"Nicht Shareholder, sondern Treuhänder der Schöpfung"
„Wir sind nicht Shareholder, sondern Treuhänder der Schöpfung.“ So hat Bischof Gebhard Fürst im Juli 2007 die auf zehn Jahre angelegte interdisziplinäre Klima-Initiative seiner Diözese Rottenburg-Stuttgart eingeführt. Wissenschaftliche Rationalität und ethische Herausforderung gingen Hand in Hand, so Fürst, wenn es um die Gefährdung der Zukunft unserer Kinder und Kindeskinder durch den Klimawandel gehe. Der Schöpfungsglaube der Christen füge dem noch eine besondere Motivation und Radikalisierung hinzu.
Die Klima-Initiative der Diözese, über die vor kurzem Zwischenbilanz gezogen wurde, gliedert sich in zwei Hauptbereiche, die miteinander vernetzt sind:
- technische, logistische und organisatorische Umsetzungen,
- Bewusstseinsbildung und Verhaltensmotivation.
Eine hierarchie- und funktionsübergreifende Steuerungsgruppe gewährleistet die interdisziplinäre Kooperation ebenso wie die kontinuierliche Weiterentwicklung der Initiative. Architekt(inn)en und Ingenieur(inn)e(n) sind in der Steuerungsgruppe ebenso vertreten wie Betriebswirt(inn)e(n), Finanz- und Verwaltungsfachleute sowie Vertreter(innen) der Erwachsenenbildung, der Öffentlichkeitsarbeit und der Theologie. Nicht zu vergessen ist auch der naturwissenschaftliche Sachverstand in Fragen der Ökologie.
Den Bestand ökologisch und nachhaltig ausbauen
Eine erste „Säule“ der Gesamtstrategie bilden die ökologische Bestandsentwicklung und das nachhaltige Bauen. Über 90 Prozent aller baulichen Investitionen der Diözese und der Kirchengemeinden fließen in den vorhandenen Gebäudebestand, der rund 5000 Objekte umfasst. Die Diözese fördert die ökologische Weiterentwicklung dieses kirchlichen Gebäudebestandes und stellt dafür jährlich ein Investitionsvolumen von rund 40 Millionen Euro zur Verfügung: Energieeffiziente und zugleich nutzungsoptimierende Sanierungskonzepte sorgen dafür, dass der Energieverbrauch halbiert und der CO2-Ausstoß beinahe ganz vermieden werden kann. Im gesamten Gebäudebestand einer Kirchengemeinde – nicht sanierte Gebäude inbegriffen – soll der CO2-Ausstoß um 50 Prozent gesenkt werden.
Zentraler Bestandteil der ökologischen Bestandsentwicklung ist die Ausstellung von Gebäudepässen. Dabei wird jeweils der gesamte Gebäudebestand einer Pfarrei bewertet. Die Kennwerte gehen in die elektronische Datenbank eines Standortentwicklungssystems ein. Seit der Einführung dieses Instruments in der Diözese wurden in 160 von den insgesamt 1035 Kirchengemeinden etwa 800 Gebäudepässe ausgestellt. In Arbeit sind derzeit weitere 1500 Gebäudepässe in 300 Kirchengemeinden. Die Baufachleute des Bischöflichen Ordinariats haben Richtlinien für ökologisches Bauen vorgelegt, die derzeit erprobt und weiterentwickelt werden. Es handelt sich dabei nicht um kurzfristige Aktivitäten, sondern um eine mittel- und langfristige Strategie.
Mit Energie muss sorgsam umgegangen werden
Nachhaltiger Umgang mit Energie und Energiemanagement bilden die zweite Säule, das heißt die Nutzung und Erzeugung regenerativer sowie CO2-freier Energien ebenso wie die gezielte Einsparung von Energie und die Senkung des CO2-Ausstoßes. Die Diözese Rottenburg-Stuttgart hat dafür 2008 einen sogenannten Nachhaltigkeitsfonds aufgelegt. Darin werden Mittel in Höhe von insgesamt 12,4 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, mit denen Analysen und Konzepte erarbeitet werden. Mit diesen Mitteln soll auch in energiesparende Technologien und Baumaßnahmen investiert und sollen Technologien für die Nutzung und Erzeugung regenerativer Energien, lokale Wärmenetze und Maßnahmen zur Verhaltensmotivation, Bewusstseinsbildung und Öffentlichkeitsarbeit gefördert werden.
Neben anderen Technologien zur Nutzung beziehungsweise Erzeugung regenerativer Energien (Holzpellet-Heizung, Kraft-Wärme-Kopplung, Biomasse, Erdwärme) ist die Solartechnik, besonders die Investition in Photovoltaik(PV)-Anlagen, bei der Klima-Initiative von besonderer Bedeutung. Derzeit sind an 142 Standorten in der Diözese Solaranlagen mit einer Gesamtleistung von 2650 Kilowattpeak (kWp) und einem Jahresertrag von rund 2,7 Millionen Kilowattstunden (kWh) installiert. Das erbringt eine jährliche Reduzierung des CO2-Ausstoßes um 1880 Tonnen. Das Ausbaupotenzial für die Solarstrom-Erzeugung wird in den kommenden Jahren schrittweise weiter erschlossen.
Ein Anwendernetzwerk von 14 ehrenamtlichen Expert(inn)en mit umfangreichen Erfahrungen auf dem Gebiet von Solarstromanlagen steht interessierten Kirchengemeinden zur Verfügung. Für diese Beratung wurde auch ein internes Anwenderhandbuch für Berater(innen) mit Musterverträgen und Detailinformationen entwickelt (Kontakt über E-Mail: pressestelle@bo.drs.de). Installationen von solartechnischen Anlagen werden konsequent in das Konzept der ökologischen Bestandsentwicklung integriert und nur im Zusammenhang mit der energetischen und bautechnischen Gesamtanalyse des jeweiligen Objekts genehmigt.
Bewusstsein wecken für Nachhaltigkeit
Schöpfungsgerechtes Handeln in großen Institutionen und Verwaltungen gelingt nur, wenn es durch ein fundiertes Bewusstsein aller Beteiligten unterstützt und mitgetragen wird – die dritte Säule der Klima-Initiative. Politische Entscheidungen und administrative Maßnahmen setzen daher eine begleitende Personalentwicklung und Bewusstseinsbildung auf allen Ebenen voraus. Diese muss schon früh in der Schule und in der Jugendarbeit ansetzen, ebenso erfordert sie die Qualifizierung von Multiplikator(inn)en. Wichtig sind dabei Unterstützung und Ermutigung sowie die Würdigung vorbildlicher Aktivitäten.
Seit 2008 wird in der Diözese ein Nachhaltigkeitspreis für Kirchengemeinden, kirchliche Einrichtungen und Privatpersonen für innovatives und beispielhaftes Handeln im Sinne der Klima-Initiative ausgelobt. Der „Franziskus-Preis“ ist mit einem Preisgeld von 10.000 Euro ausgestattet und wird alle zwei Jahre verliehen – zum zweiten Mal am 4. Oktober 2010, dem Fest des heiligen Franz von Assisi.
Energiemanagement beinhaltet die Unterstützung von Kirchengemeinden oder Einrichtungen auf dem Weg zur systematischen Energie- und Kosteneinsparung durch verbessertes Nutzerverhalten, optimierte Bedienung von Anlagen sowie durch geringinvestive Maßnahmen. Es realisiert Verbrauchsmengen- und Kostenreduzierungen von etwa fünf Prozent. Unter dem Namen „Aktion Sparflamme“ werden seit 2007 Kurse für Ehrenamtliche in Kirchengemeinden, aber auch für Hausmeister angeboten.
Umweltmanagement oder Umwelt-Audit bedeutet ein über das Energiemanagement hinausgehendes Programm in Kirchengemeinden und Einrichtungen zur Bewahrung der Schöpfung im umfassenden Sinn, das mit dem Zertifikat nach dem „Eco-Management and Audit Scheme (EMAS)“ abgeschlossen werden kann. Die Bildungszentren, Tagungsstätten und zentralen Verwaltungen der Diözese sowie zahlreiche Pfarreien wurden inzwischen nach den EMAS-Normen zertifiziert, manche bereits zum wiederholten Mal.
Ziel der beiden ersten Schritte (Energie- sowie Umweltmanagement) ist das Nachhaltigkeitsmanagement: Das Umweltmanagement wird um ökonomische und soziale Handlungsdimensionen mit dem Ziel erweitert, die Kirchengemeinde oder Einrichtung zu einem integrierten Management zu führen, das den Anforderungen einer sowohl wirtschaftlichen als auch menschen- und umweltgerechten Gestaltung der Zukunft gerecht wird.
Die Sonne scheint für Bildung
„Sonne für Bildung“ ist ein längerfristig angelegtes Projekt in Zusammenarbeit mit der Stiftung Freie Katholische Schule der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Im Jahr 2008 wurden die Erträge der im Jahr 2002 auf dem Dach des Rottenburger Bischofshauses installierten PV-Anlage in Höhe von 47.000 Euro zur Verfügung gestellt, um auf dem benachbarten Verwaltungsgebäude der Schulstiftung ebenfalls eine PV-Anlage anbringen zu lassen. Von deren erwarteten Netto-Erträgen von jährlich 2500 Euro, die bereits nach dem ersten Jahr verfügbar sind, wird in den fast 90 katholischen Schulen in der Diözese ein Nachhaltigkeitspreis für besonders innovative Projekte ausgelobt. Die PV-Anlage auf dem Dach der Schulstiftung hat sich aber auch als beispielgebend für die einzelnen Schulen und Bildungszentren erwiesen, die die Eignung ihrer Dächer für Solartechnik prüfen und in vielen Fällen eigene Anlagen installiert haben.
Der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) der Diözese will Jugendliche und junge Erwachsene verstärkt an das ökologische Engagement heranführen. Daher bietet der BDKJ jungen Menschen die Möglichkeit eines Freiwilligen Ökologischen Jahres (FÖJ). Die Einsatzstellen sind bei kirchlichen und caritativen Einrichtungen, in Jugendhäusern, Bildungshäusern und Klöstern angesiedelt. Derzeit nehmen 60 junge Frauen und Männer am FÖJ teil. Seit Bestehen des FÖJ in der Diözese im Jahr 2002 haben sich 200 junge Erwachsene dabei engagiert.
Zu den Zielen der Klima-Initiative gehört auch, die Bewusstseinsbildung für Nachhaltigkeit verstärkt in den Bildungsprogrammen der Katholischen Erwachsenenbildung zu verankern. Besonders sind dabei der Verband Katholisches Landvolk und die Katholische Arbeitnehmerbewegung in der Diözese Rottenburg-Stuttgart zu nennen.
Als Zielbereich ist in die Klima-Initiative der Diözese auch das Beratungsangebot für sozial benachteiligte Personengruppen integriert, das der Diözesan-Caritasverband Rottenburg-Stuttgart unter dem Titel „Armut und Energiekosten – Soziale Klimaschutzinitiative – Projekt Stromsparcheck“ innerhalb der bundesweiten Initiative des Deutschen Caritasverbandes entwickelt hat.
Klimaschutz wird zu einer Schicksalsfrage der Bevölkerung weltweit. Besonders die Bewohner(innen) der Armutsregionen in der südlichen Hemisphäre sind schon jetzt in katastrophaler Weise von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen. Überschwemmungskatastrophen, Wirbelstürme, Dürren, Wassermangel und Ernteausfälle in dramatischem Umfang treffen vor allem die Ärmsten der Armen und verschärfen deren ohnehin bedrängte Lebensbedingungen noch mehr.
Solidarität weltweit
Im Kontext ihrer weltkirchlichen Arbeit sieht die Diözese als vierte Säule auch eine besondere Verantwortung darin, dieser Entwicklung durch intensivierte Klimaschutzmaßnahmen im eigenen Zuständigkeitsbereich entgegenzuwirken. In den Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas fördert die Hauptabteilung Weltkirche der Diözese außerdem Projekte von Schwesterkirchen, die Energieautonomie durch die Einführung und Nutzung von erneuerbaren Energien erzielen wollen.
Die Klima-Initiative hat sich dabei besonders auf Pilotprojekte in Südindien konzentriert, so zum Beispiel auf eine solartechnische Anlage im St. Francis Xavier’s Seminary der Diözese Neyyattinkara in Kerala, einem Bildungszentrum von hoher Multiplikationswirkung. Ganz besonders richtet sich die Aufmerksamkeit auf das „Mithradham Renewable Energy Centre“ in Alvaye in der Nähe der alten Hafenstadt Kotschi (Cochin). Mithradham ist eine Umweltakademie von internationaler Ausstrahlung, die die Diözese seit den 1990er Jahren finanziell fördert. Es ist eine energetisch und in der Nahrungsmittelversorgung autarke Modelleinrichtung, zu der Studierende und Fachleute aus ganz Indien und von anderen Kontintenten zur Fortbildung und zum Training kommen. In einer Solar-Trockneranlage werden Gewürze und Früchte verarbeitet und im Rahmen des fairen Handels vermarktet, wobei mit den Erlösen die Existenzgrundlage von etwa 120 Kleinbauernfamilien aus der Ureinwohnerschaft gesichert wird.
Die Hauptabteilung Weltkirche hat eine Liste von wirtschaftlich überschaubaren Kleinprojekten zum Klimaschutz in Schwesterkirchen anderer Kontinente zusammengestellt, denen Kirchengemeinden und kirchliche Einrichtungen der Diözese auf freiwilliger Basis Erträge aus ihren PV-Anlagen zur Verfügung stellen können (E-Mail: weltkirche@bo.drs.de). So soll auch in den Kirchengemeinden und Einrichtungen der Zusammenhang zwischen der Verantwortung für den Klimaschutz und der weltkirchlichen Solidarität verdeutlicht werden.