Häusliche Gewalt: Täterarbeit ist Väterarbeit
Wenn Männer zuschlagen, hilft es nicht, wegzuschauen. Drei lokale Dienste der verbandlichen Caritas in der Diözese Münster kooperieren deshalb im Netzwerk "Gewaltberatung im Bistum Münster" speziell im Hinblick auf häusliche Gewalt: Der Caritasverband für das Dekanat Herten, der SKM Münster und der Katholische Sozialdienst Hamm-Werne bieten Krisen- und Gewaltberatung für Jungen und Männer an. Koordiniert wird die Zusammenarbeit vom Caritasverband für die Diözese Münster.
Die Arbeit orientiert sich am "Hamburger Modell" - einem Konzept der Einzelberatung von Männern, die sich selbst melden und im Gespräch mit einem männlichen Pädagogen ihr Verhalten analysieren.1 Die täterzentrierte Beratung wird durch Kooperationen mit anderen Diensten und Organisationen vor allem auf der strukturellen Ebene ergänzt, zum Beispiel durch die Teilnahme an runden Tischen im Themenkontext häusliche Gewalt.
Ein Phänomen der Gewalt im sozialen Nahbereich ist, dass die Beziehung in vielen Fällen trotz der ausgeübten Gewalt aufrechterhalten wird.2 Die in dem Arbeitsfeld tätigen Organisationen sollten diesen Umstand für eine gelingende, gewaltfreie Beziehungsgestaltung der Partner(innen) berücksichtigen. Daher braucht es passendere Hilfestrukturen als die bislang vorhandenen. Ermöglicht werden kann das unter anderem durch umfassendere Formen der Zusammenarbeit.3
Der Diözesan-Caritasverband Münster hat deshalb die Katholische Hochschule NRW, Abteilung Münster, damit beauftragt, in einem ersten Schritt die Kooperationsmöglichkeiten zwischen Gewaltberatung und dem Jugendamt beziehungsweise der Staatsanwaltschaft aus verschiedenen Perspektiven auszuleuchten. Zentrale Ausgangsfrage der über ein Jahr laufenden und inzwischen abgeschlossenen Studie4 war: Inwiefern sehen das Jugendamt und die Staatsanwaltschaft eine Kooperation mit Angeboten der Täterarbeit als eine Möglichkeit an, den Gewaltkreislauf in Fällen häuslicher Gewalt zu durchbrechen?
Um geeignetes Datenmaterial zu erhalten, wurden Organisationen in Nordrhein-Westfalen interviewt. Relevante Themen dieser leitfadengestützten Expert(inn)eninterviews waren:
- Jugendamt/Staatsanwaltschaft/Männergewaltberatung (allgemein): Information über die Organisationen sowie die Arbeits- und Sichtweise der Mitarbeitenden mit besonderem Fokus auf den Umgang mit Fällen häuslicher Gewalt.
- Strukturelle Kooperation: Vernetzung mit Organisationen; Mitgliedschaft an runden Tischen, Arbeitskreisen oder anderen organisierten Zusammenkünften.
- Fallbezogene Kooperation: Zusammenarbeit zwischen der Männer-Gewaltberatung und dem Jugendamt beziehungsweise der Staatsanwaltschaft. Es war von Interesse, ob sich eine Kooperation auf der Fallebene bereits etabliert hat und wie sich diese verwirklicht. Wurde keine Zusammenarbeit gelebt, bezogen sich die Fragen auf gewünschte Kooperationen und wie diese ausgestaltet werden könnten.
Die Kinder- und Jugendhilfe sieht eine Kooperation gegen Gewalt im sozialen Nahbereich (also Gewalt von Lebenspartnern, Verwandten, Freunden) im Lichte des Kindeswohls. Bei vorliegender (Mit-) Betroffenheit von Kindern und Jugendlichen ist das Jugendamt unabdingbares Mitglied in Netzwerken gegen häusliche Gewalt (s. Beiträge S. 9-19 in Heft 11/2012). Als staatliches Organ könnte es im Auftrag des Kindeswohls nach § 1666 BGB und § 8a SGB VIII auf den Täter einwirken, indem die Teilnahme an einer Männergewaltberatung an die Hilfen zur Erziehung gekoppelt und verbindlich im Hilfeplan festgeschrieben werden. Die dabei geltende gesetzliche Grundlage ist der § 16 SGB VIII: "Allgemeine Förderung der Erziehung in der Familie".
Das Jugendamt hat das Kindeswohl im Blick
In der Untersuchung zeigte sich, dass eine fallbezogene Kooperation zwischen der Männergewaltberatung und dem Jugendamt einen regelmäßigen Austausch und eine inhaltliche schriftliche Berichterstattung erfordert. Nur so ist es möglich, im Hinblick auf das Kindeswohl zu beurteilen, ob die Eltern zur Kindererziehung fähig sind. Der Berater kann natürlich nicht garantieren, dass sich ein gewaltbereiter Mann künftig gewaltfrei verhält. Dennoch zeigte sich, dass die Motivation des Täters sowie sein Veränderungs- und Reflexionsgrad einschätzbar sind, auf deren Grundlage das Jugendamt dann über weitere Schritte in der Hilfeplanung entscheiden kann. Förderlich ist es, Täterarbeit als Väterarbeit und somit als eine Möglichkeit zu begreifen, verstärkt den Kinderschutzauftrag zu verfolgen.
Staatsanwaltschaft: strafen oder resozialisieren
Die Justiz sieht eine Kooperation gegen Gewalt im sozialen Nahbereich im Hinblick auf die Möglichkeiten des Strafens und der Resozialisierung. Während der Strafgedanke vornehmlich hoheitlich umgesetzt wird (durch Gerichte, Staatsanwaltschaften, Justizvollzugsanstalten), bietet das Ziel der Wiedereingliederung die Perspektive, soziale Hilfen in Anspruch zu nehmen. Staats- und Amtsanwaltschaften können Täter durch eine rechtliche Zuweisung an eine Beratungseinrichtung verpflichten, an adäquaten Maßnahmen im sozialen Hilfeleistungssystem teilzunehmen.
Als ein Ergebnis des Projektes mit Blick auf die Zusammenarbeit zwischen Männergewaltberatung und Staatsanwaltschaft ist festzuhalten, dass für eine Fallkooperation der begrenzte Austausch von personenbezogenen Daten unablässig ist. Die Weitergabe ist notwendig, um den Beteiligten Fallinformationen und -entwicklungen zuleiten zu dürfen und um die Aussagen des Täters an der Realität messen zu können. Als hilfreich hat sich eine bedingte Schweigepflichtentbindung gegenüber der Männergewaltberatung herausgestellt. In umgekehrter Richtung kann sich die Staatsanwaltschaft sicher sein, dass der Täter sich mit der Tat auseinandersetzt, weil sie von der Beratungsstelle eine schriftliche Rückmeldung erhält, die die Anzahl der Sitzungen und den Modus der Beendigung der Teilnahme aufführt. Damit zwischen der Staatsanwaltschaft und der Männergewaltberatung ein identisches Verständnis über die quantitative Information vorherrscht, werden die Inhalte der Teilnahmerückmeldung nach festgelegten, qualitativen Standards verwendet.
Als vorteilhaft für die Kooperation erwies sich zudem, wenn Staatsanwaltschaft und Männergewaltberatung nicht generell davon ausgehen, dass die Täter für eine Beratung nicht motiviert oder gar beratungsresistent sind. Die staatsanwaltliche Möglichkeit, das Verfahren einzustellen, wenn die Männer die Auflage der Beratung erfüllen, und der Prozess der Gewaltberatung als solcher sind Impulse für die Täter, ihr Verhalten zu verändern.
Neben einer eigenen, grundständigen finanziellen Aufstellung der Männergewaltberatungen (Teilnahmebeiträge, Projektmittel, Spenden) konnte eine unmittelbare Finanzierung nur in einem Fall mit dem Jugendamt ausgemacht werden. Dort wurden die Kosten der Beratung in einem Hilfeplan über Fachleistungsstunden übernommen. In der Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft wurden keine finanziellen Mittel bereitgestellt. Es bestand jedoch die Möglichkeit, innerhalb der lokalen Interventionsprojekte gegen häusliche Gewalt pauschalierte Rahmenvereinbarungen mit der Stadt abzuschließen oder finanzielle Mittel von der Stadt und der Region zu akquirieren.
Kooperationen sind bisher nicht üblich
Bestätigt wurde durch die Untersuchung, dass das Themenfeld häusliche Gewalt gesellschaftlich und damit auch innerhalb der Sozialen Arbeit einem deutlichen Entwicklungsschub unterliegt. Bisher sind jedoch die beteiligten Organisationen noch relativ isoliert innerhalb ihres jeweiligen Aufgabenkontextes aktiv. Eine eher ganzheitliche Zugangsweise unter Einbeziehung aller Betroffenen und anderer institutioneller Akteure findet kaum statt.
Deutlich stellte sich heraus, dass die Zusammenarbeit zwischen den Organisationen von den Beteiligten eine große Bereitschaft voraussetzt, die divergierende Auftragssituation zu tolerieren. Übersetzungsprobleme zwischen diesen Organisationen sind vorprogrammiert. Hilfestellung könnten hier standardisierte Abläufe der Zusammenarbeit geben, die Mehrdeutigkeiten reduzieren.
Die erforderliche Kooperationsaufgabe ist ausdrücklich nicht allein auf Ebene der Mitarbeitenden zu bewältigen, sondern eine herausfordernde Aufgabe der Leitungsebene gegen das gesellschaftliche Phänomen häusliche Gewalt.
Anmerkungen
1. Dangers, Thomas: Gewaltberatung - ein Therapieverlauf. In: Männer gegen Männergewalt (Hrsg.): Handbuch der Gewaltberatung. Hamburg : Ole Verlag, 2006, S.15-56.
2. Buskotte, Andrea: Gewalt in der Partnerschaft. Ursachen - Auswege - Hilfen. Düsseldorf : Patmos, 2007, S. 68-73.
3. Beckmann, Stefan et al.: Gemeinsam gegen häusliche Gewalt. Kooperation, Intervention, Begleitforschung, Forschungsergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung der Interventionsprojekte gegen häusliche Gewalt (WiBIG). Abschlussbericht 2000 bis 2004. Bd. III: Täterarbeit im Kontext von Interventionsprojekten gegen häusliche Gewalt. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.), Berlin, 2004.
4. Foschepoth, Ina; Heidrich, Martin; Rüter, Jens: Organisatorische Kooperationsgestaltung im Feld häuslicher Gewalt. Abschlussbericht. Münster: Katholische Hochschule NRW, 2011.