Wohngruppe und Regionalverbund: zwei Seiten eines Konzeptes
Der Gedanke an Pflegebedürftigkeit und an einen Umzug in ein Altenpflegeheim ist für die betroffenen Menschen und ihre Angehörigen mit zahlreichen Ängsten verbunden. Angst vor Verlust von Selbstbestimmung und liebgewonnenen Gewohnheiten, Angst vor einer neuen Umgebung - womöglich noch weit entfernt vom bisherigen Lebensmittelpunkt. Für Anbieter in der Altenhilfe gilt es, dies bei der Angebotsgestaltung zu berücksichtigen: einmal mit Blick auf das Einrichtungskonzept, wenn es um die Gestaltung des Alltags, der Betreuung und der Pflege geht. Zum anderen im Hinblick auf die Wahl der Standorte und die Verwurzelung im jeweiligen Gemeinwesen oder Wohnquartier.
Die Stiftung St. Franziskus Heiligenbronn greift dies auf und setzt in ihren Altenzentren das am Alltag orientierte Wohngruppenkonzept um. Die Altenzentren sind regional organisiert. Sie werden zu Komplett-Dienstleistungszentren entwickelt, indem die voll- und teilstationären Angebote entsprechend dem regional gegebenen Bedarf durch angeschlossene Anlagen des betreuten Wohnens sowie durch Beratungsstellen, betreutes Wohnen zu Hause und ambulante Dienste ergänzt werden. So können zentrale Dienste und Ressourcen gebündelt und Dienstleistungen, welche von den einzelnen Altenzentren alleine nicht zu verwirklichen wären, in der Fläche verfügbar gemacht werden: dies nicht nur in Ballungsräumen mit entsprechenden Bedarfszahlen, sondern auch in kleineren Gemeinwesen beziehungsweise im ländlichen Raum. Durch den Verbund großer und kleiner Einrichtungen wird damit ein Konzept der wohnortnahen Versorgung umgesetzt. Perspektivisch sollen ambulante Wohngemeinschaften als noch kleinere Wohnform dieses Konzept weiter ausdifferenzieren.
Das Wohngruppenkonzept legt den Fokus auf sinnstiftende und alltagsorientierte Elemente. In einem umfangreichen Organisationsentwicklungsprozess wurden viele hauswirtschaftliche Tätigkeiten, welche vormals bewohnerfern in der Zentralküche oder der zentralen Wäscherei erbracht worden waren, zu den betreuten Menschen auf die Wohngruppen verlagert. Dort dienen sie gezielt der Tagesstrukturierung und Alltagsgestaltung (s. auch neue caritas Heft 22/2009, S. 12 ff.). Mit verlagert wurden entsprechende Stellenanteile aus der zentralen Hauswirtschaft, um die Personalpräsenz in den Wohngruppen - über die maximalen Personalschlüssel in der Pflege und Betreuung hinaus - zu erhöhen.
In den Wohngruppen sind interdisziplinäre Teams arbeitsteilig tätig. Für die Gestaltung des Tagesablaufs sind Alltagsbegleiter(innen) zuständig. Die Pflegekräfte verantworten in erster Linie die Steuerung des Pflegeprozesses sowie die Grund- und Behandlungspflege. Ergänzende Betreuung für Menschen mit Demenz wird über die Betreuungskräfte nach § 87b SGB XI erbracht. Sämtliche Mitarbeiter der Wohngruppen sind im Rahmen der Bezugspflege in Teams organisiert. Diese werden von Teamleitungen koordiniert.
Experten ersetzen die Wohnbereichsleitung
Expertenwesen ermöglicht eine gezielte Förderung von Mitarbeiter(inne)n und bietet individuelle Entwicklungsmöglichkeiten. Bei seiner Umsetzung wird neben den fachlich-inhaltlichen Konzepten auch auf Personalentwicklungsinstrumente wie das Zielvereinbarungs- und Entwicklungsgespräch zurückgegriffen, da hier auch die persönliche und berufliche Weiterentwicklung der Mitarbeiter(innen) Thema ist. Eine konsequente Weiterführung dieses Konzeptes ist eine Stärkung der Teams durch die Auflösung der Wohnbereichsleitungs-Ebene - und damit eine Verabschiedung von traditionellen Organisationsstrukturen in der Pflege.
Das Expertenwesen in den Bezugspflegeteams wird auf Ebene der Leitungskräfte fortgesetzt. So werden, geknüpft an die Regionalleitungen, regionale Kompetenzzentren aufgebaut, um Themen wie Demenz, Pflegefachlichkeit oder Spiritualität abzudecken. Dies kommt sämtlichen Altenzentren zugute, sei es bei der Konzeptentwicklung, durch zentrale Fachtage oder bei der Begleitung einrichtungsübergreifender Expertengruppen (zum Beispiel gerontopsychiatrischer Fachkräfte). Dies wiederum fördert den Austausch zwischen den Einrichtungen. Vergleichbare organisatorische und personelle Ressourcen sowie ein entsprechendes Expertenwesen wären außerhalb des regionalen Verbundes insbesondere für kleinere, solitär geführte Einrichtungen nicht verfügbar zu machen.
Die Erfahrungen der Stiftung St. Franziskus zeigen, dass die regionale Ausrichtung und Vernetzung zu einer tiefen Verankerung in den jeweiligen Quartieren geführt hat. Dies spiegelt sich in zahlreichen Kontakten ins Gemeinwesen wider. Der Austausch und die Vernetzung innerhalb des regionalen Verbunds erforderte jedoch insbesondere zu Beginn eine enge Begleitung und Moderation.
Durch das Wohngruppenkonzept konnte die Personalpräsenz in den Wohnbereichen spürbar erhöht werden. Vor allem das Vorhandensein von Alltagsbegleiter(inne)n als ständigen Ansprechpartnern in den Wohngruppen wird dabei im Rahmen von Kundenbefragungen als besonders positiv zurückgemeldet. Die beschriebenen Strukturen, insbesondere das Bezugspflege- und Teamleitermodell, haben gewohnte Rollen und Prozesse verändert: Mit den Alltagsbegleitern wurde eine neue Berufsgruppe eingeführt, die Pflege konzentriert sich verstärkt auf ihre Kernkompetenzen, und der/die Einzelne übernimmt im Bezugspflegeteam mehr Verantwortung. Dies macht eine enge Begleitung durch die Leitungskräfte vor Ort, aber auch über interne zentrale Schulungen notwendig. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Konzept für alle Beteiligten eine eindeutige Verbesserung, aber auch eine sehr anspruchsvolle Aufgabe ist.