Neue Verwaltungsansweisungen zum Gemeinnützigkeitsrecht
Seit langem ist die Überarbeitung des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung (AEAO) angekündigt, Mitte Januar 2012 wurden die Änderungen vom Bundesfinanzministerium (BMF) nun veröffentlicht. Geändert wurde unter anderem:
Inlandsbezug gemeinnütziger Zweckverwirklichung
Bei im Inland ansässigen Körperschaften ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sie mit ihrer gemeinnützigen Auslandstätigkeit zum Ansehen Deutschlands beitragen. Eines besonderen Nachweises oder einer spürbaren oder messbaren Ansehenssteigerung bedarf es nicht. Die Einführung des strukturellen Inlandsbezugs seit 2009 dürfte für inländische Organisationen somit keine Einschränkung von Auslandsaktivitäten zur Folge haben.
Vermögen müssen dokumentiert werden
Definition von zulässigem Vermögen bei wirtschaftlicher Hilfsbedürftigkeit
Mildtätige Hilfen sind nach § 53 Nr. 2 Abgabenordnung (AO) nur zulässig, wenn das Vermögen von wirtschaftlich hilfebedürftigen Menschen zur nachhaltigen Verbesserung ihres Unterhalts nicht ausreicht. Als zulässiges Vermögen hat die Finanzverwaltung erstmals ein Vermögen von maximal 15.500 Euro definiert. Außer Ansatz bleiben Vermögensgegenstände, deren Veräußerung offensichtlich eine Verschleuderung bedeuten würde, die einen Erinnerungswert haben oder die zum Hausrat gehören. Auch ein angemessenes Hausgrundstück im Sinne des § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII wird nicht angesetzt. Zukünftig ist stets die Berechnung der Einkünfte und auch des Vermögens zu dokumentieren, was für gemeinnützige Organisationen ein Mehr an Bürokratie bedeutet. Hilfen zugunsten von Menschen, die infolge ihres körperlichen, geistigen oder seelischen Zustands auf Hilfen angewiesen sind (§ 53 Nr. 1 AO), also zugunsten alter, kranker oder behinderter Menschen sowie von Kindern, sind hiervon jedoch nicht betroffen. Hier ist auch zukünftig allein die Dokumentation der persönlichen Hilfsbedürftigkeit (z.B. Geburtsdatum, Krankheit, Pflegestufe) ausreichend.
Zulässige Rücklagenbildung bei Unternehmergesellschaften
Unternehmergesellschaften (sogenannte Mini-GmbHs) sind gesetzlich verpflichtet, von ihrem Jahresüberschuss mindestens 25 Prozent in eine Rücklage einzustellen, bis ein Stammkapital von 25.000 Euro erreicht ist. Bei gemeinnützigen Unternehmergesellschaften gilt nun, dass mit der Erfüllung dieser gesetzlichen Vorgabe nicht gegen das Gebot der zeitnahen Mittelverwendung verstoßen wird.
Zur Unzulässigkeit von Tätigkeitsvergütungen an Stiftungsorgane
Die bisher in BMF-Schreiben vertretene Auffassung, dass die Vergütung von Vereinsvorständen gemeinnützigkeitsrechtlich nur zulässig ist, wenn eine entsprechende Satzungsregelung besteht, wurde nun in den AEAO übernommen und auf die Organe von Stiftungen ausgeweitet. Da für Letztere keine Übergangsfrist vorgesehen ist, besteht akuter Handlungsbedarf.
Aufgabe der Geprägetheorie
Bisher war der Status der Gemeinnützigkeit ausgeschlossen, wenn die wirtschaftlichen Aktivitäten einer Organisation das Gepräge gaben. Als Maßstab wurde beispielsweise die in den wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben und der Vermögensverwaltung geleistete Zeit herangezogen. Diese Rechtsauffassung wurde vom Bundesfinanzhof (BFH) verworfen. Maßgeblich ist vielmehr, ob das Vermögen zweckgerichtet für die ideellen Zwecke eingesetzt wird. Wirtschaftliche Geschäftsbetriebe oder Vermögensverwaltung mit dem Ziel, aus den Überschüssen die gemeinnützigen Satzungszwecke zu finanzieren, sind danach unschädlich. Schädlich ist hingegen, wenn sie in der Gesamtschau zum Selbstzweck werden und neben die Verfolgung des steuerbegünstigten, satzungsgemäßen Zwecks treten.
Durch die Aufgabe der Geprägetheorie wird gemeinnützigen Organisationen zum einen die Finanzierung aus wirtschaftlichen Aktivitäten erleichtert. Zum anderen reduziert sich das Risiko, durch die nachträgliche Umqualifizierung von Zweckbetrieben die gemeinnützige Prägung zu verlieren. Aber auch zukünftig wird nicht alles möglich sein. Zum einen gilt weiterhin das Verrechnungsverbot bei Verlusten aus wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben oder der Vermögensverwaltung. Zum anderen bestehen Restriktionen aus dem Vereinsrecht (§ 21 ff. BGB). Danach ist dem Idealverein nur in gewissem Umfang und in untergeordneter Funktion eine wirtschaftliche Betätigung gestattet (Nebenzweckprivileg). So hat das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 18. Januar 2011, Aktenzeichen 25W14/10) einem Kindergarten die Eintragung ins Vereinsregister verweigert, da er entgeltlich, auf Dauer und planmäßig Leistungen an Dritte erbringen und sich damit wirtschaftlich betätigen wollte.
Kooperation gemeinnütziger Organisationen erleichtert
Gemeinnützigkeit auch für Hilfspersonen
Nach § 57 AO verfolgt eine Körperschaft ihre gemeinnützigen Zwecke auch dann unmittelbar, wenn sie sich einer Hilfsperson bedient, die auf ihre Weisung hin einen konkreten Auftrag ausführt.
Bisher konnte eine gemeinnützige Organisation, die als Hilfsperson für eine andere Organisation tätig ist, allein durch ihre Mitarbeit bei gemeinnützigen Aktivitäten anderer selbst nicht steuerbegünstigt sein. Dies hat die Kooperation von steuerbegünstigten Körperschaften sowie die
Auslagerung von steuerbegünstigten Teilbereichen erschwert. Zukünftig ist die Steuerbegünstigung solcher Hilfspersonen möglich, sofern sie zugleich auch ihre eigenen steuerbegünstigten Satzungszwecke erfüllen.
Abschaffung von pauschalen Wiederbeschaffungsrücklagen
Den Wiederbeschaffungsrücklagen dürfen zukünftig nur noch Mittel zugeführt werden, wenn tatsächlich eine Neuanschaffung geplant und in angemessenem Zeitraum möglich ist. Sie ist dann nicht gerechtfertigt, wenn ein Fuhrpark verkleinert oder ein Gebäude in unabsehbar langer Zeit nicht durch einen Neubau ersetzt werden soll. Im Gegenzug können höhere Beträge als die laufenden Abschreibungen zugeführt werden, wenn ein Wirtschaftsgut frühzeitig oder durch ein besseres, größeres und teureres Wirtschaftsgut ersetzt werden soll. Wiederbeschaffungsrücklagen werden also nicht gänzlich abgeschafft, sondern nur eine vorsorgliche oder pauschale Bildung ist zukünftig nicht mehr möglich. Offen ist, ob bisherige Rücklagen beibehalten werden dürfen oder nun durch konkrete Vorhaben belegt werden müssen.
Keine Steuerbegünstigung für zentrale Beschaffungsstellen
Zentrale Beschaffungsstellen (beispielsweise zum zentralen Einkauf von Ausrüstung) stellen keinen steuerbegünstigten Zweckbetrieb dar. Es ist nicht ausreichend, dass ein Betrieb im Hinblick auf die Zweckverwirklichung nur hilfreich oder nützlich ist, der Betrieb muss vielmehr notwendig sein, was bei Beschaffungsstellen nicht der Fall ist.
Kein steuerbegünstigter Zweckbetrieb bei potenziellem Wettbewerb
Es kommt nicht auf die tatsächliche Konkurrenz zu steuerpflichtigen Betrieben derselben oder ähnlicher Art an, vielmehr gewährt § 65 AO einen umfänglichen Schutz des Wettbewerbs. Für die Caritas ist die Ausrichtung am potenziellen Wettbewerb von Nachteil, denn in nahezu allen Tätigkeitsbereichen ist mittlerweile gewerbliche Konkurrenz zumindest denkbar. Die Wettbewerbsklausel bezieht sich jedoch nur auf allgemeine Zweckbetriebe nach § 65 AO, für Katalogzweckbetriebe nach §§ 66 bis 68 AO, wie Krankenhäuser, Pflegeheime, Kindergärten oder Werkstätten für behinderte Menschen, ist die Beeinträchtigung des potenziellen Wettbewerbs unbeachtlich.
Zweckbetriebseigenschaft von Rettungsdiensten und Krankentransporten
Entgegen der Auffassung des Bundesfinanzhofs (BFH) definiert der AEAO nun Rettungsdienste und Krankentransporte als Zweckbetriebe, selbst dann, wenn die Leistungen zu denselben Bedingungen wie bei gewerblichen Unternehmen angeboten werden.
Ferner wurde klargestellt, dass bei Einrichtungen der Wohlfahrtspflege, die bei gleichen Leistungen maximal ein Drittel der Leistungen an nicht hilfsbedürftige Personen erbringen, ein einheitlicher Zweckbetrieb vorliegt.
Zweckbetriebseigenschaft von Selbstversorgungseinrichtungen
Ertragsteuerbegünstigt sind nur solche Selbstversorgungseinrichtungen, die den im Gesetz genannten Handwerksbetrieben vergleichbar sind. Handelsbetriebe oder Verwaltungstätigkeiten sind nicht begünstigt. Ebenfalls nicht begünstigt sind Einrichtungen mit dauerhaften Überkapazitäten. Bestanden diese jedoch bereits am 1. Januar 2010, dann genießen sie bis einschließlich 2012 Bestandsschutz.
Steuerbegünstigte Zweckbetriebe
Werkstätten für behinderte Menschen und Integrationsprojekte
Der Werkstättenbegriff ist nach § 136 SGB IX zu bestimmen. Die bisher notwendige Wertschöpfungsklausel von zehn Prozent ist entfallen. Zu den steuerbegünstigten Zweckbetrieben gehören auch die von den Trägern betriebenen Kantinen. Läden und Verkaufsstellen sind ebenfalls als Zweckbetriebe zu behandeln, wenn dort Produkte verkauft werden, die von Werkstätten für behinderte Menschen hergestellt worden sind. Der Handel mit zugekaufter Ware, die nicht in einer Behindertenwerkstätte hergestellt wurde, stellt hingegen einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb dar.
Während für die sozialrechtliche Anerkennung als Integrationsprojekt nach § 132 SGB IX zwischen 25 Prozent und 50 Prozent schwerbehinderte Menschen beschäftigt werden sollen, ist im Steuerrecht eine Beschäftigungsquote von mindestens 40 Prozent vorgeschrieben.
Wohnortnahe Einzelhandelsgeschäfte können als Integrationsprojekt oder als zusätzlicher Arbeitsbereich einer anerkannten Werkstätte für Menschen mit Behinderung gegründet werden. Sie müssen jedoch in die Anerkennung nach § 142 SGB IX einbezogen sein beziehungsweise bei Integrationsprojekten die Beschäftigungsquote von 40 Prozent erreichen.
Den Bescheiden der Sozialbehörden (Anerkennungsbescheid nach § 142 SGB IX beziehungsweise Leistungsbescheid nach § 134 SGB IX) kommt grundsätzlich Tatbestandswirkung zu, sie stellen jedoch keine Grundlagenbescheide im Sinne des § 171 Abs. 10 AO dar.