Differenziertes Steuern sichert die Zukunft
Das Jahr 2011 brachte insbesondere für die Caritasträger einige besondere Herausforderungen mit sich. Dazu zählen ein teilweise überdurchschnittlicher Anstieg der Personalkosten durch den Systemwechsel in den AVR1, die gleichzeitige Tarifsteigerung im Jahr 2010/2011 sowie die Erhöhung der Sozialabgaben zum 1. Januar 2011. Begleitet wird diese Entwicklung durch erheblich steigende Energie- und Betriebskosten in einzelnen Geschäftsfeldern, was zu weiteren Belastungen führt, und letztlich sind die Folgen der Wirschafts- und Finanzkrise noch immer spürbar.
In vielen Marktsegmenten der Sozialwirtschaft finden diese Kostensteigerungen keine adäquate Berücksichtigung auf der Erlösseite. Da auch die vorhandenen Eigenmittel nicht ausreichen werden, die Kostensteigerungen aufzufangen, stehen viele Verbände und Unternehmen mittlerweile unter Handlungsdruck.
Was ist also zu tun? Neben strategischen Überlegungen ("Was können, wollen beziehungsweise müssen wir uns noch leisten?") sind auch weiterhin Optimierungspotenziale auf operativer Ebene in den Blick zu nehmen ("Wie können wir bestehende Angebote in möglichst gleichbleibender Qualität erhalten und trotzdem wirtschaftlicher werden?").
Was wollen wir anbieten?
Aufgrund der skizzierten Entwicklung wird vielerorts erst einmal zu klären sein, welches Geschäftsfeld eigentlich noch welchen Deckungsbeitrag erwirtschaften kann und wie die verbliebenen Eigenmittel verteilt werden sollen. Daher ist eine systematische Analyse des eigenen Angebotsportfolios im Grunde unverzichtbar.
Die Geschäftsfelder dürfen nicht einseitig aus wirtschaftlicher Sicht betrachtet werden. Ebenso sind die ideellen Aspekte (unter anderem Anzahl und Bedürftigkeit der erreichten Menschen, Nachhaltigkeit der Angebote, Beitrag zum Gemeinwesen) zu berücksichtigen. Anhand dieser Kriterien lassen sich die einzelnen Angebote, Geschäftsfelder oder Arbeitsbereiche dann systematisch in eine Portfoliodarstellung einordnen.
Diese Gliederung unterstützt eine strukturierte strategische Diskussion und die Entscheidung, wie und wohin sich einzelne Geschäftsfelder sowie der Gesamtverband entwickeln sollen, um zukunftsfähig zu sein. Folgende Fragen sind dabei zu beantworten:
- Was macht das Wesen unseres Verbandes, unserer Organisation im Kern aus? Wofür stehen wir? (Mission)
- Was sind eigentlich unsere Kernaufgaben? (Aufgabenkritik)
- Welche Geschäftsfelder sind für uns die für den wirtschaftlichen Erfolg wichtigsten? Wo können wir Geld verdienen? (Gewinnbringer)
- Welche Geschäftsfelder sind für uns die mit der größten ideellen Bedeutung? Wofür setzen wir unsere Eigenmittel ein? (Sinnbringer)
Es muss allen Beteiligten klar sein, dass die Diskussion so offen zu führen ist, dass gegebenenfalls einzelne Geschäftsfelder zur Disposition stehen. Um eine Trendumkehr zu schaffen, müssen zudem alle Bereiche ihren Beitrag leisten. Daher sollten auch für alle Geschäftsfelder konkrete Zielvorgaben entwickelt werden.
Leitziel ist dabei in erster Linie die Verbesserung der Wirtschaftlichkeit, also des Verhältnisses von Erlösen zu Kosten. In personalintensiven Aufgabenbereichen kommt hier der Personalsteuerung eine zentrale Rolle zu. Konkret geht es um einen möglichst wirtschaftlichen Personaleinsatz sowie die Arbeitsteilung zwischen Fachkräften und Ergänzungs- oder Verwaltungskräften.
Zeitbudgets: Intensität der Betreuung berücksichtigen
Beispielsweise in der Schuldnerberatung oder in Betreuungsvereinen kann es eine Lösung sein, pro Fall ein Stundenbudget zu vergeben und die Mitarbeitenden somit nach Verfügbarkeit auszulasten. Bislang wurde oftmals lediglich nach Fallzahl und speziellen Kenntnissen oder Vorlieben der einzelnen Mitarbeitenden gesteuert, ohne dass dabei der (vom Kostenträger refinanzierten) verfügbaren Zeit ein allzu großes Gewicht beigemessen wurde. Nun rückt damit vermehrt die Frage ins Bewusstsein, welcher Leistungsumfang (also welches Zeitbudget) eigentlich vom Kostenträger refinanziert ist. Dies muss jedoch nicht zwangsläufig zur Folge haben, dass Beratung und Betreuung der eigenen Klient(inn)en dann endet, wenn das Budget verbraucht ist. Vielmehr lässt sich der vielfach notwendige und gewollte Einsatz von Eigenmitteln in einem nicht ausreichend ausfinanzierten Bereich viel bewusster steuern.
Wenn die Fälle im Team zugeteilt werden, muss auf jeden Fall auch die "Fallschwere", also die Betreuungsintensität, berücksichtigt werden. Es ist daher ein Steuerungsinstrument einzusetzen, mit dem Zeitbudgets je Klient(in) unter Einbeziehung der Fallschwere verteilt werden können. Ein solches Instrument gibt dem Betreuungs- oder Beratungsteam eine permanente Übersicht darüber,
- welches vom Kostenträger finanzierte Zeitbudget zur Verfügung steht,
- welches über Eigenmittel zusätzlich bereitgestellte Zeitbudget vorhanden ist,
- ob die Beratung beziehungsweise Betreuung der Klient(inn)en je Fall und in ihrer Gesamtheit innerhalb der Refinanzierungsvorgaben abgewickelt werden und
- ob zusätzliche, also nicht refinanzierte Personalkapazitäten zur Beratung oder Betreuung der Klient(inn)en eingesetzt werden.
Sowohl in den genannten Geschäftsfeldern als auch in anderen wie beispielsweise im betreuten Wohnen besteht überdies die Möglichkeit, neben Fachkräften weitere Kräfte zur Beratung oder Betreuung der Klient(inn)en einzusetzen, zum Beispiel Verwaltungspersonal oder nicht-pädagogisches Personal.
Ein gut gemischter Einsatz von Fach- und Ergänzungskräften führt dazu, dass sich durch die Verteilung der zur Verfügung stehenden Zeitbudgets für die Beratung und Betreuung der Klient(inn)en die Personalkosten je Leistungsstunde senken lassen, ohne dass die eigentliche Beratungs- beziehungsweise Betreuungszeit abnimmt.
Bedarfsgerechter Einsatz von Fachkräften
Geringere Personalkosten bedeuten also nicht gleichzeitig ein Absenken des Niveaus. Im Gegenteil: Ein geschicktes Aufteilen der Beratungs- oder Betreuungstätigkeiten führt oftmals zu einer Erhöhung der Qualität sowie der Arbeitszufriedenheit, indem beispielsweise Pädagog(inn)en von eher unliebsamen Verwaltungsaufgaben entlastet werden und dafür mehr pädagogische Arbeit machen können. Die Verwaltungsaufgaben können dagegen durch Verwaltungspersonal meistens qualitativ besser und auch effizienter bearbeitet werden. Ebenso können kostengünstigere, aber für manche Betreuungsleistungen genauso geeignete Mitarbeitende begleitende Tätigkeiten wahrnehmen - beispielsweise im betreuten Wohnen ältere Menschen bei Einkäufen oder Arztbesuchen begleiten oder deren Freizeit mitgestalten.
Eine Steuerung über Stundenbudgets sowie eine Neuordnung der Aufgaben bedeutet nicht weniger als einen Paradigmenwechsel. Neben der Qualität der Leistung muss zukünftig nämlich auch auf Mitarbeiterebene verstärkt die Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung gesehen werden. Dies bedeutet in vielen Fällen eine weitreichende Neuorganisation des Aufgabenbereichs. Es muss dabei nicht nur festgelegt werden, welche Aufgaben von welchen Mitarbeiter(inne)n übernommen werden, sondern es müssen auch Informationsprozesse neu gestaltet, die technische Unterstützung verstärkt sowie das Verhältnis von fachlichen zu administrativen oder Ergänzungskräften beschrieben und realisiert werden.
Eines muss klar sein: Zwar ist in vielen Geschäftsfeldern der Kostendruck noch nicht so hoch wie beispielsweise in der ambulanten Pflege. Gleichwohl bietet es sich an, bereits praxisbewährte Lösungen auch in den pädagogischen Beratungs- und Betreuungsfeldern zu übernehmen. Vor dem Hintergrund der oben beschriebenen Kostensteigerungen kann dies für die Caritasträger die notwendige Flexibilität sichern. Solche Veränderungen gehen jedoch immer mit einem Bewusstseinswandel einher, der eine gewisse Zeit braucht. Deshalb sollte der Entwicklungs- und Lernprozess schon heute beginnen.
Anmerkung
1. Anpassung der Tarife an den TVöD im Bereich ambulante und stationäre Pflege, Soziales und Erziehung sowie an den Marburger Bund für die Ärzte. Für Einrichtungen, die bei der Umstellung auf die neuen Tabellen der Anlagen 30 bis 33 (Ärzte, Pflege, Sozial- und Erziehungsdienst) Mehrkosten von über drei Prozent nachweisen können, haben die Möglichkeit, die Zahlung der Leistungsvergütung zeitlich befristet aussetzen (Anm. d. Red.).