verankert als auch in der Jugendhilfe vernetzt ist. Dadurch können für Kinder und Jugendliche Zugänge und Angebote geöffnet werden.
Fachlichkeit der Schulsozialarbeit steht auf dem Spiel
In einigen Kommunen wurden nun zwar neue Schulsozialarbeiterstellen eingerichtet. Diese wurden jedoch nicht öffentlich ausgeschrieben, sondern die Trägerschaft ist direkt bei der Kommune angesiedelt. Die Gemeinden nutzen die neue Finanzierungsmöglichkeit zum Teil, um das Subsidiaritätsprinzip außer Kraft zu setzen. Generell besteht die Gefahr, dass bei den neuen Stellen Schwierigkeiten bei der Regelung der Dienst- und Fachaufsicht auftreten. Die Trägerschaft der Jugendhilfe wird infrage gestellt und Kommunen, aber auch Schulen reklamieren diese für sich. So verlagert sich die Fachlichkeit von der Jugendhilfe auf andere Verantwortungsträger: Die die Schulen ergänzende Expertise der Jugendhilfe wird von anderen Interessen überlagert.
Das Aufrechterhalten der spezifischen Fachlicheit der Schulsozialarbeit wird aber auch anderweitig erschwert. So besteht die Erwartung, dass die neuen Schulsozialarbeiter(innen) dafür sorgen, dass die persönlichen Leistungen des Bildungs- und Teilhabepaketes in Anspruch genommen werden. Sie sollen nur für bedürftige Kinder und Jugendliche aus Familien mit geringem Einkommen da sein und die Familien entsprechend beraten. Schulsozialarbeit aber richtet sich an alle Kinder.
Durch den Stellenausbau der Schulsozialarbeit stehen nicht genügend qualifizierte Fachkräfte zur Verfügung, die zusätzlich zu ihrer allgemeinen sozialarbeiterischen Ausbildung auch Kompetenz für das System Schule benötigen. Vor allem im ländlichen Raum gestaltet sich die Stellenbesetzung schwierig. In den östlichen Bundesländern wird die Suche nach Fachkräften dadurch erschwert, dass viele Bewerber(innen) das kirchliche Profil nicht mitbringen.
Die Stellen sind nur bis 2013 finanziert
Der langsame Ausbau der Arbeitsplätze liegt auch mit daran, dass die Finanzierung der Stellen nur bis Ende 2013 gesichert ist. Zwar nutzen einzelne Länder wie zum Beispiel Baden-Württemberg und Bayern die Finanzierung, um die Schulsozialarbeit (beziehungsweise in Bayern die Jugendsozialarbeit) an Schulen längerfristig auszubauen. Jedoch haben in anderen Regionen einzelne Kommunen und Landkreise, insbesondere in den östlichen Bundesländern, die Mittel von Anfang an nicht in Anspruch genommen, weil sie nicht in der Lage sind, die Stellen ab 2014 selbst zu finanzieren. Aus diesem Grund wurden die meisten neu eingerichteten Stellen auch mit einer Befristung versehen. Wenn es 2014 keine weitere Förderung gibt, steht vor allem bei den Kommunen und Landkreisen in den östlichen Bundesländern bereits heute fest, dass die Stellen wieder auslaufen werden.
Die Caritas muss dafür eintreten, dass der Bund die neu eingerichteten Stellen über 2013 hinaus als Angebot der Jugendhilfe bezuschusst. Das Wahljahr 2013 ist prädestiniert für Lobbyarbeit, die sich für die längerfristige Etablierung der Schulsozialarbeit und für die Aufhebung des Kooperationsverbotes zwischen Bund und Kommunen stark macht. Darüber hinaus muss der Bund klare Richtlinien für die Verwendung der Mittel vorgeben. Darin muss festgelegt werden, dass die Mittel nur für den Ausbau von Schulsozialarbeiterstellen zur Verfügung stehen und nicht für das Ausgleichen von Haushaltsengpässen.
Darüber hinaus wäre für die Kooperationsverhandlungen zwischen Jugendhilfe und Schule beziehungsweise Kommune eine Rahmenvorgabe hilfreich, in der die Ansiedelung des Arbeitsfelds Schulsozialarbeit bei der Jugendhilfe festgeschrieben wird.
Anmerkung
1. Programme der Berufsorientierung oder Berufseinstiegsbegleitung.