Ein weiterer Weg zu einer angemessenen Unterstützung
Wie (und wohin) konvertiert man Komplexeinrichtungen der Behindertenhilfe? Das ist die Leitfrage meiner beruflichen Tätigkeit seit über 30 Jahren, auf die ich - zumindest in fünfjährigem Abstand - grundsätzlich oder in Nuancen neue Antworten fand. Deshalb wird enttäuscht sein, wer von diesem Artikel dauerhaft gültige Weisheiten erwartet. Ich will mich darauf beschränken, Visionen, Wege und Strukturen zu beschreiben, die sich aus heutiger Sicht als vorläufig hilfreich erwiesen haben.
Damit ist bereits eines der schwierigsten Probleme in der Konversion von Komplexeinrichtungen benannt:
- Träger von Komplexeinrichtungen sind in der Regel für die Unterstützung von Hunderten von Menschen mit Behinderung verantwortlich, die auf verlässliche Strukturen und Begleitpersonen vertrauen.
- Bei der Neu- oder Umgestaltung der Hilfestrukturen sind wirtschaftliche Entscheidungen zu treffen, die Millionenbeträge im mehrstelligen Bereich kosten.
- Träger von Komplexeinrichtungen sind regional bedeutende Arbeitgeber. Ihre Entscheidungen beeinflussen das Arbeitnehmerschicksal Hunderter Mitarbeiter(innen) und ihrer Familien.
- Vermutlich am schwersten wiegt die Last der Geschichte. Daraus einen Schatz zu kreieren, also identitätsstiftende Grundorientierungen christlicher Sozialarbeit ehrlich abzugrenzen gegen erforderliche Neuorientierungen, Wendepunkte an Stellen, wo Umkehr bezüglich des eingeschlagenen Weges notwendig ist, auf dieser Strecke steht viel auf dem Spiel.
Da hätte man gerne langfristig verlässliche Wegweiser in eine sichere Zukunft. Und doch gilt es auszuhalten: Stetig ist nur der Wandel. Die Wegweiser sind Wandlungsprozessen unterworfen und das Tempo des Wandels nimmt zu.
Im Prozess der Organisationsentwicklung haben sich zwei Grundprinzipien herauskristallisiert, die auf dem Weg zu sicheren Begleitern wurden: der systemische Blick und die dialogische Verantwortung.
Der systemische Blick isoliert Menschen nicht, sondern ermuntert dazu, sie in ihren Kontexten, ihren wechselseitigen Regulationsprozessen und der sich darin begründenden Komplexität zu sehen. Ob ein auf Unterstützung angewiesener Klient, eine ratlose Mutter, ein erfahrener Mitarbeiter kurz vor der Berentung oder ein chronisch unterfinanzierter Kostenträger auf die Einrichtung schauen, das macht - mit Gregory Bateson - den wesentlichen Unterschied.1 Relevanz hat in dieser Grundhaltung nicht die Einrichtung mit ihren Zahlen, Daten, Fakten. Bedeutsam ist das, was die Akteure durch ihre jeweilige Brille sehen, welches Handeln sie daraus ableiten und wie das wechselseitige Handeln auf die Strukturen zurückwirkt.
In der Organisationsentwicklung der St. Augustinus-Behindertenhilfe interessiert nicht primär eine spezifische strukturelle Form. Relevant ist, was Nutzer(innen) aus ihrer subjektiven Perspektive für unterstützend halten, wodurch Mitarbeitende sich motivieren lassen, verlässliche Beziehungsangebote zu gestalten für Menschen, die darauf angewiesen sind.
Der geschulte systemische Blick weitet die Wahrnehmung. Unterschiede werden sichtbar. Systemisches Denken ist im besten Sinne pluralistisch. Was ihm fehlt, ist der ethische Kompass. Als soziale Akteure haben wir in besonderer Weise Verantwortung für unser Tun. Humberto Maturana spricht von der Liebe als Grundlage sozialen Lebens und er meint damit eine Emotion, die Vertrauenswürdigkeit, Ehrlichkeit und Koexistenz begründet.2 Wie aus dieser Emotion ein verlässliches Beziehungsangebot reift, lernen wir bei Martin Buber. Mit ihm spreche ich gerne von der dialogischen Verantwortung3 als angemessene Grundhaltung in der Begegnung mit behinderten Menschen - und ebenso im Auftrag der institutionellen Gestaltung. Das heißt: Zwischen den Polen belagernder Fürsorge und der Option selbstbestimmter Verwahrlosung und Vereinsamung nehmen wir den Auftrag an, Räume der Begegnung zu schaffen, in denen die Achtung vor den Persönlichkeitsrechten des Einzelnen perspektivisch in Einklang kommen kann mit der sorgsamen Begleitung.
Zwischen Begleitungsbedarf und Integration
Der Organisationsentwicklungsprozess der St. Augustinus-Behindertenhilfe folgt einem sozialräumlichen Modell, in dem Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf in der Gemeinde leben, also in dem für sie relevanten Sozialraum. Sie erfahren ihren individuellen Anforderungen entsprechend Unterstützung (in den Lebensfeldern Wohnen, Pflege, Arbeit, Tagesstruktur, Freizeit, Kultur, Sport, Seelsorge, Bildung).
Dabei ist die Partizipation intensiv behinderter Menschen ein Kernanliegen. Umgekehrt formuliert: Viele der gegenwärtig diskutierten modernen Hilfeformen schließen die Teilhabe von Bürger(inne)n mit besonders hohem Unterstützungsbedarf faktisch aus. Um das zu vermeiden, wurden in den größeren Gemeinden des Rhein-Kreises Neuss und der Stadt Krefeld überschaubare Wohnhäuser platziert, unterteilt in fünf Wohnungen. Insgesamt finden 16 Nutzer(innen) in Vierpersonen- oder Paarappartements hier eine "Rund-um-die-Uhr-Betreuung". Sie ist ein zufriedenstellender Kompromiss zwischen dem zum Teil hohen Schutz- und Begleitungsbedarf und dem Anliegen des gemeindeintegrierten Wohnens.
Um diese Intensivbetreuungsorte herum wird ein Patchwork von Wohnungen entwickelt - für Einzelpersonen und selbst gewählte Wohngemeinschaften, deren Nutzer(innen) ambulante Unterstützung erfahren. Die Teilhabeförderung wird in sogenannten Fachleistungsstunden nach persönlicher Verabredung erbracht, hauswirtschaftliche und pflegerische Hilfen, Bereitschaftsdienste und Freizeitassistenzen komplettieren ein Angebot, das zunehmend auch von Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf angestrebt wird, zuletzt immer häufiger im Rahmen des Persönlichen Budgets. In Vorbereitung ist - als Gemeinschaftsprojekt mehrerer regionaler Dienstleister - eine Trainingswohnung für junge Menschen mit geistiger Behinderung.
Dienstleistungsberatung und Teilhabeförderung finden Menschen mit Behinderung als Herzstück des Modells innerstädtisch in einem Begegnungszentrum mit dem Namen "Netzwerk". Dieser Ort verbindet als Drehscheibe viele Service-Elemente, auf die Mitbürger(innen) mit Behinderung zugreifen: allgemeine Sozialberatung und Hilfeplanung, Wohnhilfen, Pflegeberatung, Vermittlung angepasster Bildungsangebote, ehrenamtliche Unterstützung, Behindertenseelsorge. Eingerahmt werden die Servicestellen von einem Café, von dem aus auch das gemeindliche Leben erschlossen werden kann. Zugleich ist das Netzwerk ein Ort der Selbstvertretung. Im Neusser Netzwerk Bleichgasse beispielsweise hält "People First"4 regelmäßig Beratungsstunden ab. Im Netzwerk Oberstraße entwickeln sich Strukturen der Selbsthilfe für Menschen mit chronifizierten psychischen Störungen.
Die St. Augustinus-Behindertenhilfe strebt an, in den nächsten Jahren an allen größeren Orten, in denen sie ein relevanter Dienstleister ist, solche Netzwerke innerorts aufzubauen. Netzwerke sind Steighilfen für die Gemeinden, sich für ein inklusives Miteinander zu öffnen, und sie sind wichtige Anlaufpunkte für ihre Besucher(innen). "Hier kann ich sein, wie ich bin, hier werde ich nicht komisch angeschaut, hier finde ich Freunde", sagen regelmäßig Nutzer(innen), von denen viele im ambulanten Wohnsetting der Gefahr der Vereinsamung ausgesetzt waren. Längerfristig eröffnet sich die Perspektive, dass aus den Netzwerken Stadtteilzentren werden, die von allen Mitbürger(inne)n in Anspruch genommen werden.
An den Fähigkeiten der Menschen orientiert
Teilhabe an Arbeit, sich für andere nützlich machen, dem Leben eine Struktur geben, ist in einer zunehmend segmentierteren Hilfelandschaft ohne Rundum-sorglos-Pakete zu einer wichtigen eigenständigen Aufgabe des Trägers geworden. Dabei vernetzen wir uns systematisch mit anderen Hilfeformen zu einem "Verbund für Arbeit", in dem Unterstützungsangebote breitgefächert zur Verfügung stehen. In enger Abstimmung mit der örtlichen Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) wird ein niederschwelliges Tagesstrukturangebot geboten, das sich voraussetzungslos auf die Fähigkeiten und Interessen seiner in der Regel intensiv behinderten Besucher(innen) einstellt. Von dort aus werden die Übergänge in das Hilfesystem der WfbM gesichert. Die Werkstätten selbst stehen - zu Recht - immer häufiger in der Kritik, es ermangele ihnen an kreativen Übergängen in den ersten Arbeitsmarkt. Wir haben darauf reagiert:
- mit Gründung der Schnitt-Gut GmbH, einem Integrationsunternehmen im Garten- und Landschaftsbau, das 40 Prozent seiner Arbeitsplätze exklusiv an Mitarbeiter mit Schwerbehinderung vergibt,
- mit Öffnung unserer Eigenbetriebe für Praktika im Übergang von der Schule in den Beruf.
- Mit der WfbM ist geplant, ausgelagerte Arbeitsfelder in den Bereichen Technik/ Gebäudemanagement, Krankenhausgroßküche und im Servicebereich der St. Augustinus-Seniorenhilfe zu etablieren.
- Weitere Integrationsarbeitsplätze im Bereich Gastronomie sind im Aufbau.
Das ehrgeizige Ziel heißt Komplettauflösung
Die St. Augustinus-Behindertenhilfe ging aus drei psychiatrischen Kliniken mit ausgeprägtem Anstaltscharakter hervor. Die psychiatrischen Langzeitbereiche der Kliniken waren Sammelbecken für chronisch psychisch kranke, geistig behinderte und abhängigkeitserkrankte Menschen aus umliegenden Regionen. Der Weg zur Anstaltsauflösung und zur schrittweisen Konversion von rund 500 stationären Wohnplätzen begann Anfang der 80er Jahre mit vorsichtigen Bemühungen, auf den Langzeitstationen mehr Lebensqualität und Teilhabe möglich zu machen. Heute wird das ehrgeizige Ziel einer Komplettauflösung der krankenhausstationären Lebensräume und der regionalen gemeindeintegrierten Neugestaltung verfolgt. Auf dem Weg von der Zentralität in die Gemeinden, das soll hier nicht verschwiegen werden, findet die St. Augustinus-Behindertenhilfe nicht nur Freunde. Anders als noch vor 20 Jahren ist das Unternehmen nun in den Regionen ein breit aufgestellter Dienstleister mit einer Vielzahl von Mitbewerbern. Nachdem die Anstalt als "letzte Wiese" für die Menschen, die anderenorts nicht mehr tragbar waren, ausgedient hatte, galt es, sich im Wettbewerb um Qualität und - da wo möglich und sinnvoll - in der Kooperation ergänzender Felder neu zu verabreden. Dieser Klärungsprozess betraf und betrifft auch katholische Partner, zwischen denen mit Sensibilität und regelmäßiger Konsultation Abstimmungen überwiegend gelangen.
Während sich die psychiatrischen Kliniken als Orte der Akutversorgung neu aufstellten, gründete die St. Augustinus-Behindertenhilfe vier Wohnverbünde in den Regionen Bergheim, Neuss, Dormagen und Krefeld. Als eigenständige krankenhausunabhängige Systeme implementierten diese auf die jeweiligen sozialräumlichen Rahmenbedingungen zugeschnittene Eingliederungshilfen. Die Wohnverbünde bilden wirtschaftliche Einheiten, in denen die oben genannten Service-Elemente vernetzt mit der übrigen Dienstleistungslandschaft sowie mit der politischen, bürgerschaftlichen und kirchlichen Gemeinde vorgehalten werden. Bei der Geschäftsführung des Unternehmens sind Stabsstellen für Fort- und Weiterbildung und für das Qualitätsmanagement angesiedelt.
Die Arbeitsfelder Technik-Gebäudemanagement, Elektronische Datenverarbeitung, Personalwesen, Einkauf, Finanz- und Rechnungswesen, Controlling und Interne Revision sind als Querschnittsabteilungen der Muttergesellschaft St. Augustinus-Kliniken gGmbH aufgestellt. Sie haben die schwierige Aufgabe, unterschiedliche Einrichtungstypen (vom großen somatischen Krankenhaus bis zur kleinen regionalen Beratungsstelle) mit ihren Dienstleistungen zu versorgen. Wo es um klientenferne Leistungen geht, stehen Zentralität und Effizienz im Vordergrund. Überall da, wo Leistungen in die Lebensqualität der Einrichtungsnutzer(innen) eingreifen, wird Wert gelegt auf dezentrale Leistungserbringung. Grundlage dafür ist ein einrichtungsübergreifendes Kommunikations- und Dokumentationssystem, das den Austausch zwischen den kleinen regionalen Diensten, der Geschäftsführung mit ihren Stabsstellen und den Querschnittsabteilungen sichert.
Vor einem Jahr haben die Schwesterunternehmen St. Augustinus-Seniorenhilfe und St. Augustinus-Behindertenhilfe eine gemeinsame Bewohner- und Klientenverwaltung gegründet. Die dezentrale Versorgung der Standorte mit Geld (Eigengeld der Klient(inn)en, Lebensmitteln, Haushaltswaren, Betreuungsaufwand in der Selbstorganisation kleinster Einheiten) wird in einem Querschnittsprojekt bearbeitet.
Wichtiger noch als die Schaffung veränderter Wohn- und Arbeitsstrukturen ist die Förderung einer angemessenen Haltung der Mitarbeiter(innen). Dialogische Verantwortung zu übernehmen heißt, sich auf eine Beziehung zum Klienten einzulassen, in der wohl abgewogen die Unterstützung von identitätsbildenden Prozessen gepaart ist mit der Bereitschaft, sich an den Stellen solidarisch, sorgend einzubringen, wo Schaden im wohlverstandenen Interesse des Klienten von ihm abzuwenden ist. Dieses achtsame Abwägen ist nicht für Geld und gute Worte allein zu haben. Beziehungsfähigkeit im beschriebenen Sinn ist Ergebnis eines Auseinandersetzungsprozesses, in den die Mitarbeitenden mitgestaltend einzubeziehen sind.
Personalentwicklung erweist sich als Achillesferse
Der Weg vom schlüsselbundschwingenden Heimbetreuer zum Dienstleister im Privatraum des Klienten ist hürdenreich. Vorbei die Zeit, wo Mitarbeitende ihre Unterstützungsleistungen in "ihrer" Gruppe leisten, lenkend einwirken unter Vorgabe von Zielen, die nicht in Aushandlungsprozessen vereinbart sind. Die Erfahrung von Machtverlust spielt ebenso eine Rolle wie die Verunsicherung, wie jetzt der helfende Dialog zu gestalten sei. Die Schwierigkeiten betreffen vor allem ältere Mitarbeitende, aber nicht nur sie. Auch jüngere, vermeintlich gut Ausgebildete tun sich schwer mit den neuen Paradigmen.
In diesem Kontext haben sich zwölf "Regeln und Versprechen" als hilfreich erwiesen. Die unternehmensweit kommunizierten Grundhaltungen sollen ein ethisch fundiertes Handeln der professionellen Akteure absichern.
Jedem/jeder Bewohner(in) und Klienten ist verbindlich eine Bezugsperson zugewiesen, die den Prozess der personenzentrierten Unterstützung systematisch fördert. Ob diese Arbeitsweise klappt, wird regelmäßig in Interviews und Audits geprüft.
Als hilfreich hat sich das systematische Fortbildungsmanagement erwiesen. Alle Kolleg(inn)en sind eingeladen, regelmäßig Auszeiten zu nehmen und ihre Praxis zu reflektieren. In Teilen werden sie dabei von den Klienten begleitet, für die sie als Bezugsperson zentrale Ansprechpartner sind.
Supervisorische Unterstützung kann von jedem Mitarbeitenden und von jedem Team angefordert werden, um Konflikte angemessen bearbeiten zu können. Diesem Ziel dienen auch ethische Fallbesprechungen, in denen nach festen Regeln grundlegende Fragen verantwortlichen Handelns im Dialog bearbeitbar werden.
Trotz aller Hilfen - bei etwa zehn Prozent der Mitarbeitenden kommen wir immer wieder an Grenzen. Was ist, wenn notwendige Entwicklungsschritte ausbleiben und die gelebte Begleitungspraxis den berechtigten Anforderungen der Klienten nicht genügt? Hier hilft nur noch kritische Rückmeldung und vorausschauend die konkrete und faire Zielvereinbarung. Das erfordert ein strukturiertes Führungshandeln, mit dem wir uns - das sei hier selbstkritisch eingeräumt - nicht immer leicht tun.
Wie erreichen wir einen bürgerschaftlichen Dialog?
Am Schluss steht eine sicherlich nicht vollständige Liste offener Fragen, um deren Beantwortung in der St. Augustinus-Behindertenhilfe täglich gerungen wird.
- Wie bekommen wir bei aller Differenziertheit der Leistungserbringung im ambulanten (vermutlich bald auch im stationären) Bereich mit Teilhabeförderung, Freizeitassistenz, Pflege, die Unterstützung in eine für die Klient(inn)en erträgliche ganzheitliche Form?
- Wie und wo schaffen wir Unterstützungsangebote für die Klient(inn)en,
- die im Kontext ihrer Störungen und Be-hinderungen zumindest phasenweise auf geschlossene, also mit Freiheitsentzug verbundene Hilfen, angewiesen sind, beispielsweise bei der Diagnose Autismus Plus5, bei schweren psychischen Störungen, die von fremd- und/oder selbstgefährdenden Verhaltensweisen begleitet werden?
- Wie beteiligen wir uns als Dienstleister an einer gerechteren Finanzierungssystematik in der Behindertenhilfe, die den Unterschied zwischen ambulant und stationär überwindet?6 Wie geht das ohne negative, standardabsenkende Auswirkungen auf die Lebensqualität der stationären Klienten? Welche Zukunft haben dabei die Immobilien und ihre Refinanzierung?
- Wenn die Herausforderungen der UN-Konvention nicht allein ein Thema der spezialisierten Behindertenhilfe-Dienstleister sind, wie kommen wir auf kommunaler Ebene in einen bürgerschaftlichen Dialog der Inklusionsförderung, ohne die Belastungsgrenzen der Sozialsysteme und der Individuen überzustrapazieren?7
Vermutlich werden noch Generationen um ein angemessenes Unterstützungssystem für Menschen mit Behinderung ringen. Wir sind als Träger in der Verantwortung, unseren Beitrag heute zu leisten. Dazu gehören aus meiner Sicht ein Ende der großen Anstalten und ein guter Weg ihrer Konversion in neue Formen der Begleitung.
Anmerkungen
1. "Information ist ein Unterschied, der einen Unterschied macht." Vgl. Bateson, Gregory: Ökologie des Geistes. Frankfurt/Main : Suhrkamp, 1985, S. 582.
2. Siehe Maturana, Humberto R.: Was ist Erkennen. München : Piper Verlag, 1996.
3. In seinen philosophischen Werken kommt bei Buber das Thema des Dialogs als Prinzip des Menschen zum Ausdruck. Sein Hauptwerk trägt den Titel "Ich und Du" (1923) und behandelt das Verhältnis des Menschen zu Gott und zum Mitmenschen als existenzielle, dialogische und religiöse Prinzipien.
4. Die Selbstvertretungsgruppe "People First: Mensch zuerst-Netzwerk" ist ein Verein von und für Menschen mit Lernschwierigkeiten (www.people1.de).
5. Autismus Plus ist eine Sprachschöpfung des Mediziners Jochen Busse. Gemeint sind Klienten mit autistischen Krisen, die mit massiven Kontrollverlusten und oft schweren aggressiven Handlungen einhergehen.
6. Siehe Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e.V. (BAGFW) zum Beschluss der Arbeits- und Sozialministerkonferenz (ASMK) vom November 2009 und zum Eckpunktepapier zur Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe (SGB XII i.V. mit SGB IX) der Bund-Länder-Arbeitsgruppe vom November 2009.
7. Vgl. Ehrenberg, Alain: Das erschöpfte Selbst. Frankfurt/M. : Suhrkamp 2008; ebenso Anthony Giddens’ These von der entfesselten Welt; ebenso Jürgen Habermas’ These von der Erschöpfung der utopischen Energien; ebenso Bauman, Zygmunt: Dialektik der Ordnung : Die Moderne und der Holocaust. Hamburg, 2002.