Tacheles statt Stumpfsinn
Am Anfang steht die Provokation: "Als ich vor ein paar Jahren meinen Job im Ensemble des Oberhausener Theaters verloren habe, hat kein Hahn danach gekräht. Wir müssen sparen, hieß es. Heute ist auf einmal wieder Geld da, für alles Mögliche, auch für Kunst und für sogenannte Künstler. Nur Migrationshintergrund müssen sie haben."
So beginnt das Selbstgespräch der Schauspielerin Karin Kettling, das dann in ausländerfeindlichen und rassistischen Sprüchen gipfelt, bis… ja, bis endlich ihr Kollege, Jürgen Albrecht, ebenfalls Schauspieler, den geradezu körperlich schmerzenden Monolog beendet und in die betretene Stimmung in die Runde fragt: "Na wie hat sich das angefühlt?" Schauplatz des Geschehens war jüngst die Kneipe "Rosi" in der Gelsenkirchener Innenstadt.
Gegenstrategien
Das Schauspielerduo "Zuvielcourage" zeigte den etwa 50 Gästen des Abends einige Strategien, um auf Situationen wie diese zu reagieren: stören, auf dem Handy möglichst laut den Lieblingssong abspielen, dazwischen rufen. Der Abend mit seinen zwei szenischen Darstellungen bot noch einiges an provozierenden Momenten, und das war auch Absicht.
Denn die Kulisse im "Rosi" bildete den Auftakt einer Kneipentour für Toleranz durch fünf Ruhrgebietskneipen (neben Gelsenkirchen noch in Bochum, Essen, Gladbeck und Schwelm) und Teil des Caritas-Projektes "Sach wat! Tacheles für Toleranz." Die beiden Schauspieler entlarvten im gespielten Streitgespräch Argumentations- und Verhaltensmuster und zeigten Gegenstrategien auf, etwa zu fragen: "Hast Du das schon mal erlebt?" oder "Wie kommst Du darauf, dass alle so sind?" Alle Kneipenabende waren öffentlich und gut besucht. Aus Sicherheitsgründen mussten sich alle Gäste vorab registrieren.
Albrecht und Kettling empfehlen in solchen Situationen Verbündete zu suchen, die Gesprächsführung zu übernehmen oder positive Gegenbeispiele zu bringen. Am Ende des Abends kam das Duo mit den Kneipengästen ins Gespräch, fragte nach persönlichen Erfahrungen mit Rassismus und Ausländerfeindlichkeit und entwickelte mit den Gästen Gegenstrategien.
Mut machen, für Toleranz und Menschlichkeit im Alltag
"Viele von uns sind nicht geübt im Umgang mit rassistischen und ausländerfeindlichen Sprüchen. Wir schweigen dann und ärgern uns später, nicht reagiert zu haben. `Sach wat! Tacheles für Toleranz´ will genau das verhindern. Wir wollen Menschen für Vorurteile sensibilisieren und sie schulen, sachlich, rhetorisch geschickt und entschieden darauf zu reagieren. Und wir wollen Mut machen, für Toleranz und Menschlichkeit im Alltag einzutreten", erklärt Dara Franjic, Referentin für Migration und Flüchtlinge bei der Caritas im Ruhrbistum, die das Projekt mitentwickelt hat. Kneipengast Uwe Pöschke (49) fand vor allem interessant zu sehen, wie viele Reaktionsmöglichkeiten es gibt. "Das könnte mir in der nächsten Situation helfen, schlagkräftiger zu reagieren."
Das Projekt ist jetzt fürs Erste beendet. An einem Nachfolgeprogramm wird aber bereits gearbeitet. (Christoph Grätz)