Wo "Halbmonde" gegen den Hunger helfen
Die religiöse Situation Nigers wird beim Aufwachen in der katholischen Mission mitten in der Hauptstadt Niamey erlebbar. Ringsum erschallt in der Morgendämmerung das "Allahu akbar" der Muezzine, die sich einen Wettstreit zu liefern scheinen um Lautstärke und Ausdauer. Die Mission ist eine grüne Oase in der staubigen, von Müll durchwehten Stadt, in der sich fast eine Million Menschen täglich um ihre Existenz mühen.
Niger, das ärmste Land der Erde, ist zu 96 Prozent muslimisch und von zunehmend fundamentalistischen Nachbarstaaten umgeben. Der Islam hier dagegen ist tolerant, teilweise von den alten animistischen Religionen beeinflusst. Moscheen sind zwar auch in den Dörfern die prägenden Gebäude und gut instand gehalten, aber selten trägt eine Frau einen Schleier.
Mit Caritas will die katholische Kirche ein Zeichen setzen gegen Fundamentalismus.
Die Toleranz stärken
In Caritas international (Ci) hat sie darin seit vielen Jahren einen starken Partner. Mit 13 Millionen Menschen, die sich auf die dreifache Größe Deutschlands verteilen, ist Niger eher unbedeutend. Aber wegen der besonderen Situation wird hier bewusst ein Schwerpunkt in der Förderung gesetzt. In den letzten drei Jahren wurden mit 1,8 Millionen Euro Projekte gefördert.
Ci und die vielen weiteren nationalen Caritas-Organisationen, die sich hier in der Sahelzone engagieren, haben im Land mit Caritas Développement (CADEV) einen starken Partner. Vor drei Jahren haben sich die Caritas Niger und die mit Misereor vergleichbare Entwicklungsorganisation BALD im Auftrag der beiden Bischöfe zu CADEV zusammengeschlossen. Koordinierter, effektiver und präsenter sollte die soziale Arbeit der Kirche werden. Mit 20.000 Katholik(inn)en ist sie eine kleine Minderheit, bewirkt aber durch gute Regierungskontakte und die gut organisierte caritative Arbeit weit mehr, als es ihrer zahlenmäßigen Größe entspräche.
Überzeugend ist vor allem auch der Grundsatz, der weltweit in der Auslandshilfe der Caritas gilt: Allein entscheidend ist die Not des Menschen. Religionszugehörigkeit und andere Kriterien spielen keine Rolle. Das unterscheidet die Hilfe von CADEV im Niger von anderen Hilfswerken, ist aber nicht konfliktfrei.
Ambroise Ouédraogo, Bischof in Maradi, kennt die Diskussion in manchen Gemeinden, warum die Muslime genauso viel oder sogar mehr Unterstützung bekommen. Es ist eine Gratwanderung für ihn und die Caritas-Verantwortlichen. Am Grundsatz, dort zu helfen, wo die Not am größten ist, wollen sie festhalten, aber vielleicht einen Teil der Hilfe gezielter den ärmsten Christ(inn)en zukommen lassen, damit die Spannungen nicht eskalieren.
Hilfen sind hart umkämpft
Wie ernst es CADEV mit diesem Grundsatz ist, zeigt auch das konsequente Vorgehen des nationalen Caritasdirektors Raymond Younoussi Yoro. Eine ehrenamtliche Gruppe, die Katholik(inn)en bevorzugte, wurde ausgeschlossen. Mit Konsequenz hat sich CADEV insgesamt einen guten Ruf erworben. Raymond Yoro hört oft: "Ihr tut, was ihr sagt", während andere sich "nie wieder gezeigt" hätten. Positiv werde auch gewertet, dass keine Gegenleistung für die Hilfe erwartet wird.
In den Projekten der Caritas geht es um Existenzsicherung. Organisiert werden sie zusammen mit den Menschen, auch an die Zeit nach Auslaufen der Finanzierung wird gedacht. Beispiel Getreidespeicher in Shinfidastowo: Er ist Teil eines Programms zur Vorbeugung gegen Notsituationen, das nach der Dürre 2004/2005 gestartet worden ist. Geld kam von Ci und dem Bundesentwicklungsministerium, Beratung durch CADEV und Ehrenamtliche. Die Säcke mit Hirse und Mais im Speicher verwalten jetzt die Frauen des Dorfes.
Projekte und Verwaltungsarbeit werden fast ausschließlich aus Spenden von außen finanziert. Neben Aufgaben wie der Betreuung von jugendlichen Strafgefangenen oder Hilfen für Nomadenschulen will CADEV Entwicklung anstoßen. Etwa mit dem Projekt der "Halbmonde". 55.000 davon haben die Männer der Dörfer um Tahoua mit ihrer Unterstützung gegraben und erfahren: Die kleinen Erdwälle, in denen sich in der Regenzeit Wasser sammelt, können die Ernte verdoppeln.
Freie Fahrt für Caritas
Dass Caritas Niger und seit 2005 CADEV einen guten Ruf genießen, zeigt sich an den Mautstellen der Überlandstraßen: Das Stichwort "Caritas" lässt das Absperrseil sinken. Obwohl es nur rund 200 ehrenamtliche und 50 hauptamtliche Mitarbeitende gibt, ist die Caritas überall bekannt.
Die katholische Kirche nutzt diesen guten Ruf im Dialog mit den Muslimen. Erzbischof Michel Cartatéguy in Niamey sieht ihn als eine Hauptaufgabe. 60 Prozent seiner Zeit wende er für diesen Dialog auf und 40 Prozent dafür, die Katholiken von dessen Notwendigkeit zu überzeugen, sagt er mit einem Augenzwinkern. Cartatéguy ist Mitglied im Komitee "Weise Häupter der Religion", das das Zusammenleben verbessern will. Seit vier Jahren nehmen auch Imame teil. Gemeinsam wird an einem Bildungsprogramm gearbeitet, das von Missio organisiert wird.
Toleranz ist dabei im Niger keine Einbahnstraße. Abdoulmoumouni Illo, Diözesan-Caritasdirektor in Maradi, ist Muslim und baut engagiert die Sozialarbeit in einem Gebiet von der zweifachen Größe Deutschlands auf. Überzeugen kann die katholische Kirche auch durch die Bildungsarbeit in ihren Schulen, in die die Muslime gerne ihre Kinder schicken. Deren Direktor betet ebenfalls zu Allah.