"Ich möchte meinem Sohn etwas Besseres bieten"
"Hier gibt es keine Sicherheit, man lebt von heute auf morgen", sagt Jasminka Bajrić. Die 53-Jährige wird ihre Heimat Bosnien daher ein zweites Mal verlassen. Schon Mitte der 1970er Jahre war sie mit ihren Eltern nach Deutschland gekommen, wurde hier zur Krankenschwester ausgebildet und arbeitete als OP-Schwester an der Uniklinik Köln. Irgendwann kehrte sie aus Heimweh allein zurück nach Sarajevo.
Dass Jasminka Bajrić nun erneut nach Deutschland geht, ist eher der Not zu Hause geschuldet: "Ich habe keine Alternative", sagt sie. 500 Euro verdient sie zurzeit im Monat als Krankenschwester in einer Gemeinschaftspraxis. Wenn sie in vier Jahren in Rente gehen muss, wird sie nur 200 Euro bekommen, "das reicht dann hinten und vorne nicht."
Während der Arbeitsmarkt für Pflegepersonal in Bosnien prekär ist – die Stellen unsicher und die Bezahlung schlecht –, ist ihre Arbeit in Deutschland gefragt. Über ein Anwerbeprogramm der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) hat sich die 53-Jährige auf eine Stelle bei der Caritas München beworben.
Geht der Plan auf?
Im Februar 2014 beginnt Jasminka im Caritas-Altenheim St. Martin in Rosenheim zu arbeiten. Vier Wochen später lässt sie sich nach Dienstschluss müde auf ihr Bett fallen. "Nach so einem anstrengenden Tag bräuchte ich eigentlich meine Familie um mich", sagt sie. So viele neue Namen, so viele neue Gesichter und Informationen, die in der ersten Zeit auf sie einstürmten. Jemand sagt ihr, hol mal etwas aus dem Badezimmer. Aber wo war nochmal das Badezimmer? Und welches? Und dann die ungewohnten Tätigkeiten: Die Bewohner müssen gewaschen werden und gekämmt, das Essen muss individuell zubereitet werden. Alles Dinge, für die in Bosnien die Familienangehörigen zuständig sind. Und Jasminka will alles gut machen. Oft sitzt sie abends auf ihrem Zimmer und geht ihre Aufzeichnungen durch: Habe ich alles richtig gemacht, nichts vergessen? Muss ich nochmal runter?
Doch bald werden auch für Jasminka die meisten Dinge zur Routine. Im nächsten Monat, erzählt sie, soll sie schon zwei Schichten alleine mit den Pflegehelferinnen machen. "Ob ich das schaffe? Wahrscheinlich", sagt Jasminka. Dass ihr das zugetraut wird, macht ihr Mut.
Jeden Abend alleine im Zimmer gerät Jasminka jedoch ins Grübeln: Was soll ich machen? Was ist gut? Was ist schlecht? Hier Geld verdienen, um es jeden Monat nach Hause zu schicken und dann wochenlang ohne die Familie zu sein? Dann denkt sie an ihre Familie, denkt an ihren Sohn. "Wenn ich drei freie Tage am Stück hab, das macht mich kaputt", sagt Jasminka. Zu kurz, um sich in den Bus nach Sarajevo zu setzen. Viel zu lang, um die freie Zeit genießen zu können.
Dann ist es Ende April. Jasminka packt ihre Sachen – eigentlich für den geplanten Kurzurlaub in Sarajevo. Sie denkt noch einmal an die zurückliegende Zeit und was ihr dadurch alles klar geworden ist: Dass sie keine 30 mehr ist, wie damals, als sie ohne ihre Eltern nach Jugoslawien zurück gegangen war und einen Neuanfang gewagt hatte. Darüber, dass das Leben für sie ohne Familie keinen Sinn ergibt.
Aus dem Kurzurlaub wird eine Rückkehr. Sie gesteht sich ein, dass ihr Plan nicht aufgegangen war.
Wir haben Jasminka Bajrić und Arnela Memic auf ihrem Weg als Pflegemigrantinnen begleitet. In je zwei Videoporträts erzählen sie, wie es ihnen vor der Abreise und in den ersten Wochen in Deutschland erging.