Individuelle Arbeitsplätze formen künftige Werkstattlandschaft
Eine virtuelle Werkstatt, die Arbeit ohne eigene Produktionsstätten anbietet: Diese Idee wurde erstmals 2004 auf Anregung der saarländischen Sozialministerin Regina Görner in Saarbrücken realisiert. Mittlerweile hat das erfolgreiche Pilotprojekt Nachahmer auch im Caritasbereich gefunden. Heute stehen virtuelle Caritaswerkstätten in Mayen und Montabaur für einen neuen Typus der Teilhabe. Die innovative Form der Befähigung für Menschen mit Behinderung findet in Betrieben der Erwerbswirtschaft statt und mündet, temporär begleitet, in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse.
Mit der virtuellen Werkstatt wurde Integrationsmanagement modular gegliedert und ambulant ausgestaltet. Auch das im Januar 2009 von der Arbeitsagentur ausgeschriebene Leistungsangebot zur "unterstützten Beschäftigung" außerhalb der Werkstätten zielt in diese Richtung. Virtuelle Werkstätten haben mit ihrer Konzeption gute Chancen, sich an der Ausschreibung zu beteiligen. Mit ihrer inklusionsorientierten Befähigung bereichert das virtuelle Werkstattkonzept inhaltlich die herkömmlichen Arbeitsintegrationsangebote und wird die Werkstattlandschaft der Zukunft mitbestimmen.
Ziel ist der erste Arbeitsmarkt
Im Unterschied zur klassischen Werkstatt (WfbM) liegt der neue Schwerpunkt auf der Förderung des Übergangs in den ersten Arbeitsmarkt. Virtuelle Werkstätten gestalten ihre Unterstützungsleistungen flexibler und individueller und erbringen sie vor Ort im Betrieb. Integrationsmanager koordinieren die Teilleistungen, vernetzen Akteure und assistieren an der Schnittstelle zwischen Klientensystem, Sozialraum, dem Betrieb sowie den Qualifizierungs- und Vermittlungsverantwortlichen.
Virtuelle Werkstätten bilden eine Alternative zu klassischen Werkstattangeboten, werden diese aber nicht ersetzen, da sie nicht für alle Menschen mit Behinderung geeignet sind. Sie richten sich an Personen mit Assistenzbedarf, die durch geeignete, individuelle Maßnahmen einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachgehen können. Die Betroffenen können frei wählen zwischen Arbeitsplätzen in der Personalvermittlung, in Integrationsfirmen, öffentlichen Verwaltungen, Industrie-, Dienstleistungs- oder Handwerksbetrieben.
Am Anfang steht ein Betriebspraktikum
Ziel des virtuellen Werkstattangebotes ist es, neben der neigungsorientierten, betriebsnahen Qualifizierung, Betroffene zu stabilisieren und zu ihrer Selbstverwirklichung beizutragen. Nach der Aufnahmeempfehlung des zuständigen Fachausschusses der WfbM sucht der Integrations- manager einen Betrieb mit geeignetem Arbeitsplatz. Sobald die passende Stelle gefunden ist, beginnt ein mehrwöchiges begleitetes Betriebspraktikum.
Nach dieser Erprobung entscheiden Klient, Unternehmensvertreter und Integrationsmanager, ob der Betreffende weiterbeschäftigt wird. Sie vereinbaren die vertraglichen Bedingungen des Arbeitsverhältnisses. Sobald der Mitarbeitende eine wirtschaftlich verwertbare Arbeit erzielt, wird er leistungsgerecht vergütet.
Arbeitsplätze sind in allen Branchen denkbar: Häufig werden die Tätigkeiten in der Gastronomie und in der Hauswirtschaft, in einfachen handwerklichen Helferberufen wie der Hausmeisterei und im Garten- und Landschaftsbau sowie in öffentlichen Einrichtungen und Kommunen, zum Beispiel im Bauhof oder im Tierpark, ausgeübt.
Die persönlichen Perspektiven ausloten
Für ihre Klienten halten virtuelle Werkstätten ein differenziertes Angebot vor: Nach der eignungsdiagnostischen Analyse erörtert der Integrationsmanager mit dem Betroffenen seine persönlichen Tätigkeitsperspektiven. Die Vorbereitung auf den Arbeitseinsatz erfolgt in Einzel- und Gruppenangeboten. Mobilitäts- und Bewerbungstrainings gehören ebenso zum Qualifizierungsprogramm wie Schlüsselqualifikationen und Fachkundeunterricht. Teilqualifikationen mit Abschluss, die sich an den Ausbildungsinhalten der angestrebten Berufsbilder orientieren, vermitteln Kompetenzen und helfen, Unternehmen von der nutzbringenden Stellenbesetzung zu überzeugen.
Nach dem Vorpraktikum beginnt die begleitete Integration im Betrieb. In der Anfangsphase ist der beidseitige Begleitungsbedarf hoch. Erst nach und nach kehrt Routine ein. Nun konzentriert sich der Integrationsmanager auf Krisen- und Konfliktmanagement sowie regelmäßige Entwicklungsgespräche. Häufig bietet er für seine Klient(inn)en arbeitsbegleitende Maßnahmen an, welche dem gemeinsamen Erfahrungsaustausch dienen und den persönlichen Kompetenzerwerb fördern.
Bei Krisen jederzeit erreichbar
Der Integrationsmanager berät und begleitet auch die beschäftigungsgebenden Betriebe in der Auswahl und Gestaltung des Arbeitsplatzes. Er arbeitet die betriebsinternen Paten in ihr Aufgabengebiet ein. In Krisen- und Konfliktzeiten ist er ein fester, jederzeit erreichbarer Ansprechpartner, der Vertrauen schafft und Sicherheit gibt. Er entlastet die Betriebe zum Beispiel beim Beantragen von Lohnkostenerstattungen und Eingliederungszuschüssen (zum Beispiel § 16a SGB II) und leistet die sozialversicherungsrechtliche Erstberatung.
Xtern - eine virtuelle Werkstatt der Caritas
Im Diözesan-Caritasverband Trier startete am 1. Januar 2008 das Projekt Xtern - ein neuer Weg zur Förderung betriebsnaher Teilhabe. Xtern bündelt die Integrationsaktivitäten der Caritas-Werkstätten Mayen, Sinzig, Cochem, Polch und Ulmen und bietet Menschen mit Assistenzbedarf berufliche Teilhabe und Qualifizierung im ersten Arbeitsmarkt.
Die virtuelle Werkstatt ist für Menschen mit Behinderung aller Art aktiv. Fachkräfte für Arbeits- und Berufsförderung erbringen in den beschäftigungsgebenden Betrieben arbeitsplatzspezifische Trainings on the Job. Xtern versteht sich dabei als Partner von Unternehmen, Industrie- und Handwerkskammern und begleitet die Firmen. Bis Ende 2012 sollen 30 Arbeitsplätze in erwerbswirtschaftliche Betriebe integriert werden. Bereits mehr als 20 Beschäftigte konnten in einen individuellen Außenarbeitsplatz der Werkstatt oder ein festes sozialversicherungspflichtiges Anstellungsverhältnis vermittelt werden.
Die virtuelle Werkstatt profitiert finanziell vom rheinland-pfälzischen Modellprojekt "Budget für Arbeit". Neben den aus Vergütungssätzen der Werkstattkostenträger refinanzierten Außenarbeitsplätzen steht mit einer rund 70 Prozent Minderleistungsausgleichszahlung eine direkte Anschlussfinanzierung für ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis zur Verfügung. Im Vergütungssatz der virtuellen Werkstatt sind Kostenerstattungen für Leistungen aus der Grund- und Maßnahmenpauschale enthalten. Da keine eigenen Gebäude erforderlich sind, entfällt der Investitionskostenersatz. Ein Zuschlag zur Maßnahmenpauschale für die intensive ambulante Betreuungsleistung kompensiert dies. Xtern ist derzeit mit einer Werkstattleitung sowie drei weiteren Mitarbeiter(inne)n ausgestattet. Der Personalschlüssel im Betreuungsbereich liegt bei eins zu sechs.
Der Weg zur Arbeit muss machbar sein
Bei der Planung und Umsetzung von Xtern gab es folgende Herausforderungen. Die virtuelle Werkstatt sollte als eigenständige Werkstatt vollständig in die bestehende Aufbau- und Ablauforganisation der Caritaswerkstätten integriert werden. Vom Erstkontakt bis hin zur Vermittlung waren alle Prozesse zu definieren und zu verzahnen.
In dem ländlichen Gebiet besteht zudem in vielen Fällen das Problem, den Arbeitsplatz überhaupt zu erreichen. Dies sollte auch zu Tagesrandzeiten sowie an Wochenenden und mit öffentlichen Verkehrsmitteln möglich und machbar sein.
Lösungsansätze wurden mit viel Kreativität und sozialräumlichem Denken gefunden. Beispielsweise konnte in einem Fall ein Taxiunternehmer gewonnen werden, einen der Beschäftigten auf seiner täglichen Route kostenlos zu seinem Beschäftigungsort mitzunehmen. In einem anderen Fall wurde ein Klient zum Erwerb eines Mofa-Führerscheins befähigt.
Durch das Gesetz zur Einführung unterstützter Beschäftigung wird die virtuelle Werkstatt als Form der ambulanten Arbeitsintegration weiter gestärkt. Fach- und Selbsthilfeverbände fordern, die individuelle Unterstützungsleistung zur wirksameren Teilhabe am Arbeitsleben auszubauen. Die virtuelle Werkstatt ermöglicht passgenaue Hilfen, fördert Selbstbestimmung und Befähigung von Menschen mit Assistenzbedarf und dient der Vision einer inklusionsorientierten Gesellschaft.