Kaum Chancen auf ein normales Leben
Kommunen können es nicht mehr länger ignorieren: Menschen ohne Papiere und deren besondere Lebenssituation gehören mittlerweile zur städtischen Realität. Denn gerade im kommunalen Bereich werden Probleme sichtbar, die sich aus ungeregelten Arbeitsverhältnissen, aus dem fehlenden Zugang zur Gesundheitsversorgung oder zum Bildungssystem ergeben. Infolgedessen werden solche Probleme immer mehr von (kirchlichen) Verbänden und Vereinen vor Ort problematisiert. Unter anderem deshalb wurden in den vergangenen Jahren einige Studien zur Lebenssituation solcher irregulärer Migrant(inn)en in städtischen Ballungsräumen (wie in Berlin, München, Leipzig oder Frankfurt) durchgeführt. So wurde auch in Köln im Jahr 2006 eine solche Studie unter finanzieller Beteiligung der Stadt Köln sowie der Caritas in Auftrag gegeben und Anfang 2008 vorgestellt.1
Wer zu lange hier lebt, kann in die Illegalität geraten
Die Mehrzahl der in Köln lebenden Menschen ohne Papiere reist zunächst legal nach Deutschland ein.2 Durch das Überschreiten der maximalen Aufenthaltsdauer wachsen diese Menschen in die Irregularität hinein. Der Gruppe der irregulären Migrant(inn)en gehören dabei nicht nur Arbeitsmigrant(inn)en, Flüchtlinge, abgelehnte Asylbewerber(innen), Studierende oder Au-pairs an, sondern auch ältere Menschen, die über keine reguläre rechtliche Aufenthaltsmöglichkeit verfügen, aber bei ihren in Köln ansässigen Familienangehörigen leben möchten. Auch Kinder, die von ihren irregulär in Köln lebenden Eltern nachgeholt oder in die Irregularität hineingeboren wurden, gehören dieser Gruppe an.
Dass sich diese Menschen entscheiden, ihr Land zu verlassen, liegt zum einen an der Perspektivlosigkeit auf den Arbeitsmärkten der Herkunftsländer. Ein anderer Grund ist die konstante Nachfrage in bestimmten Regionen der Welt nach Arbeitskräften, die ihre Leistungen unter Umgehung geltender sozialrechtlicher Standards und ohne Steuerzahlung anbieten müssen und damit für Arbeitgeber kostengünstiger sind. Den letzten Anstoß zur Migration geben dann insbesondere vorhandene Netzwerke (wie Familie oder Freunde) im potenziellen Aufnahmeland, die ein Gelingen der Migration wahrscheinlich werden lassen.
Auf dem Arbeitsmarkt sind irreguläre Migrant(inn)en insbesondere im Bereich der ortsgebundenen Tätigkeiten zu finden (also Arbeit, die von den Firmen nicht an andere Orte ausgelagert werden kann). Gerade diese Menschen können hier durch die skizzierten Vorteile in Konkurrenz zu regulären Arbeitskräften treten. So arbeiten sie auch in Köln vor allem im Dienstleistungssektor, hauptsächlich in Privathaushalten und im Gaststättengewerbe. Die Arbeitsbedingungen in Gaststätten sind meist schlecht: unregelmäßige Arbeitszeiten, niedrige Löhne (zwischen drei und sechs Euro/Stunde) und fehlende Lohnauszahlungen. Ähnliches gilt auch für den Bausektor, in dem aber, bedingt durch vermehrte Kontrollen in den vergangenen Jahren, offenbar immer weniger irreguläre Migrant(inn)en Arbeit suchen. In Privathaushalten jedoch trifft eine stetig steigende Nachfrage nach zuverlässigen und preiswerten Arbeitskräften auf ein relativ breites Angebot an zumeist irregulären Dienstleistern. Diese finden dort nicht nur relativ gute Arbeitsbedingungen (acht bis zwölf Euro/Stunde) vor, sondern sie können ihre Tätigkeiten auch in einem eher geschützten Bereich mit einem verhältnismäßig geringen Entdeckungsrisiko ausführen. Die Arbeitsmöglichkeiten reichen von Putzjobs in Privathaushalten und gewerblich genutzten Gebäuden und Mietshäusern über Kinderbetreuung und Pflegedienste bis hin zu handwerklichen Arbeiten (vor allem Männer). Die Arbeitszeit beläuft sich dabei überwiegend auf nur einige Stunden pro Woche, so dass viele dieser Menschen über mehrere - bis zu neun oder zehn - Jobs verfügen, die sie wöchentlich beziehungsweise vierzehntäglich ausüben.
Irreguläre Migranten sind erpressbar
Für irreguläre Migrant(inn)en besteht stets die Gefahr, ihren fehlenden Aufenthaltsstatus beim Anmieten einer Wohnung offenlegen zu müssen. Sie werden dadurch für den Vermieter erpressbar und zahlen oftmals vergleichsweise hohe Mieten. Nur in Ausnahmefällen ist es ihnen möglich, reguläre Mietverhältnisse einzugehen. Meistens mieten sie als Untermieter einen Schlafplatz oder sie teilen sich mit weiteren irregulären Migrant(inn)en eine Wohnung. In Ein- bis Dreizimmerwohnungen werden die Räume nachts mit Matratzen und Teppichen ausgelegt. Kleine Küchenzeilen mit oft nur ein bis zwei Herdplatten machen es den Betroffenen schwer, ausgewogene Mahlzeiten zuzubereiten. Ständig wechselnde Mitbewohner(innen) und wenig bis gar keine Privatsphäre führen dazu, dass diese Wohnsituationen für alle Beteiligten psychisch sehr belastend sind.
In Köln gibt es jedoch auch einige zumeist gleichgeschlechtliche Arbeitsmigrant(inn)enwohngemeinschaften, in denen sich bis zu sechs Frauen beziehungsweise Männer zusammenschließen und in Zwei- bis Dreizimmerwohnungen relativ stabil und sicher mit einem verhältnismäßig normalen Arbeits- und Lebensalltag wohnen. Auch scheinen einige Familien in kleinen Mietwohnungen ein vergleichsweise normales Familienleben zu führen und ihren Kindern einen einigermaßen geregelten Familienalltag ermöglichen zu können, indem sie höhere Mieten in Kauf nehmen. Voraussetzung dafür ist jedoch eine relativ lange Aufenthaltsdauer in Köln, während der Erfahrungen auf dem Wohnungsmarkt und notwendige finanzielle Ressourcen angesammelt wurden.
Nur sehr wenige irreguläre Migrant(inn)en besitzen eine behördlich verfügbare Wohnadresse. Auf Wohnungsklingeln oder Briefkästen ist entweder kein oder nur der Name des Hauptmieters zu finden. Damit kann zwar einerseits eine gewisse Anonymität gesichert werden. Adressierbar für beispielsweise Ärzt(inn)e(n) oder Schulen sind die irregulären Migrant(inn)en in dieser Form jedoch nicht, was zu großen Problemen bei der Gesundheitsversorgung oder der Schulanmeldung von Kindern führen kann.
Ärztliche Behandlung: anonym und kostenlos
Der Zugang zur Gesundheitsversorgung gestaltet sich für irreguläre Migrant(inn)en zumeist schwierig. Zwar haben sie rechtlich die Möglichkeit, medizinische Versorgung in Anspruch zu nehmen. Sie befürchten dabei jedoch, dass aufgrund der nicht vorhandenen Krankenversicherung ihr fehlender Aufenthaltsstatus vom Personal der Arztpraxis oder des Krankenhauses registriert wird und unerwünschte Folgen haben könnte. So suchen irreguläre Migrant(inn)en nur in Notfällen ärztliche Praxen auf, versuchen diese ansonsten zu meiden und sich über eigene Netzwerke selbst mit Medikamenten zu versorgen.
Einige ambulante ärztliche Versorger in Köln versuchen, den irregulären Migrant(inn)en den Zugang zu medizinischen Leistungen über anonyme und kostenlose Behandlung zu erleichtern. Sie bieten derzeit für ein relativ breites Krankheitsspektrum ihre Hilfe an. So hat die "Malteser Migranten Medizin" im Jahr 2006 in einer wöchentlichen ärztlichen Sprechstunde etwa 260 Patient(inn)en betreut - mit steigender Tendenz. Durch die Anbindung an ein lokales Krankenhaus können auch einige schwierige beziehungsweise teure Untersuchungen mit aufwendigen technischen Geräten gemacht werden, so dass eine verhältnismäßig gute medizinische Versorgung gewährleistet ist.
Die "Beratungsstelle zu sexuell übertragbaren Krankheiten einschließlich Aids" des Gesundheitsamtes ist die zweite große Anlaufstelle in Köln und stellt vor allem die gynäkologische Versorgung irregulär hier lebender Frauen im Rahmen ihrer Mittel weitgehend sicher. Auch hier wird mehrmals wöchentlich kostenlose und anonyme medizinische Hilfe geleistet. Diese beiden besonders niedrigschwelligen Angebote, von denen die Betroffenen insbesondere über das breite Netz an Beratungsorganisationen erfahren, werden als verlässlich und, trotz teilweiser institutioneller Anbindungen an kommunale Einrichtungen, als vertrauenswürdig und sicher wahrgenommen. Immer mehr Patient(inn)en suchen regelmäßig diese Einrichtungen auf.
Allerdings können diese scheinbar guten Angebote nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Mehrheit der irregulären Migrant(inn)en sich keine professionelle medizinische Hilfe sucht. Speziell Notfälle und stationäre Behandlungen können weder die Malteser noch die Sprechstunde des Gesundheitsamtes auffangen. So stellen vor allem Schwangerschaft und Geburt die Betroffenen oftmals vor große Schwierigkeiten. Ein in Köln zur Finanzierung stationärer Krankenhausaufenthalte geschaffener Fonds ermöglicht zwar einigen irregulären Migrant(inn)en stationäre Behandlungen, ist jedoch keinesfalls kosten- beziehungsweise bedarfsdeckend.
Schulpflicht der Kinder macht den Eltern Probleme
Doch nicht nur die Gesundheitsversorgung, auch der Schulbesuch stellt vor allem Eltern immer wieder vor große Probleme. So sind irregulär hier lebende Kinder in Nordrhein-Westfalen zwar schulpflichtig. Doch durch die immer noch geltende Meldepflicht öffentlicher Einrichtungen nach § 87 Aufenthaltsgesetz besteht eine große Hürde für Schulleitungen, diese Kinder aufzunehmen, so dass auch in Köln der Schulbesuch solcher Kinder nicht selbstverständlich ist.3 Daneben ist die in vielen Schulen notwendige Meldebescheinigung, die viele Eltern in der Irregularität aufgrund der oben schon angesprochenen fehlenden Wohnadresse nicht vorweisen können, sicherlich auch ein Grund, warum der Versuch, Kinder in einer Schule anzumelden, oftmals scheitert.
So sind es vorwiegend Beratungseinrichtungen, die beim Kontakt mit Schulen und Kindergärten unterstützen und vermitteln. Unter großem Zeit- und Arbeitsaufwand nehmen sie Kontakt zu Schul- oder Kindergartenleitungen auf und versuchen, die Kinder unterzubringen. So gehen in Köln einige, sicherlich jedoch nicht alle Kinder aus irregulären Familien in die Schule. Weniger Kinder besuchen einen Kindergarten. Hier ist der Zugang über den hohen administrativen Aufwand zusätzlich erschwert. Die Schule oder der Kindergarten sind zumeist nicht die geografisch nächstgelegenen, so dass Eltern weite Anfahrtswege und zusätzliche Transportkosten in Kauf nehmen müssen. Ein Schul- oder Kindergartenbesuch ermöglicht nicht nur den Kindern einen relativ normalen Alltag, sondern bedeutet auch für ihre Eltern eine enorme Erleichterung und erlaubt ihnen gegebenenfalls, zusätzliche Arbeitsstellen anzunehmen.
Betrachtet man die Arbeits-, Wohn- und Gesundheitssituation sowie den Zugang zu Bildungseinrichtungen, wird deutlich, dass die Irregularität zahllose Folgen für die Betroffenen hat, die insbesondere in kommunalen Zusammenhängen zum Thema werden. So wurde aufgrund der Ergebnisse der Studie in Köln ein Austausch- und Diskussionsprozess zwischen kommunalen Behörden, kirchlichen Verbänden und lokalen Beratungsorganisationen angestoßen, bei dem abzuwarten bleibt, ob und in welchem Rahmen gemeinsame Schritte zur Verbesserung der Lebenssituation irregulärer Migrant(inn)en verwirklicht werden können.
Anmerkungen
1. Siehe hierzu: Bommes, Michael; Wilmes, Maren: Menschen ohne Papiere in Köln. Osnabrück/Köln, 2007. Für die Studie wurden qualitative Interviews mit Vertreter(inne)n von Beratungsorganisationen und kommunalen Behörden sowie mit 15 irregulären Migrant(inn)en aus Südamerika, Afrika und Osteuropa geführt.
2. Schätzungen gehen von etwa 20.000 bis 30.000 in der Illegalität lebenden Menschen in Köln aus.
3. Hier ist abzuwarten, inwieweit die große Koalition doch noch gewillt ist, an Aussagen einiger Bundestagsabgeordneter anzuknüpfen und zumindest die Meldepflicht für Einrichtungen des Bildungssystems abzuschaffen.