Multiple Hemmnisse erfordern differenzierte Hilfen
Aus Gesprächen und Diskussionen mit Mitarbeiter(inne)n der Wohnungslosenhilfe hatten sich schon seit längerem Hinweise darauf ergeben, dass die Instrumente zur Eingliederung in Arbeit nach § 16 SGB II bei den Klient(inn)en der Wohnungslosenhilfe - einer der Zielgruppen dieses Paragrafen - nicht oder nur ungenügend zur Wirkung kommen. Um diese Problemanzeige mit Zahlen zu unterlegen, befragte die Katholische Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (KAGW) im März 2008 ihre Mitglieder beziehungsweise Einrichtungen: Nutzen die Einrichtungen die verschiedenen Instrumente des § 16 SGB II - und wenn ja, wie schätzen sie den Erfolg der Maßnahmen für die Klient(inn)en und die Eingliederung in den Arbeitsmarkt ein? Die 47 Einrichtungen und Träger, die den Fragebogen zurücksandten (im Folgenden: "die Befragten"), halten insgesamt 58 verschiedene Angebote gemäß § 16 SGB II vor, davon 28 ambulant, 18 stationär und sieben teilstationär. Diese Angebote verteilten sich - neben einem Schwerpunkt beim § 16 Abs. 3 SGB II (zum Beispiel Arbeitsgelegenheiten) - relativ gleichmäßig über die gesetzlich vorgegebenen Möglichkeiten (s. Abb. 1).
40 Rückmeldungen enthielten die Angabe, dass die Klient(inn)en der betreffenden Einrichtungen und Träger Zugang zu den arbeitsmarktpolitischen Instrumenten haben. Sieben Rückmeldungen - alle von stationären Einrichtungen - verneinten dies.
Wenig Integrationserfolg
Bei 87,5 Prozent der Praxiseinsätze von Instrumenten nach §§ 16 und 16a SGB II geben die Einrichtungen an, diese Instrumente brächten ihren Klient(inn)en wenig oder keine Förderung hinsichtlich der tatsächlichen Integration in den Arbeitsmarkt (s. Abb. 2). Damit wird das diesbezüglich vom SGB II benannte Ziel verfehlt.
Fragen nach dem Grund liegen auf der Hand: Sind die Klient(inn)en nicht mehr in der Lage, Fähigkeiten, die auf dem Arbeitsmarkt verlangt werden, vorzuhalten? Oder gehen die angebotenen Maßnahmen an der Realität des Arbeitsmarkts vorbei?
Antworten auf beide Fragen haben Klient(inn)en und Einrichtungen in vielen Gesprächen gegeben, so auch auf der Fachwoche Wohnungslosenhilfe des DCV im April dieses Jahres in Augsburg:
- Die überwiegende Zahl der Hilfesuchenden verfügt über keine ausreichende schulische und berufliche Qualifikation. In der Vergangenheit erworbene Kompetenzen sind wieder verloren gegangen oder heute nicht mehr marktverwertbar. Oft leben die Klient(inn)en mit über lange Zeit erworbenen multiplen psychosozialen Problemlagen, die in vielen Fällen zu erheblichen Leistungseinschränkungen führen, deren Aufarbeitung durch Fachleute der Wohnungslosenhilfe nur mit erheblichem Aufwand möglich ist.
- Viele dieser Menschen haben in der Vergangenheit bereits mehrfach Maßnahmen zur persönlichen und beruflichen Qualifizierung ohne Erfolg durchlaufen. Die meisten Abbrüche kamen zustande, da Schlüsselqualifikationen wie Durchhaltevermögen, Zuverlässigkeit und Ausdauer nur rudimentär vorhanden gewesen sind. Selbst die Teilnahme an niedrigschwelligen Programmen zur Beschäftigungsförderung wird dieser Personengruppe wegen ihrer extremen Arbeitsmarktferne häufig nicht gerecht.
- Aktuell bietet der Arbeitsmarkt nicht genügend Beschäftigung für Geringqualifizierte. Regional gibt es zwar Unterschiede. Doch insbesondere strukturschwache Regionen bieten außer den Großeinrichtungen der Wohnungslosenhilfe keine nennenswerten Beschäftigungspotenziale.
Befähigung gelingt
Geht es um die Förderung der individuellen Fähigkeit, Arbeit aufzunehmen, fällt die Einschätzung zum Erfolg der Maßnahmen deutlich positiver aus (s. Abb. 2): Für 75,4 Prozent der Praxiseinsätze von Instrumenten nach §§ 16 und 16a SGB II gaben die Befragten an, dass individuellen Fähigkeiten ihrer Klienten gesteigert wurden (ja/eher ja). Somit wird dieses Ziel des SGB II, aber auch des SGB XII und der Konzepte der Wohnungslosenhilfe erreicht - vorrangig durch die Koppelung der Hilfen nach SGB II und SGB XII. Gemessen wird die Zielerreichung anhand der Fortschritte bei der Herstellung der Beschäftigungsfähigkeit unter gleichzeitiger Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten. Dabei geht es unter anderem auch um die Verbesserung der Selbstwahrnehmung, des Durchhaltevermögens, der Zuverlässigkeit und der Ausdauer.
Ganzheitliche Betrachtung der besonderen Lebenslage
Beschäftigungsfähigkeit kann dabei nicht mit Erwerbsfähigkeit gleichgesetzt werden. Viele Klient(inn)en der Wohnungslosenhilfe sind erwerbsfähig im Sinne des SGB II und haben zugleich besondere soziale Schwierigkeiten im Sinne der §§ 67-69 SGB XII. Dadurch ist eine Doppelzuständigkeit der Träger des ALG II und der Sozialhilfe gegeben. Beide Hilfesysteme sind im Bereich der Hilfe in besonderen Lebenslagen komplementär.
Auch wenn es einen prinzipiellen Nachrang der Sozialhilfe gibt, so ist an dieser Stelle nach dem Sinn zu fragen: Viele Klient(inn)en haben besondere soziale Schwierigkeiten. Diese spezifischen Schwierigkeiten liegen nach der Durchführungsverordnung zu den §§ 67 ff. SGB XII dann vor, wenn außergewöhnliche und besondere Lebensverhältnisse1 so mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind, dass sie sich gegenseitig bedingen und nur zusammen angegangen werden können. Die betroffenen Menschen benötigen zusätzlich zu den Hilfen des SGB II auch Hilfen nach den §§ 67-69 SGB XII. Diese von der Wohnungslosenhilfe erbrachten Leistungen sind "Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten".
Erst in der Gesamtbetrachtung werden der Umfang besonderer sozialer Schwierigkeiten und der weitergehende Ansatz der Wohnungslosenhilfe deutlich. Dagegen zielt die Hilfe allein nach SGB II nur auf die Behebung eines Problems: der Ausgrenzung vom Arbeitsmarkt. Auf weitergehende, umfassendere Herausforderungen sind die Maßnahmen des SGB II nicht ausgerichtet.
Die Wohnungslosenhilfe aber muss - neben der Integration in den Arbeitsmarkt - kontinuierlich in dem Bemühen fortfahren, die weiteren Problembereiche und außergewöhnlichen Lebensverhältnisse aufzulösen und die Klient(inn)en zu stabilisieren. Dies dient nicht nur, aber auch der Integration in den Arbeitsmarkt.
Die Wohnungslosenhilfe als erprobter Fachdienst rückt damit verstärkt in die Funktion eines Lotsen zwischen den verschiedenen Systemen der Existenzsicherung. Deshalb ist es sinnvoll, die Dienste und Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe bei der Erstellung der Eingliederungsvereinbarung und bei der konkreten Gesamtplanung der Hilfen einzubeziehen.
Hilfen intelligent für den Einzelnen kombinieren
Durch eine Zusammenführung und Mischfinanzierung der Hilfen - sowohl nach § 16 SGB II als auch nach § 5 der Durchführungsverordnung zu den §§ 67 ff. SGB XII mit speziellen Arbeitsangeboten - lassen sich geeignete Lösungen schaffen: Sie dienen zugleich der Eingliederung in Arbeit wie auch der Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten. Bei Maßnahmen nach § 16 SGB II ist in aller Regel ein besonderer Zusatzaufwand für eine qualifizierte Begleitung anzusetzen, um einen Erfolg zu sichern.
Menschen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten benötigen dementsprechend besondere Hilfen. Diese müssen differenziert, das heißt an den persönlichen Ressourcen der Maßnahmeteilnehmer(innen) orientiert sein. Benötigt wird dafür das breite Spektrum der im SGB II und SGB XII vorhandenen Instrumente: Sie müssen sinnvoll und intelligent kombiniert werden.
Jobperspektive braucht mehr Freiraum
Die zurzeit angebotenen Hilfen greifen häufig nicht, da der Förderzeitraum zu kurz ist. Mit der Entwicklung der Jobperspektive hat der Gesetzgeber eine langjährige Forderung der Wohnungslosenhilfe umgesetzt - allerdings nur in Teilen.
Inhalt der Forderung war die Entfristung von Beschäftigungshilfemaßnahmen, um den sogenannten Drehtüreffekt zu vermeiden. Beabsichtigt war, die Hilfen an den individuellen Problemlagen auszurichten und diese in Gesamthilfeplanverfahren aufzunehmen und zu bearbeiten.
Personen mit besonderen Vermittlungshemmnissen können Leistungen zur Beschäftigungsförderung nach § 16a beziehungsweise zukünftig §16e SGB II erhalten. Die Erfahrungen der Einrichtungen und Dienste zeigen hier aber, dass die Begrenzung des Beschäftigungszuschusses auf maximal 75 Prozent des berücksichtigungsfähigen Arbeitsentgelts nicht ausreicht, um für Personen mit besonders schweren Vermittlungshemmnissen Beschäftigung zu schaffen. Erforderlich ist eine flexible Anpassung der Höhe des Beschäftigungszuschusses an die spezifische Leistungsfähigkeit der geförderten Person.
Daher unterstützt die KAGW die Forderung des Deutschen Caritasverbandes, dass die Gesetze Handlungsspielräume eröffnen müssen, um den individuellen Bedarfen gerecht zu werden. Zum Erreichen besserer Integrationserfolge muss die Möglichkeit bestehen, die Instrumente der Eingliederung in Arbeit mit den sozialpädagogischen Hilfen zu kombinieren und so eine individuelle, passgenaue Förderung zu ermöglichen. Nur so lässt sich verhindern, dass die Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten langfristig vom Arbeitsmarkt und von sozialer Teilhabe abgekoppelt werden.
Anmerkung
1. Außergewöhnliche und besondere Lebensverhältnisse zeigen sich insbesondere in der fehlenden oder nicht ausreichenden Wohnung, gewaltgeprägten Lebensverhältnissen, einer ungesicherten wirtschaftlichen Lebensgrundlage oder der Entlassung aus einer geschlossenen Einrichtung. Die damit verbundenen sozialen Schwierigkeiten sind Ausgrenzungen vom Gemeinschaftsleben in Gestalt des Wohnungs- und des Arbeitsmarktes, familiärer und anderer tragfähiger Kontakte; Ausgrenzungen auch durch Straffälligkeit, Sucht oder psychische Probleme.