Raus aus der Grauzone
Über 1,5 Millionen pflegebedürftige Menschen werden in Deutschland zu Hause versorgt. In zehn Prozent dieser Haushalte arbeiten seit einigen Jahren mittel- und osteuropäische Frauen (und einige Männer)1 als Haushaltshilfen, schätzt das Deutsche Institut für angewandte Pflegeforschung (dip). Sie übernehmen dort Betreuungsaufgaben, Haushaltsarbeiten und teilweise auch pflegerische Tätigkeiten.
Schätzungen von Expert(inn)en zufolge arbeiten über 100.000 dieser Haushaltshilfen in Deutschland. Genaue Zahlen lassen sich nicht erheben, da ein wesentlicher Teil dieser Beschäftigungsverhältnisse der „Schattenwirtschaft“ zugerechnet und daher statistisch nicht erfasst werden kann. Die für die Familien entstehenden Kosten liegen bei 1300 bis 2000 Euro, je nach Art des Beschäftigungsverhältnisses und Anforderungsprofils. Vermittelt werden ausländische Haushaltshilfen von der Zentrale Auslands- und Fachvermittlung der Agentur für Arbeit (ZAV) sowie von international tätigen Agenturen und durch private Anzeigen im Internet.
Unterstützung durch mittel- und osteuropäische Frauen wird im Wesentlichen von Familien nachgefragt, deren hochaltrigen Angehörigen mit erheblichem Pflege- und Betreuungsbedarf weiter zu Hause leben möchten, dies aber ohne ständige Unterstützung und Beaufsichtigung nicht können. Vielfach sind diese Menschen an Demenz erkrankt. Eine 24-Stunden-Betreuung durch Familienangehörige ist häufig nicht möglich, weil diese nicht am Ort wohnen oder durch Berufstätigkeit gebunden sind. Die Versorgung durch osteuropäische Frauen ist finanziell günstiger als eine Versorgung durch deutsche ambulante Pflegedienste oder ein Aufenthalt im Altenpflegeheim.
Die im April 2009 veröffentlichte Studie des dip „Situation und Bedarfe von Familien mit mittel- und osteuropäischen Haushaltshilfen (moH)“2 (siehe dazu auch neue caritas Heft 8/2009, S. 22–25) bestätigt die Einschätzungen und Beobachtungen der Mitarbeiter(innen) von Caritas-Sozialstationen. Unterstützung in allen Bereichen des Alltags wie beispielsweise im Haushalt, beim Arztbesuch oder Spaziergang oder Hilfe bei Mobilität und Körperpflege, aber auch bei krankheitsbedingten Erfordernissen wie Medikamentengabe ist vonnöten. Vorhandene Angebote der ambulanten Pflegedienste – auch außerhalb der herkömmlichen Leistungen nach SGB XI und SGB V – scheinen nicht ausreichend zu sein, um die benötigte Versorgung sicherzustellen.
Diese Realität in der Praxis der pflegerischen Versorgung konnte nicht ignoriert werden. Es mussten Möglichkeiten gesucht werden, zu vertretbaren legalen und sicheren Versorgungssituationen zu kommen.
Von Caritas zu Caritas
Der Diözesan-Caritasverband Paderborn sieht es als Aufgabe der Caritas, legale Arbeitsverhältnisse zu ermöglichen und die schutzwürdigen Interessen der in Deutschland arbeitenden Frauen und ihrer Heimatfamilien sowie der Familien, die diese Frauen beschäftigen, zu sichern.
In Beratungen mit dem Präsidenten der Caritas Polen wurde schnell deutlich, dass auch dort die Situation bekannt war und ein hohes Interesse an einer für alle Beteiligten guten Lösung bestand. Eine Arbeit im Ausland anzunehmen, ist für die Frauen häufig die einzige Möglichkeit, das notwendige Einkommen für die Familie zu sichern. Die Frauen nehmen auch in Kauf, während ihrer Beschäftigung in Deutschland das Leben einer „Illegalen“ zu führen: Angst vor Behörden, keine ärztliche Versorgung vor Ort im Krankheitsfall, soziale Isolation.
Nach mehreren Beratungen wurde im August 2009 eine Kooperationsvereinbarung zum Projekt „Qualitätsgesicherter Einsatz polnischer Haushaltshilfen in deutschen Familien mit pflegebedürftigen Personen“ zwischen dem Diözesan-Caritasverband Paderborn und der Caritas Polen geschlossen, in welcher die Ziele, Qualitätsstandards und Unterstützungsleistungen der Caritas definiert wurden. Zentrale Grundlage der Kooperation ist, dass
- die interessierten Frauen ausschließlich über die ZAV und zu deren Bedingungen vermittelt werden;
- die Frauen von der deutschen Familie sozialversicherungspflichtig angestellt und tariflich entlohnt werden;
- die Frauen Anspruch auf Freizeit, Urlaub und Zugang zum sozialen Umfeld haben.
An dem Projekt beteiligt sind in Polen die Diözesan-Caritasverbände Graudenz, Lodz und Elk und im Erzbistum Paderborn die Caritasverbände Paderborn, Olpe, Soest und Brilon. Um einen Einsatz zu gewährleisten, der den vereinbarten Qualitätsansprüchen und Zielen entspricht, wurden von den beteiligten Verbänden entsprechende Konzepte entwickelt.
Polnische Frauen haben oft keine Wahl
Frauen, die an einer Arbeit als Haushaltshilfe in Deutschland interessiert sind, können sich an die Diözesan-Caritasverbände wenden. In Graudenz und Lodz wurden Agenturen gegründet, die im Auftrag der polnischen Arbeitsvermittlung – entspricht der Agentur für Arbeit in Deutschland – Schulungen anbieten, um Menschen für die Aufnahme von Arbeit gezielt vorzubereiten und in Arbeitsverhältnisse in Polen und Europa zu vermitteln.
Wie oben angeführt, suchen die nachfragenden Frauen aus unterschiedlichen Gründen eine Tätigkeit im Ausland. Manche müssen den Unterhalt der Familie mit diesem Einkommen sichern, weil der Ehepartner durch Arbeitslosigkeit oder Krankheit keinen Beitrag leisten kann oder keine Arbeitsmöglichkeit in Polen besteht. Andere möchten die finanzielle Situation ihrer Familien verbessern, um beispielsweise ihren Kindern ein Studium zu ermöglichen.
Die Kolleg(inn)en der polnischen Caritas informieren und beraten die Frauen über die Anforderungen einer Tätigkeit in Deutschland. Es wird gemeinsam geprüft, ob die familiäre Situation einen Auslandsaufenthalt zulässt oder ob eine andere Option gesucht werden muss. Dies gilt es insbesondere abzuwägen, wenn Kinder zu versorgen sind. Ist die Versorgung nicht adäquat gesichert, bemüht sich die Caritas um andere Lösungen für die Frauen und ihre Familien.
In den Schulungen werden die Frauen auf die Aufgaben und Anforderungen in deutschen Haushalten vorbereitet. Damit die Frauen sich im Alltag gut verständigen können, liegt ein Schwerpunkt im Erlernen der deutschen Sprache.
Die Kolleg(inn)en der polnischen Caritas bieten in Absprache mit den hiesigen Caritasverbänden gezielt Arbeitsplätze an, die aufgrund des vom Caritasverband in Deutschland ermittelten Tätigkeits- und Anforderungsprofils in der deutschen Familie geeignet erscheinen. Während des Aufenthalts in Deutschland stehen die Mitarbeiter(innen) des polnischen Caritasverbandes in engem Kontakt mit dem Caritasverband in Deutschland. Beide Seiten haben Ansprechpartner, die Polnisch und Deutsch sprechen.
Der ambulante Pflegedienst ist eingebunden
In Deutschland wenden sich Familien, die eine Betreuung und Unterstützung in der Versorgung eines pflegebedürftigen Angehörigen suchen, an den örtlichen Caritasverband. Dieser berät über die Möglichkeiten und Bedingungen des Einsatzes einer polnischen Haushaltshilfe. Er erstellt ein Tätigkeits- und Anforderungsprofil, damit Familie und Haushaltshilfe möglichst gut zusammenpassen. Bei der Beantragung einer polnischen Haushaltshilfe über die ZAV und den mit einer Anstellung verbundenen Formalitäten unterstützen sie die Familien.
Um die Familien und die polnischen Frauen in der Wahrnehmung ihrer Aufgaben unterstützen zu können, ist es notwendig, dass der ambulante Caritas-Pflegedienst die Behandlungspflege und die Beratungsbesuche zur pflegerischen Situation nach dem Pflegeversicherungsgesetz absolviert sowie in die grundpflegerische Versorgung einbezogen ist. Nur so ist der Einsatz qualitätsgesichert und nur so kann sowohl die Familie als auch die angestellte Frau fachlich begleitet werden.
Die Caritas begleitet die Frauen zu Beginn ihrer Tätigkeit in die deutschen Familien. Mindestens einmal pro Woche nimmt die zuständige Ansprechpartnerin beim Caritasverband Kontakt mit der Familie auf, in der die Frau beschäftigt ist, um sich über die aktuelle Situation zu informieren und beratend zur Seite zu stehen. Zum Ende des Aufenthaltes gibt es ein Abschlussgespräch.
Um den Frauen die Möglichkeit zu geben, über arbeitsfreie Zeiten verfügen zu können, stehen für die pflegebedürftigen Familienmitglieder Angebote der Tagespflege oder der Verhinderungspflege zur Verfügung. Auf diese Leistungen haben die Pflegebedürftigen einen Rechtsanspruch nach dem Pflege-Weiterentwicklungsgesetz. Die Frauen können – wenn sie möchten – Angebote des Caritasverbandes für allgemeine soziale Kontakte wie auch zur spirituellen Begleitung nutzen. Auch wird auf Wunsch der Frauen der Kontakt zur Pfarrgemeinde und einem Seelsorger hergestellt.
Was Hilfe kostet
Die Familien übernehmen als Arbeitgeber die Gehaltskosten der angestellten Frauen. Angewandt wird die von der Bundesagentur für Arbeit vorgegebene Entgelttabelle. Der reine Bruttolohn für die Frauen liegt bei 1333 Euro, je nach Familienstand und Steuerklasse erhalten die Frauen netto zwischen 900 und 1100 Euro.
Das Arbeitgeberbrutto liegt inklusive der Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung bei circa 1600 Euro. Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung werden entsprechend der Werte der Bemessungsgrundlage zur Sozialversicherungsentgeltverordnung berücksichtigt Unterkunft: 173,40 Euro, Verpflegung (wenn von den Frauen gewünscht) 215 Euro. Wünscht die Familie die Übernahme der Gehaltsabrechnung durch den Caritasverband, erfolgt dies gegen Rechnung. Der Aufwand für die Begleitungs- und Betreuungsaufgaben der Caritas wird durch eine Pauschale von 40 Euro von den Familien abgegolten.
Während der Projektzeit bezuschusst der DiCV Paderborn die für den Aufbau eines Qualitätssystems der Beratung und Begleitung notwendigen Personalressourcen bis zu einer halben Vollzeitstelle in jedem der vier Caritasverbände.
Seit Oktober 2009 sind die ersten Frauen in deutschen Haushalten tätig. Die bürokratischen Hürden schienen zunächst sehr hoch, es bedurfte umfangreicher Vorarbeiten. Sie gestalten sich in der Umsetzung zwar aufwendig, aber durchführbar. Wird eine Vermittlung über die ZAV beantragt, kann der Vertrag innerhalb von drei Wochen verlässlich abgeschlossen werden, so dass die Familie sicher sein kann, zum geplanten Zeitpunkt die notwendige Hilfe zu erhalten.
Verlässlichkeit als großes Plus
Allerdings ist nicht zu verkennen, dass die notwendigen Formalitäten – Antrag, Sozialversicherung, Lohnsteuerkarte, Betriebsnummer, Gehaltsabrechnung – nicht von der Familie allein bewältigt werden können. Hier bieten die Caritasverbände Unterstützung an.
Intensive Beratung ist im Vorfeld einer Vermittlung notwendig: Welche Tätigkeiten werden von der zukünftigen Angestellten erwartet? Sind die Wohnmöglichkeiten adäquat? Wie sind die Kosten aufzubringen? Sind alle in der Familie mit dem Einsatz einer Haushaltshilfe einverstanden? Es zeigt sich, dass gerade dem Einverständnis der Familienangehörigen – auch derer, die gegebenenfalls nicht am Ort wohnen – besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden muss. Ist dieses nicht geklärt, kommt es leicht zu Störungen während der Beschäftigungszeit.
Nach Klärung aller Fragen entscheiden sich eine bis zwei von zwölf Familien für den Einsatz einer Haushaltshilfe. In wenigen Fällen hat der Caritasverband beschlossen, eine Vermittlung nicht zu unterstützen. Dies war insbesondere der Fall, wenn die Vorstellungen der Familie über den Einsatz nicht mit den Anforderungen übereinstimmten oder keine adäquaten Möglichkeiten der Unterbringung gewährleistet werden konnten.
Die Hilfe der Frauen kommt gut an
Die betreuten Männer und Frauen in Deutschland äußern sich sehr zufrieden und sind dankbar für die Unterstützung, die sie durch die polnischen Frauen bei der Bewältigung ihres Alltags erhalten. Probleme gab es dann, wenn die Familien andere Erwartungen an die Tätigkeit hatten als vereinbart – beispielsweise die Haushaltsführung für eine große Familie – oder wenn die Abstimmung unter den Familienmitgliedern unzureichend war. Hier intervenierte der Caritasverband und klärte die Situation.
Die Begleitung der Caritas-Mitarbeiter(innen) wurde von allen Beteiligten genutzt und als sehr hilfreich bewertet. Während der ersten Einsätze zeigte sich, dass die Sprachkompetenz besonders wichtig ist. Hier wurde mit den Kolleg(inn)en der Caritas Polen vereinbart, dass diese in den Schulungen noch stärker gefördert werden muss.
Moderne Kommunikationsmittel wie das Internet ermöglichen den Frauen den (fast) direkten Kontakt per Ton und Bild mit ihren Familien und Freunden zu Hause. Es ist daher günstig, wenn die Familie, in der die Frau arbeitet, über Internetanschluss und Flatrate verfügt.
Einige Leitungen der Sozialstationen sahen den Einsatz der Frauen in den Familien als mögliche Konkurrenz. Jedoch beabsichtigte nur eine Familie, die bisher von der Caritas-Sozialstation erbrachten Pflegeleistungen selbst zu organisieren, nachdem sie eine Haushaltshilfe engagiert hatte. Wird der Kontakt mit der Caritassozialstation ganz beendet, so kann diese keine Unterstützung mehr bei der Vermittlung und dem Einsatz der Haushaltshilfen leisten. Hier endet dann das Engagement der Caritas, weil die dem Konzept zugrundeliegende Qualität nicht mehr sichergestellt werden kann.
Das Projekt öffnet sich für andere
Die ersten Erfahrungen zeigen, dass das Engagement der Caritas richtig ist. Es wird so allen Beteiligten die Möglichkeit geboten, ein überall bekanntes Phänomen aus der rechtlichen Grauzone zu holen. Auch wenn es hier und da Probleme gibt, so wollen die Caritasverbände auch nach Abschluss des Projektes aktiv bleiben. Darüber hinaus ist es besonders wichtig, die Leitungen der Sozialstationen in das Engagement einzubinden, damit sie die Frauen nicht als Konkurrenz sehen, sondern vielmehr als wichtige Ergänzung der professionellen pflegerischen Versorgung und des Betreuungsangebotes.
Das zunächst bis Ende 2010 befristete Projekt soll jetzt für andere Caritasverbände geöffnet werden. Die vorhandenen Konzepte und Erkenntnisse werden auf einer Fachtagung am 23. Juni 2010 in Paderborn vorgestellt, so dass sie auch von anderen Caritasverbänden, die sich diesem Thema widmen wollen, genutzt werden können.
Anmerkung
1. Aus Gründen der Lesbarkeit wird im Text der Begriff „Frauen“ benutzt, da Frauen auch die größte Gruppe darstellen.
2. Der Projektbericht ist im Internet unter www.dip.de, „Materialien“ zu finden.