Lamas und auch sonst viel Leben
Zwei Lamas, zwanzig Kindergartenkinder und ebenso viele ältere demente Menschen sind auf der Wiese vor dem Barbara-Zentrum versammelt. "Das kitzelt!", lacht eine Bewohnerin der Hausgemeinschaft St. Barbara, einer stationären Einrichtung für Menschen mit Demenzerkrankung, als ihr ein Lama aus der Hand frisst. Das Futter, Blumen und Gras, hat sie direkt neben ihrem Rollstuhl auf der Wiese gepflückt. Ein paar Meter entfernt führen Levin, Kian und Sammy aus dem Barbara-Kindergarten das zweite Lama spazieren, begleitet von einer weiteren Bewohnerin der Hausgemeinschaft. Die vier trennen über 70 Lebensjahre, aber der außergewöhnliche Spaziergang mit einem Lama verbindet sie. "Gemeinsame Aktionen, die junge und alte Menschen verbinden, bereichern unsere Arbeit in der Hausgemeinschaft", so Pflegedienstleiter Thomas Skamira.
Als Kirche mit den Menschen im Stadtteil leben
Unter dem Leitwort "den Menschen nah" wurde das Barbara-Zentrum im Hertener Stadtteil Paschenberg im August 2008 eingeweiht. Den Menschen nah - das bedeutet für die Initiatoren von Caritas und katholischer sowie evangelischer Kirchengemeinde: als Kirche mit den Menschen im Stadtteil zu leben, einen Ort der Begegnung und der Kommunikation zu schaffen und Menschen verschiedener Generationen zusammenzubringen.
Für das Barbara-Zentrum sind charakteristisch:
- die neue Kirche: In dieser feiern katholische und evangelische Christen ihre Gottesdienste;
- das Café am Berg: der Raum für Ideen und soziales Engagement;
- der Abschiedsraum: Er ermöglicht Angehörigen in einem individuellen und würdevollen Rahmen Abschied von ihren Verstorbenen zu nehmen;
- gemeinsame Aktivitäten mit Kindergärten und Schulen;
- die Hausgemeinschaft St. Barbara: als stationäres Angebot des Caritasverbandes für Menschen mit einer Demenzerkrankung.
Das Siedlungsgebiet Paschenberg, vorgesehen vor allem für die Bergleute des Bergwerks "Schlägel und Eisen", wurde 1956 von der Pfarrgemeinde St. Antonius abgetrennt. Patronin der neuen Gemeinde wurde die heilige Barbara, die bis heute als Schutzpatronin der Bergleute gilt. Im Juli 1954 wurde die erste Kirche geweiht. Der Architekt hatte mit massiven Bögen in der Kirche einen Stollen unter Tage nachempfunden und so eine Verbindung zwischen dem Alltag der Bergleute und der Kirche hergestellt.
Im Jahre 2001 entstanden in Zusammenarbeit mit dem Caritasverband Herten erste Ideen für das neue Barbara-Zentrum. Ziel war es, den Standort St. Barbara, auch nach den Zechenschließungen in Herten, langfristig für die Christen auf dem Paschenberg zu sichern. Im Januar 2007 wurde die erste Barbara-Kirche abgerissen. An diesem Platz entstand dann das Barbara-Zentrum. Der neue Kirchraum präsentiert sich modern, hell und ökumenisch. Sofort fallen die unterschiedlichen Liederbücher auf - für den katholischen und den evangelischen Gottesdienst. "Wir versuchen in der Ökumene neue Wege zu finden. Gemeinsam wollen wir Neues entdecken und entwickeln", so der katholische Pfarrer Norbert Mertens. Als Zeichen der ungebrochenen Entwicklung blieb der Turm der alten Kirche stehen und präsentiert weit sichtbar die neue Vision für den Paschenberg: Ein vier mal acht Meter großes Plakat zeigte Norbert Mertens und die evangelische Pfarrerin Ulrike Baldermann mit der Aussage "St. Barbara … gemeinsam glauben!".
Selbstbestimmte Teilhabe wird großgeschrieben
"Bei der Konzeption der Hausgemeinschaft war für uns von zentraler Bedeutung, den Menschen nah zu sein. Wir haben einen Lebensraum gestaltet, der von einem hohen Maß an Normalität geprägt ist und in dem Gemeinschaft erlebbar ist", erläutert Bernd Raspel, Leiter der Hausgemeinschaft. Vier Wohngemeinschaften sind entstanden, in denen jeweils zehn Menschen leben. Das Leben bleibt dabei nicht auf die einzelne Wohngemeinschaft beschränkt, sondern es bestehen auch viele Kontaktmöglichkeiten zu anderen Menschen und Orten. Dazu gehören die anderen Wohngemeinschaften, die Kirchengemeinden, Schulen und Bewohner(innen) des Stadtteils.
"Es ist für die Menschen wichtig, trotz ihrer Erkrankung weiterhin aktiv zu sein, etwas tun zu können und für die Gemeinschaft wichtig zu sein", so Bernd Raspel. Dadurch entstehen wertschätzende Momente, die gut tun. Die Hausgemeinschaft hat vom Gründer der Hertener Caritas, Hermann Schäfers, den Leitsatz "Man muss die Dinge nicht für, sondern mit den Menschen machen" übernommen und sich als "Mitmachhaus" entwickelt. Das heißt, jeder übernimmt nach seinen Fähigkeiten eine Aufgabe für die Gemeinschaft. In gleicher Weise der Beteiligung bringen sich auch die Angehörigen in die Wohngemeinschaft ein und werden zu wichtigen Partnern.
"Unsere 35 Mitarbeitenden fördern Selbstbestimmung und Teilhabe. Sie stehen in der Rolle der Unterstützer und Ermöglicher", erklärt Bernd Raspel. Drei Aspekte sind für die Arbeit in der Hausgemeinschaft grundlegend: die Selbstständigkeit des Bewohners/der Bewohnerin möglichst lange zu erhalten, die Menschen und ihre Verhaltensweisen zu verstehen und zu akzeptieren sowie in der Begleitung und Pflege entlastend zu wirken.
Offen zum Sozialraum
Überall im Barbara-Zentrum begegnet die gewachsene Entwicklung. So ist das frühere Taufbecken heute ein sprudelnder Brunnen. Er steht im Innenhof des Zentrums. Diesen nutzen die Menschen, die in der Hausgemeinschaft leben, für Spaziergänge oder Gartenarbeit. Aber auch ökumenische Gottesdienste, Sommerfeste und Konzerte finden dort statt. Für Kinder gibt es Platz zum Spielen, und an lauen Sommerabenden wird gegrillt.
Das angrenzende Café am Berg ist kein klassischer Cafébetrieb. Vielmehr stehen die freundschaftliche Begegnung und das Gespräch im Vordergrund. "Es ist ein wichtiger Ort im Zentrum. Hiermit öffnen wir uns in den Stadtteil und für die Menschen am Paschenberg", schildert Matthias Müller, Geschäftsführer des Caritasverbandes Herten. Das Café ist ein Treffpunkt für Vereine aus dem Stadtteil. Es wird zur Bühne für Kleinkunst, Musik und Lesungen. Unter dem Titel "Das Herz wird nicht dement" finden Schüler-Workshops statt, die das Krankheitsbild Demenz und eigene Erfahrungen mit dementen Menschen thematisieren. Die Schulen bieten dort Arbeitsgemeinschaften für ihre Schüler(innen) an und bereichern so das Zusammenleben am Paschenberg.
Evangelische und katholische Christ(inn)en prägen diesen Ort. Sie sprechen über ihren Glauben, gestalten das Gemeindeleben und organisieren ökumenische Frühstücke. Kindergartenkinder und Bewohner(innen) der Hausgemeinschaft kommen zusammen. Gemeinsam färben sie Ostereier, warten auf den Nikolaus, backen Plätzchen - oder führen auch mal Lamas aus.
Das Café am Berg wird von ehrenamtlich Mitarbeitenden unterstützt und in seinen Angeboten geprägt. Einnahmen aus dem Kaffee- und Kuchenverkauf kommen der generationsübergreifenden, ökumenischen und stadtteilorientierten Arbeit zugute.