Schule braucht den Schulsozialarbeiter
Kaum ein Thema ist in den vergangenen Jahren so oft durch die Presse gegangen wie das Thema Bildung und die dem deutschen Bildungssystem innewohnende soziale Ungerechtigkeit. Darüber hinaus wird in regelmäßigen Abständen in Skandalmeldungen auf nicht mehr tragbare Verhältnisse in deutschen Schulen hingewiesen. Aussagen wie "Über acht Prozent aller Schulabgänger(innen) verlassen ohne Abschluss die Schule" sind so oft veröffentlicht worden, dass sie ihre Schockwirkung verloren haben. Für die betroffenen Jugendlichen aber hat sich die Lage nicht verbessert. Der fehlende Abschluss verschließt ihnen weiterhin den Zugang zu Ausbildung und Arbeit und stellt für sie langfristig ein Armutsrisiko dar.
Erschreckend steigt auch die Zahl der Kinder und Jugendlichen an, die in ihrer Familie nicht mehr ausreichend versorgt werden und nicht mehr lernen, das Leben zu bewältigen. Neben dem Mangel an materiellen Dingen fehlt es vielen Kindern an Bildungschancen. Unicef verweist darauf, dass in Deutschland die Kinderarmut stärker angestiegen ist als in den meisten anderen Industrieländern. Mit 40 Prozent sind Kinder Alleinerziehender besonders häufig betroffen. Bei Kindern aus Migrantenfamilien hat sich die Armutsrate in den 90er Jahren von fünf auf 15 Prozent verdreifacht.1 Jedoch ist das deutsche Bildungssystem nicht in der Lage, auf diese neu herausgebildeten gesellschaftlichen Anforderungen angemessen zu reagieren. Die Schule kann - wie der 12. Kinder- und Jugendbericht2 bereits festgestellt hat - den Erziehungs- und Bildungsauftrag allein nicht erfüllen und ist auf begleitende Systeme angewiesen. Das Bildungssystem kann sich nicht nur auf schulische Bildung beschränken, sondern muss die Leistungen aus anderen Bereichen wie zum Beispiel die Jugendhilfe miteinbeziehen.
Schulsozialarbeit bietet andere Bildungsorte
Schulsozialarbeit agiert an der Schnittstelle zwischen Schule und Jugendhilfe und wird direkt in den Schulen angeboten. Die Sozialarbeiter(innen) haben im Gebäude ein Büro und stehen grundsätzlich allen jungen Menschen als Ansprechpartner zur Verfügung. Für junge Menschen ist es einfacher, im Vorbeigehen Probleme anzusprechen, über die sie nicht so leicht sprechen würden, als wenn sie in eine Beratungsstelle gehen müssten. Sie können direkt loswerden, was sie bedrückt, und für eine weitere Besprechung des Problems einen Termin ausmachen. Gemeinsam mit dem/der Schulsozialarbeiter(in) erarbeiten sie Lösungsmöglichkeiten und überlegen, welche Personen hinzugezogen werden müssen beziehungsweise welche Stellen zur Lösung ihres Problems beitragen können. Dementsprechend wird dann Kontakt zu diesen Menschen und Instanzen aufgenommen und Hilfe eingeleitet. Die Schulsozialarbeiter(innen) verstehen sich dabei als Anwalt von Schüler(inne)n.
Eine Hilfe für den Alltag
Die Angebote der Schulsozialarbeit richten sich insbesondere an Schüler(innen), die in ihrem Alltag schwierige Situationen bewältigen müssen und aus diesem Grund auch Probleme haben, dem Unterricht zu folgen. Im Blickfeld sind auch die Schüler(innen), die durch Leistungsschwäche auffallen oder durch Schulverweigerung den Lernort Schule ausblenden. Oft handelt es sich um junge Menschen, die individuell beeinträchtigt oder sozial benachteiligt sind (vgl. § 13 SGB VIII)3. Das Ziel ist, jedem/r Schüler(in) eine erfolgreiche Unterrichtsbeteiligung beziehungsweise einen Schulabschluss zu ermöglichen. Um dies zu erreichen, werden schulisch weniger erfolgreiche Schüler(innen) darin unterstützt, ihre Ressourcen zu erschließen.
Zusammen mit anderen Akteuren in der Schule fördern Schulsozialarbeiter(innen) die individuelle und soziale Entwicklung von jungen Menschen. Sie bieten Aktivitäten an, durch die junge Menschen über das schulische Angebot hinaus ihre Fähigkeiten entfalten, Anerkennung erfahren und soziale Prozesse gestalten können. Künstlerische und handwerkliche Angebote sowie soziales Engagement eröffnen jungen Menschen, denen das Lernen schwerfällt, neue Möglichkeiten, und sie erfahren Bestätigung. Dies kann sie dazu motivieren, weiterzulernen und sich mit neuen Themen zu befassen beziehungsweise sich Inhalte über andere Zugänge und Lernorte anzueignen. Die Sozialarbeiter(innen) greifen die verschiedenen Interessen der Schüler(innen) auf und berücksichtigen ihre unterschiedlichen Lebenslagen in ihren Angeboten und Beratungen.
Soziales Miteinander lernen
Schulsozialarbeit bietet Trainings zur Stärkung des Selbstbewusstseins und der sozialen Kompetenzen oder zum Umgang mit sozialen Konflikten an. In den Klassen treffen junge Menschen mit unterschiedlichem sozialen, kulturellen und religiösen Hintergrund zusammen. Sie müssen lernen, diese Vielfalt zu akzeptieren und mit ihr umzugehen. Zunehmend bedeutsam sind auch Angebote zum Umgang mit Mobbing sowie Anti-Gewalt-Trainings. Ein Anliegen der Schulsozialarbeit ist es, Kinder und Jugendliche vor Gefahren zu schützen. Hier sind vor allem präventive Angebote im Gesundheitsbereich wie Umgang mit Alkohol oder Drogen oder auch - besonders bei Mädchen - das Thema Essstörungen zu nennen.
Berufsorientierung wird großgeschrieben
Junge Menschen - vor allem benachteiligte - brauchen Orientierung für ihren Lebensweg. In einer schwierigen Altersphase sehen sie sich vor die Herausforderung gestellt, eine berufliche Perspektive zu entwickeln und sich um einen Ausbildungsplatz zu bemühen. Mit den Schüler(inne)n Lebensplanung zu entwickeln und realistische Umsetzungsschritte zu erarbeiten gehört zum Aufgabenspektrum von Schulsozialarbeiter(inne)n. Oft wird bereits ab der fünften Klasse mit sozialen Trainings angefangen. Mögliche Berufsbilder werden vorgestellt, mit den Schüler(inne)n Stärken und Schwächen erforscht, in Praktika erprobt sowie Bewerbungsunterlagen erarbeitet und Bewerbungsgespräche geübt.
Ein positives Lernklima wird aufgebaut
In Schulen trägt Schulsozialarbeit oft dazu bei, positive Lern- und Lebensbedingungen zu erhalten beziehungsweise zu schaffen. Schulsozialarbeiter(innen) bringen ihre sozialpädagogische Handlungsweise in die Schule ein und nehmen eine Brückenfunktion zwischen den Sozialisationsinstanzen wahr. Sie wirken mit, Schulen als einen Lebensraum zu gestalten, in dem sich alle Schüler(innen) wohlfühlen und einen Platz finden. Zudem sollen die Kinder angeregt werden, sich selbst an der Gestaltung ihres Lebensraums zu beteiligen und Beziehungen zu ihrem sozialen Umfeld aufzubauen.
Schulsozialarbeiter(innen) arbeiten auch mit Eltern und Lehrkräften. Gerade in Fragen der Berufsorientierung ist eine gute Kooperation aller Beteiligten besonders wichtig. Schulsozialarbeiter(innen) beraten Eltern und Lehrer(innen) darüber hinaus auch auf deren Anfrage in Erziehungsfragen und vermitteln sie an die entsprechenden Instanzen weiter. Dafür kooperiert Schulsozialarbeit beispielsweise mit den sozialen Diensten, der Jugendgerichtshilfe oder den freien Trägern der sozialen Arbeit.
Wo Schulsozialarbeit an ihre Grenzen stößt
Junge Menschen nehmen das Angebot der Schulsozialarbeit - sofern es in ihrer Schule besteht - gerne an. Eine statistische Erfassung, wie und wo Schulsozialarbeit stattfindet, gibt es auf Bundesebene nicht. In vielen Projekten, die die Einführung von Schulsozialarbeit evaluieren lassen, ist aber nachzulesen, "dass es der Schulsozialarbeit gelungen ist, den Kontakt zur Zielgruppe, nämlich mit Schüler(inne)n mit Verhaltens- und Leistungsproblemen herzustellen… Von den Schüler(inne)n, Lehrer(inne)n, Schulleiter(inne)n und Eltern wird der Schulsozialarbeit ein positiver Einfluss auf die Gewalt in der Schule zugeschrieben."4 Sie kann, wenn sie im professionellen Sinn verstanden wird, dazu beitragen, frühzeitig Lösungen zu entwickeln. Jedoch sind viele Schulen, die in sozial benachteiligten Stadtteilen liegen, immer noch nicht ausreichend mit Schulsozialarbeiter(inne)n und weiterem Fachpersonal wie Psycholog(inn)en, Therapeut(inn)en oder Kulturpädagog(inn)en ausgestattet. Schulen, an denen es offensichtlich "brennt", haben Chancen auf die Bewilligung von Schulsozialarbeit: so wie 2006 die Rütli Schule in Berlin, wo auf Druck der Lehrer(innen) unterschiedliche Sozialprojekte eingerichtet wurden. Um eine soziale Integration benachteiligter junger Menschen zu fördern, müssen gerade diese Schulen mit einem höheren Prozentanteil an Sozialarbeiter(inne)n sowie künstlerisch und handwerklich ausgebildeten Fachkräften versorgt sein, so wie es im Kanton Zürich schon heute gehandhabt wird. Dort wird der Stellenumfang für Schulsozialarbeit an einer Schule auf Basis der sozialen Gegebenheiten im Einzugsbereich, in dem die Schule liegt, berechnet.
Ein weiteres Problem ist, dass der Einsatz von Schulsozialarbeit in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich geregelt und gefördert wird. Einige Länder wie Rheinland-Pfalz oder Nordrhein-Westfalen haben in den vergangenen Jahren auch die Hilfe von Förderprogrammen genutzt, um die Schulsozialarbeit auszubauen, etwa das Investitionsprogramm "Zukunft Bildung und Betreuung" (IZBB) des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. In Rheinland-Pfalz gibt es sogar Leitlinien und Standards zu Schulsozialarbeit. Unklare Rahmenbedingungen und befristete Arbeitsverträge, die oft nur von einem Jahr auf das andere verlängert werden, erschweren die Installation von Schulsozialarbeit als Regelangebot. Auch wird der Begriff "Schulsozialarbeit" für Angebote der Mittagsbetreuung ebenso verwendet wie für befristete Projekte an einzelnen Schulen oder für qualifizierte Angebote der Schulsozialarbeit. Aus diesem Grund hat der Kooperationsverbund Schulsozialarbeit eine Broschüre herausgegeben, in der er die professionellen Anforderungen an die Schulsozialarbeit beschreibt.5
In den vergangenen Jahren ist bei verschiedenen Anlässen verstärkt Schulsozialarbeit in Schulen eingefordert worden. Die Verbesserung des Schulklimas aufgrund von Schulsozialarbeit und die möglichen stabilisierenden Wirkungen von Schulsozialarbeit auf Schüler(innen) sind anerkannt worden. Auch Schulsozialarbeiter(innen) werden mehr und mehr wertgeschätzt. Anlässlich des Bildungsgipfels im Oktober 2008 erklärte die Bundeskanzlerin Bildung zur Chefinnen-Sache und forderte für jede Schule eine(n) Schulsozialarbeiter(in). Damit hätte sie sich auf den richtigen Weg begeben, wenn ihr nicht die fehlenden Finanzen aufgrund der neuen Prioritätensetzung in der Finanzkrise dazwischengekommen wären. Der Kooperationsverbund Schulsozialarbeit, dem IN VIA - Deutschland angehört, "spricht sich (weiterhin) dafür aus, Schulsozialarbeit als originäres Arbeitsfeld der Jugendhilfe in allen Schulen zu verankern"6.
Anmerkungen
1. Unicef (Hrsg.): Nachrichten Nr. 2/2006, S.37
2. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.): 12. Kinder- und Jugendbericht. Berlin 2005.
3. Vgl. auch IN VIA Katholische Mädchensozialarbeit - Deutscher Verband (Hrsg.): Leitlinien und Ziele in der schulbezogenen Jugendsozialarbeit von IN VIA. Rahmenkonzept. Freiburg 2003.
4. Vgl. Zusammenfassung Zwischenbericht Schulsozialarbeit, S.3 unter www.heidelberg.de/servlet/PB/menu/1151812/index.html
5. Kooperationsverbund Schulsozialarbeit (Hrsg.): Berufsbild und Anforderungsprofil der Schulsozialarbeit. 2., korrigierte Auflage. November 2007. Herunterzuladen unter www.invia.caritas.de, ("Publikationen", "Publikationen unter Mitwirkung von IN VIA")
6. Ebd., S. 3.