Ein Verband stellt sich auf den Prüfstand
Als einer der großen Wohlfahrtsverbände in Nordrhein-Westfalen bietet der Caritasverband für die Diözese Münster (DiCV Münster) Dienstleistungen für seine Mitglieder - eine heterogene Kundschaft, die ihrerseits ein umfangreiches und äußerst vielfältiges Spektrum sozialer Arbeit abdeckt: Etwa 230 Rechtsträger mit rund 2000 Einrichtungen und Diensten der Caritas vor Ort werden vom DiCV Münster mit seinen rund 140 Mitarbeiter(inne)n beraten und vertreten. Seine schwerpunktmäßigen Aufgaben als Spitzenverband sind:
- Interessenvertretung für die Mitglieder in allen sozialpolitischen Arbeitsfeldern, Beeinflussung der Rahmenbedingungen, Unterstützung der Mitglieder bei der Einstellung auf sich verändernde Arbeitsbedingungen;
- Unterstützung und Beratung bezüglich der Strukturentwicklung der Verbände und Einrichtungen;
- Unterstützung und Beratung der Träger hinsichtlich der finanziellen Rahmenbedingungen ihrer Dienste und Einrichtungen;
- Fortbildung und Beratung zur Stärkung der Fachlichkeit unter caritasspezifischer Ausrichtung des Angebots.
Ein enormer Kostendruck bei wachsender Komplexität, der verschärfte innerverbandliche Wettbewerb zwischen den Einrichtungen, die wachsenden Ansprüche des Gesetzgebers, der Finanzierungsträger, Medizinischen Dienste, Heimaufsichten etc. erfordern vom Spitzenverband ein vielfältiges, kompetentes und flexibles Beratungsangebot für die Träger.
Ebenso wie seine Mitglieder war der DiCV Münster in den vergangenen Jahren zu weitreichenden Strukturveränderungen gezwungen. Drastische Kürzungen bei den Finanzierungsmitteln, denen keine Mehreinnahmen entgegengesetzt werden können, erforderten Reorganisationsmaßnahmen, die sich auch auf das Leistungsangebot bezogen. So war nicht zuletzt die Fachberatung von dem erzwungenen Personalabbau betroffen. Langfristige Einzelberatungen können deshalb nur noch gegen Bezahlung geleistet werden.
Wenn die finanziellen Spielräume enger werden, gleichzeitig aber die Ausgaben zunehmen und eine steigende Bedarfsentwicklung absehbar ist - wie kann der DiCV Münster dann sicher sein, dass er den Erwartungen seiner Kunden noch gerecht zu werden vermag?
Um die eigene Arbeit umfassend auf den Prüfstand zu stellen, hat der DiCV Münster im Mai 2007 gemeinsam mit der xit GmbH forschen.planen.beraten das Projekt "Salsa - Serviceangebote und Leistungsstrukturen analysieren" gestartet. Ziel war es, die Erwartungshaltungen der verschiedenen Kundengruppen zu überprüfen sowie Stärken und Schwächen der Leistungsorganisation aufzudecken, um das Dienstleistungsangebot und die Arbeitsorganisation im Sinne der Kunden zu verbessern.
Befragungen der Mitglieder und der Mitarbeiter
Die Erhebung der Qualität der Serviceangebote und Leistungsstrukturen erfolgte über zwei Ansätze: kundenorientiert und unternehmensorientiert.
Für die kundenorientierte Datenerhebung wurden 600 Trägervertretungen, Leitungen der Sozialen Dienste und Einrichtungen mittels einer sorgfältig gezogenen Stichprobe ausgewählt. Sie wurden schriftlich zu folgenden Themenfeldern befragt: Servicequalität, Interessenvertretung/Verbandspolitik, Öffentlichkeitsarbeit/Information, Fortbildung, Beratungsleistungen allgemein und fachbezogen, Leitbild/ Selbstverständnis, Diözesanarbeitsgemeinschaften und Innovation.
Zusätzlich gab es Telefoninterviews mit wichtigen Kooperationspartnern vonseiten der Politik beziehungsweise der Finanzierungsträger. Hier ging es um die Themenfelder Kooperation, Fachkompetenz, Verbandspolitik, Informationspolitik, Stärken und Schwächen.
Für die unternehmensorientierte Datenerhebung interviewte die xit GmbH die Mitarbeitenden vor Ort anhand teilstandardisierter Leitfäden. In den Einzel- oder Gruppengesprächen wurden folgende Themenfelder erörtert: Aufbauorganisation, interne und externe Kooperation, Prozesse, Verwaltung, Personal, Information/Kommunikation, Ausstattung, Fachkompetenz, Optimierungsmöglichkeiten, Arbeitszufriedenheit, Stärken-Schwächen-Profil.
Verbesserungsbedarfe aus externer und interner Sicht
Die befragten Kunden haben ein hohes Interesse an den Leistungen des DiCV. Sie sehen diese als wichtig an, stufen jedoch die Qualität der Leistungen und Beratungen zu einem guten Teil nur als durchschnittlich gut ein. Diese Ergebnisse sind zum Teil mit erheblichen Streuungen verbunden: Sehr zufriedenen Kunden stehen in anderen Bereichen sehr unzufriedene gegenüber. Besonders interessant ist, dass es aus Kundensicht häufig eine geringere, teilweise aber auch größere Diskrepanz zwischen der Wichtigkeit und der Zufriedenheit beziehungsweise der wahrgenommenen Qualität gibt. Durch "Salsa" konnten somit bereichsspezifische Unzufriedenheiten und Verbesserungspotenziale aufgedeckt werden.
Aus Kundensicht sind die Qualität der Fachberatung und das Fortbildungsprogramm in einigen Bereichen nicht zufriedenstellend - sie seien nicht immer an den Problemthemen der Träger ausgerichtet. Weiterhin bedürfen insbesondere die Bereiche "Kommunikation" und "Informations- und Wissensmanagement" einer stärkeren Aufmerksamkeit.
Diesen beiden Bereichen wurde auch in der Mitarbeiterbefragung ein nennenswerter Handlungsbedarf zugewiesen. Ferner zeigten deutliche Hinweise, dass die Mitarbeiter(innen) mit der Arbeitsorganisation nicht zufrieden sind. Dies wurde vor allem mit einer verbesserungsbedürftigen Kooperation mit anderen Referaten begründet, mit unklaren Zuständigkeiten und zu geringen Personalressourcen. Darüber hinaus gab es Aussagen zur Personal- und Mitarbeiterführung sowie zum Arbeitsklima beim DiCV.
Schlüsselbegriff "Wertschöpfung"
Die Befragungsergebnisse wurden von der DiCV-Leitung als eine Aufforderung zur Verbesserung der Leistungen angenommen. Der Zielsetzung des "Salsa"-Projektes entsprechend, waren nach der Analyse des gegenwärtigen Leistungspotenzials folgende Fragen zu klären: Mit welchen Maßnahmen kann der DiCV die Erwartungen der Kunden besser erfüllen? Was ist zu tun, um die "wertschöpfenden" Aktivitäten - im Sinne eines Mehrwerts für die Kunden - zu verbessern? Welchen Mehrwert kann der DiCV seinen Kunden also bieten?
"Wertschöpfung" hat der DiCV Münster somit zum zentralen Thema für die Gestaltung und Entwicklung seines trägerorientierten Dienstleistungsangebotes erklärt.
Das Konzept der Wertschöpfung unterscheidet drei verschiedene Konfigurationen:
- Wertketten: Darstellung kundenrelevanter Kernprozesse in Prozessketten. So werden wesentliche Faktoren für eine gute Servicequalität - beispielsweise Ressourcen oder Schnittstellen - in den einzelnen Bereichen erfasst und bezüglich bestimmter Problemstellungen bearbeitbar.
- Wertnetze für hybride Dienstleistungen: Der DiCV konzipiert elektronische Plattformen, die von Kunden mitgestaltet werden.
- Wertshops: Zur Lösung einer individuellen Kundenanfrage wird das Thema einer entsprechenden internen oder auch externen Fachperson zugewiesen.
In drei hierarchie- und fachübergreifenden Workshops stellte die xit GmbH die Logik der jeweiligen Wertschöpfungskonfiguration vor. Die von den Kunden angezeigten Problembereiche und Themen wurden dabei den drei Konfigurationen zugeordnet. So konnten bereits erste konkrete Maßnahmen beziehungsweise Lösungsansätze erarbeitet werden.
Die Wertschöpfungskonfigurationen im Einzelnen
Wertketten
Die Aktivitäten eines Unternehmens werden bezüglich ihres jeweiligen Beitrags zur Wertschöpfung in Prozessketten geordnet, die Wertketten. Dabei erfolgt eine Unterscheidung zwischen primären und unterstützenden Aktivitäten.
Im Rahmen einer Wertkettenkonfiguration ist im Idealfall definiert, bei welchen Problemen und Arbeitsschritten wer mit welchen Kompetenzen eingebunden wird. Das führt auch zu gezielterer und schnellerer Informationsweitergabe durch Vermeidung von Nichtinformation, Doppel- oder Fehlinformation oder unklaren Zuständigkeiten. Für die Arbeit eines Verbandes ist dies elementar - schnelle und effektive Informations- und Wissensvermittlung ist eine Kernaufgabe von Verbänden.
Die Umsetzung jeglichen Prozessmanagements sollte allerdings nie zum Selbstzweck werden und zu einem "Prozessexzess" führen, der den Nutzen sowohl für Kunden als auch für das Unternehmen konterkariert. Umsichtiges Prozessmanagement trägt dazu bei, dass eine definierte Strategie umsetzungsfähig wird: Die Aufbauorganisation des Unternehmens wird mit effektiven und effizienten Abläufen in Übereinstimmung gebracht. Dies ist für Non-Profit-Organi- sationen ebenso unerlässlich wie für gewinnorientierte Unternehmen.
Wertshops
Die Konfiguration eines Wertshops ist auf die Wertschöpfung durch Lösung individueller Kundenprobleme ausgerichtet, die durch das Prozessmanagement (s. Wertketten) nicht oder nur unzureichend abgebildet werden können. Denn Aktivitäten in Wertshops verlaufen häufig iterativ (sich wiederholend), zyklisch und interaktiv. Typische Phasen der Problemlösung (s. Abb.) sind:
(a) Problemfindung und Akquisition,
(b) Benennung von Problemlösungsalternativen,
(c) Auswahl der Problemlösungsalternative,
(d) Ausführung der Problemlösung und
(e) Bewertung der Problemlösung.
Der Wettbewerbsvorteil in Wertshops beruht weniger auf Kostenvorteilen als auf der Lösung individueller Probleme. Insofern kommt der Reputation auf Basis der erfahrenen oder vermuteten Kompetenz des Anbieters eine besondere Bedeutung zu.
Die Wertschöpfungskonfiguration durch Wertshops erfordert auch vom DiCV Münster verschiedene Entscheidungen:
- Wie und zu welchen Bedingungen könnte individuelle Beratung im DiCV organisiert und angeboten werden?
- Was sind potenzielle Themen der Mitgliedseinrichtungen des DiCV, die individueller Beratung bedürfen?
- Wie könnten diese Themen bearbeitet werden (Methoden)?
- Welche Kompetenzen sind dazu im DiCV vorhanden und wo ist das Know-how externer Berater notwendig?
Die "Salsa"-Ergebnisse konnten einen gewissen individuellen Beratungs- und Unterstützungsbedarf der Mitglieder in verschiedenen Fachbereichen aufzeigen. Im Rahmen eines Auswertungsworkshops wurden dazu Chancen, Herausforderungen und Methoden von Wertshops herausgearbeitet.
Wertnetze
Bei der Wertschöpfung durch Wertnetze fungiert der Anbieter als Intermediär.
Ein Paradebeispiel für ein Wertnetzwerk ist etwa der Onlinemarktplatz ebay. Dort wird eine Plattform von einem Anbieter bereitgestellt, während die eigentlichen Kaufakte von Kunden untereinander abgewickelt werden. Der Anbieter bietet als primäre Aktivitäten Netzwerkpromotion und gewährleistet die Infrastruktur sowie Netzwerkservices.
Die im Projekt "Salsa" angestoßenen Wertnetzmodelle setzen an solchen Marktplatzlösungen an, gehen jedoch darüber hinaus, indem auch technisch gestütztes Wissensmanagement und Sozialarbeit im Web 2.0 thematisiert wurden.
Verbandseigenen Wissensschatz nutzbar gemacht
- Wissensmanagement
Wissensmanagement bezeichnet den planvollen Umgang mit der Ressource Wissen in Organisationen, mit der Zielsetzung, Effizienz und Qualität des Outputs zu verbessern. Für den DiCV Münster ist Wissensmanagement sowohl für die interne Arbeitsorganisation als auch die "externen Kunden" relevant und somit eine Kernaufgabe.
Die Ergebnisse der Befragungen zeigen, dass sowohl von den Kunden als auch von den Mitarbeiter(inne)n hier Verbesserungen angemahnt werden. Die Probleme kumulieren in der Fragestellung: Wie lässt sich sicherstellen, dass das innerorganisationale Wissen gesichert und allen Mitarbeitenden zur Verfügung gestellt wird, und wie kann dieses Wissen sinnvoll mit Informationen externer Herkunft verknüpft werden? Eine Lösung ist ein mittels Informationstechnologie (IT) gestütztes Wissens- und Informationsmanagement. - Soziale Arbeit im Web 2.0
Bereits mit der Onlineberatung haben sich in verschiedenen Bereichen der Sozialberatung neue Möglichkeiten ergeben. Bisher schwer erreichbare Zielgruppen können durch dieses niederschwellige Angebot einer anonymen Beratung angesprochen werden.1
Die aktuellen Entwicklungen unter dem Stichwort "Web 2.0" zeigen einen Entwicklungsschub in Richtung Partizipation der Nutzer(innen), der Interaktion und Vernetzung. Aus folgenden Gründen sollte sich die soziale Arbeit mit dem Web 2.0 auseinandersetzen:- Für die Heranwachsenden ist die Internetnutzung in allen Lebenslagen zu großen Teilen selbstverständlich.
- Neue Angebotsformen tun sich auf (zum Beispiel "vom Streetworker zum Blogworker"2).
Sie ist ein Beitrag zu offener und schneller Kommunikation zwischen den Anbietern und der Klientel sozialer Arbeit. - Neue Möglichkeiten zum ehrenamtlichen Engagement entstehen.
- Möglicher Nutzen für das eigene Wissensmanagement: Stichworte sind hier die verschiedenen Wiki(pedia)-Quellen, Podcasts (zum Beispiel "CareLounge Podcast - Radio für Gesundheits- und Sozialberufe")3 oder auch Fortbildungsaktivitäten wie sogenannte Webinare4.
- Die partizipativen Elemente des Web 2.0 verringern die Gefahr einer paternalistischen Beratungsweise.
Dienste und Einrichtungen kommen nicht umhin, die Möglichkeiten des Web 2.0 zu erschließen und ihr Angebotsportfolio um diese unweigerlich wichtiger werdende Komponente sozialer Arbeit sinnvoll zu ergänzen. Dabei muss sie der DiCV Münster als Spitzenverband unterstützen und beraten.
- Marktplatzlösungen
Sogenannte Marktplatzlösungen finden ebenfalls ihren Weg in die Sozialwirtschaft, wenn auch mit Verzögerung. Als Beispiele sind spezialisierte Suchmaschinen für Pflegedienste und Pflegeheime sowie Ehrenamts- oder auch Stellenbörsen zu nennen. Das Nutzenpotenzial solcher Plattformen, die Anbieter und Nachfrager zusammenbringen, ist noch längst nicht ausgeschöpft.
Arbeit an den ermittelten kritischen Punkten
Im Rahmen eines Projektcontrollings wurden die einzelnen Ergebnisse der Kunden- und der Mitarbeiterbefragung in einer zentralen To-do-Liste erfasst. Diese weist aus, wer jeweils die Bearbeitung der einzelnen Themen verantwortet, wie weit die jeweilige Bearbeitung ist und mit welchem Resultat das Problem beziehungsweise Thema abgeschlossen werden konnte. Somit ist für Transparenz gesorgt und eine Ergebniskontrolle möglich.
Unmittelbare Knackpunkte wurden bereits erledigt, andere übergeordnete Themen werden von der DiCV-Geschäftsführung beziehungsweise auf allen Leitungsebenen behandelt.
Ausgewählte Themen werden unter Beachtung des Konzepts der Wertschöpfungskonfigurationen in Projekten bearbeitet, um zu kritischen Feldern aus der Kundenbefragung Veränderungsvorschläge zu erarbeiten. So erteilte die Geschäftsführung unter anderem Arbeitsaufträge zu den Themen: "Verbesserung der Zusammenarbeit von Fachberatung und Fortbildung" (Wertkette), "Newsletter - zentrales Rundschreiben" (Wertkette), "IT-Plattform für die Mitarbeiter" (Wertnetz) oder "Christliches Profil in der Beratung" (Wertshop). Die Ergebnisse dieser Projekte werden im Herbst vorgestellt.
Insgesamt betrachtet, hat sich die Orientierung am Konzept der Wertschöpfungskonfigurationen mit seiner Unterscheidung von Wertketten, Wertshops und Wertnetzen als sehr fruchtbar erwiesen, um die Arbeit eines Wohlfahrtsverbandes auf den Prüfstand zu stellen.
Anmerkungen
1. Stand Februar 2008: Suchtberatung (sieben Angebote), Kurberatung (25 Angebote), Schwangerschaftsberatung (sieben Angebote), Eltern- und Jugendberatung (18 Angebote), generationenübergreifende Freiwilligendienste (ein Angebot in bundesweiter Koordination des Deutschen Caritasverbandes). Vgl. auch das Titelthema des Heftes neue caritas 10/2008.
2. Blogs sind tagebuchähnliche Texte, die fortlaufend im Internet veröffentlicht werden und oft auch soziale Themen reflektieren.
3. www.podcast.de, Suchbegriff "Care". Podcasts sind online übertragene Audio- oder Videobeiträge.
4. Webinare sind interaktive Web-Seminare, oft unter Nutzung einer Telefonkonferenzschaltung.