Damit Bildung nicht mehr von der sozialen Herkunft abhängt
Seit den Ergebnissen der ersten PISA-Studie im Jahre 2000 haben Bundesregierung und Kultusministerkonferenz viele gute Vorsätze gefasst, um das desolate deutsche Bildungssystem zu verbessern. Weitreichende Beschlüsse sollten auf den drei bisherigen Bildungsgipfeln gefasst werden, was aber bis heute nicht gelungen ist. In den vergangenen zehn Jahren konnte Deutschland sich zwar leistungsmäßig im OECD-Vergleich leicht verbessern, doch nach wie vor bestimmt die soziale Herkunft wie in keinem anderen Land die Bildungsverläufe und -karrieren von Kindern und Jugendlichen. Es zeigt sich immer mehr, dass es nur durch die Verzahnung von Bildungs- und Sozialpolitik gelingen kann, das deutsche Bildungssystem zu verbessern und die herkunftsbedingte Bildungsungleichheit zu beseitigen.
Obwohl sich die Caritas als Wohlfahrtsverband bisher nicht als Bildungsakteur versteht, ist sie in verschiedenen Bildungsbereichen tätig: Der DCV ist für rund 10.000 katholische Kindertageseinrichtungen fachlich zuständig. Mehr als 15.000 junge Menschen werden von Caritas-Bildungsträgern beruflich gefördert und in den Berufsbildungswerken der Caritas qualifiziert. Durch Angebote der schulbezogenen Jugendsozialarbeit und der Jugendmigrationsdienste werden jährlich rund 65.000 Schüler(innen) beraten und begleitet. Verbände und Einrichtungen der Caritas kooperieren vermehrt mit Ganztagsschulen.
Die Caritas als Bildungsakteur stärken
Den Beitrag der Caritas im Bildungsbereich klar zu umreißen, die Caritas im bildungspolitischen Feld zu profilieren und den Verband als bildungspolitischen Akteur zu stärken, ist Inhalt des DCV-Projekts "Chancengerechtigkeit durch mehr Bildungsgerechtigkeit - der Beitrag der verbandlichen Caritas". Das Projekt mit Laufzeit von 2008 bis 2011 konzentriert sich auf den Aspekt der Bildungsgerechtigkeit insbesondere bei benachteiligten Kindern und Jugendlichen und wird eine bildungspolitische Position erarbeiten.
Ein Schwerpunkt ist, die spezifischen Handlungsfelder, in denen die verbandliche Caritas Träger von Bildungsangeboten ist, zu erfassen und kritisch zu überprüfen. Daraus sollten notwendige Optimierungen, Arbeitsstrukturen und -hilfen abgeleitet werden. Im Rahmen dieses Schwerpunktes erfolgte eine Feldanalyse, in der ein differenzierter Blick auf die Zusammenarbeit der verbandlichen Caritas mit Bildungseinrichtungen geworfen wurde. Konkret ging es um das derzeitige und künftige Engagement der verbandlichen Caritas in der Schulsozialarbeit1, im schulischen Ganztag und in kommunalen Bildungslandschaften.2 Basierend auf den praktischen Erfahrungen und den Einordnungen zur zukünftigen Bedeutung der bildungsbezogenen Aktivitäten vor Ort wurden darüber hinaus die Erwartungen und Anforderungen an die Diözesan-, Landes- und Bundesebene der Caritas ermittelt. Mitte 2010 führte die Prognos AG im Auftrag des DCV dazu in zwölf Orts-/Kreisverbänden sowie in örtlichen Fachverbänden leitfadenorientierte Gespräche durch und wertete diese mit Blick auf das Gesamtprojekt aus.
Die Ergebnisse der Feldanalyse zeigen, dass Bildung in den Verbänden ein großes Thema ist und ein breites Engagement der Orts-/Kreisverbände und der örtlich agierenden Fachverbände in der schulbezogenen Jugendsozialarbeit und in der Kooperation mit Ganztagsschulen existiert.
Informelle Bildung ist wichtig
Durchgängig wird in den untersuchten Verbänden das Schaffen von Bildungsgerechtigkeit als Schlüssel für eine chancengleiche gesellschaftliche Teilhabe von Kindern und Jugendlichen gesehen. Dem entsprechen deutliche Signale an den DCV, das bildungspolitische Engagement auszubauen und sich eindeutig und wirkungsvoll in bildungspolitischen Fragen zu positionieren.
Die Professionalität der Arbeit und das klar umrissene Verständnis von Caritas in der inhaltlichen Ausrichtung von Bildungsprozessen machen den Beitrag der Caritasverbände in der bildungsbezogenen Arbeit aus. Die interviewten Verbände verweisen dabei auf die schulbezogene Jugendsozialarbeit und die Kooperation mit Ganztagsschulen. Der Beitrag der Caritas lässt sich an folgenden Schwerpunkten festmachen: anwaltschaftliches Handeln für Benachteiligte, eben auch unter Bildungsaspekten, und ein ganzheitlicher Zugang zum Kind und zum Jugendlichen. Dies schließt auch die Wichtigkeit der informellen Bildung und die Annahme und Wertschätzung des Einzelnen in seiner Individualität ein. Die Fokussierung auf benachteiligte Kinder und Jugendliche und solche mit problematischen Lernkarrieren ist ein gemeinsames Spezifikum der schulbezogenen Jugendsozialarbeit.
Folgende unterschiedliche Formen der Schulsozialarbeit werden geleistet: Schulsozialarbeiter(inne)n, Angebotsmodule der Schulsozialarbeit, die von Schulen abgerufen werden können, und in einzelnen Fällen auch als Unterstützung eines/einer vom Schulträger eingesetzten Schulsozialarbeiters/in in Teilbereichen. Hintergrund sind hier vor allem unterschiedliche Richtlinien beziehungsweise Finanzierungsmodalitäten in den Bundesländern oder Kommunen.
Welche Möglichkeiten zur Realisierung einer schulbezogenen Jugendsozialarbeit unter der Perspektive "Herstellung von Bildungsgerechtigkeit und Chancengerechtigkeit" bestehen, hängt neben dem Problembewusstsein an den Schulen auch von den bildungs- und sozialpolitischen Orientierungen einer Kommune ab. Die Mitarbeit der verbandlichen Caritas in den kommunalen Gremien ist deshalb wichtig.
Die Aussagen zur Qualität der Kooperation mit Schulen in der Schulsozialarbeit/Jugendsozialarbeit zeugen insgesamt von einem guten Standing der Verbände mit ihrem Angebot. Die eigene Position als Anbieter von Schulsozialarbeit/Jugendarbeit an Schulen wird als stark eigestuft. Dies trifft insbesondere auf die Verbände zu, die eigene Konzepte und/oder Module zur Schulsozialarbeit entwickelt haben und in den jeweiligen regionalen/kommunalen Gremien nicht nur aktiv vertreten sondern auch in die kommunalen Planungen eingebunden sind.
Ein wichtiger Netzwerkpartner vor Ort
Unter dem letzten Aspekt sind die vielerorts im Rahmen des vom Bund initiierten Programms "Lernen vor Ort" entstehenden kommunalen Bildungslandschaften bedeutsam. Insgesamt steht ihre Umsetzung noch am Anfang. Die Erfahrungen der Verbände, diese mitzugestalten, sind entsprechend noch gering. Das Programm wendet sich explizit an die Kommunen, die Verbände können daher weniger eine Rolle als Initiatoren einnehmen. Sie werden vielmehr seitens der Kommune eingebunden, beispielsweise über Arbeitsforen, Bildungskonferenzen, die Mitarbeit an Projekten und/oder Konzepten beim Aufbau eines Bildungsmanagements.
Neben diesen aktuellen programmbezogenen Aktivitäten auf Kommunalebene gibt es Bestrebungen, die bildungspolitischen Akteure vor Ort stärker zu systematisieren und zu vernetzen. Die Caritas-Orts-/Kreisverbände sind daran aktiv beteiligt.
Insgesamt sehen die in die Feldanalyse einbezogenen Verbände die Ganztagsschule als die große Chance, über ergänzende Angebote der Sozialarbeit wie Hausaufgabenbetreuung, Freizeitgestaltung oder Kompetenztrainings auf problematische Bildungskarrieren Einfluss nehmen zu können und damit einen Beitrag zu mehr Bildungsgerechtigkeit leisten zu können. Die Angebote der Verbände in Kooperation mit Ganztagsschulen haben starke inhaltliche Bezüge zur Schulsozialarbeit und verstehen sich als schulpädagogische Unterstützung. Inwieweit dafür qualifiziertes Personal zur Verfügung steht, ist von Verband zu Verband unterschiedlich. Entscheidend sind hier die jeweiligen Refinanzierungsmöglichkeiten.
Wie im Falle der Schulsozialarbeit sehen sich die Verbände auch im Hinblick auf die Kooperation mit Ganztagsschulen gut positioniert: Man sei bekannt für qualifizierte Arbeit und werde aktiv von Schulen nachgefragt. Ein Ausbau des Engagements sei überall gewünscht, problematisch bleibe allein die Frage, inwieweit das nötige qualifizierte Personal finanziert werden kann. Einzelne Verbände haben sich aufgrund der geringen verfügbaren Mittel in ihrer Kommune gegen ein weiteres Engagement im Ganztag entschieden. Sie kritisieren, dass mit den vorhandenen Mitteln letztlich nur Verwahrangebote finanziert werden können, die wenig mit der Förderung des sozialen Lernens und dem Ausgleich unterschiedlicher sozialer Startchancen zu tun haben.
Mit Bildung gegen Armut
Die Feldanalyse zeigt deutlich, dass die Caritas und ihre Fachverbände auf örtlicher Ebene bereits als wichtige Bildungsakteure wahrgenommen werden. Viele Kommunen haben - sowohl als Schulträger als auch als Träger der Jugendhilfe - den starken Zusammenhang von Armut, sozialer Ungleichheit und Bildungsteilhabe erkannt und sehen die Caritas mit ihrer sozialen und befähigenden Kinder- und Jugendarbeit als einen wichtigen Kooperationspartner, um Chancen- und Bildungsgerechtigkeit zu fördern.
Die Caritas ist insbesondere in solchen Handlungsfeldern tätig, in denen Bildungsförderung als Instrument zur Armutsbekämpfung und zur Chancengerechtigkeit genutzt werden kann. Diese Handlungsfelder werden aufgrund der aktuellen bildungspolitischen Entwicklungen auf schulischer und kommunaler Ebene immer mehr an Bedeutung gewinnen und stärker ausgebaut werden müssen. Da die Caritas sich bisher nicht primär als Bildungs- und bildungspolitischer Akteur gesehen und entsprechend agiert hat, gilt es, in diesen Handlungsfeldern Aktivitäten vor Ort zu unterstützen, die bildungspolitische Lobbyarbeit besonders auf Länderebene aufzubauen und eine Strategie zur Stärkung des bildungspolitischen Engagements auf Länderebene zu entwickeln.
Der DCV wird sein - mit dem skizzierten Projekt begonnenes - bildungspolitisches Engagement mit einem Folgeprojekt ab August 2011 fortsetzen. Der Fokus wird dabei auf der verbandsweiten Diskussion der bildungspolitischen Positionen in der Caritas liegen, auf der Bündelung vorhandener Kompetenzen auf Praxisebene, auf einer öffentlichkeitswirksameren Darstellung des Engagements der Caritas im Bereich Bildung und auf der Stärkung des bildungspolitischen Engagements.
Den vollständigen Bericht der Analyse können Sie bei Antonella Serio anfordern.
Anmerkung
1. In einzelnen Bundesländern ist der Begriff "Schulsozialarbeit" nicht gebräuchlich, es heißt hier "Jugendsozialarbeit in Schulen". Zur besseren Lesbarkeit wird hier von "Schulsozialarbeit" gesprochen, womit explizit auch die Jugendsozialarbeit in Schulen eingeschlossen sein soll.
2. Das Engagement von Caritas in der beruflichen Förderung wurde in der Feldanalyse ausgeklammert. Konstitutiv war vielmehr der Bezug auf die allgemeinbildenden Haupt- und Realschulen und Gymnasien.