Erst die klassische Drogenkarriere, dann der Ausstieg
Herr Kirschner, Sie erinnern sich noch genau an den Tag, an dem Sie aus Ihrer Wohnung mussten. Davor hatte Ihr Dealer Sie bedroht und eine Freundin Ihnen alles geklaut. Außerdem hatten Sie Schulden. Wie waren sie da hineingeraten?
Es war, wenn man so will, die ganz klassische Drogenkarriere. Mit Zigaretten und einem ersten Rausch mit zwölf Jahren hat es angefangen. Da mein Vater Alkoholiker war, und ich auf keinen Fall werden wollte wie er, habe ich schnell zu anderen Drogen gegriffen. Erst Haschisch, dann habe ich mir gelegentlich eine Pille eingeworfen. Später Speed. Einmal bin ich nach dem Verzehr einer ganzen Engelstrompete in der geschlossenen Psychiatrie aufgewacht. Irgendwann kam dann Crystal, und das war das Ende.
Warum?
Crystal macht extrem abhängig. Vor allem psychisch. Du weißt, wenn die Wirkung nachlässt, gibt es keine andere Droge, die das noch toppen kann. Deshalb musst du dir wieder Crystal besorgen. Ein Teufelskreis. Ich habe mich in dieser Zeit körperlich ruiniert. Ich bin heute Anfang 40 und habe keine eigenen Zähne mehr – aber das war mir damals egal.
Warum nehmen junge Leute Drogen?
Einmal glaube ich, dass der zunehmende Leistungsdruck junge Leute heute dazu bringt, diesen Stress mit Medikamenten oder Drogen zu kompensieren. Außerdem sind junge Leute auf der Suche nach einer Gruppe, nach etwas, wo sie dazugehören. Das war bei mir ausschlaggebend. Zuhause war ich das Sandwich-Kind. Meine Schwester war bereits aus dem Haus, meine Mutter hatte mit ihrem neuen Partner noch meinen Bruder bekommen. Ich hatte da keine Rolle und war auf der Suche nach einem Platz.
Und den haben Sie in der Drogenszene gefunden?
Zunächst ging es nur darum, wenig zu Hause zu sein. Viel mit Leuten abzuhängen, mit denen man sich wohlfühlt. Und so kam eins zum anderen. Irgendwann hatte einer zwei Ecstasy-Pillen dabei. Wir wollten uns eigentlich eine teilen, aber das ging nicht. Das Ding war steinhart. Also haben wir einfach jeder eine ganze geschluckt.
Was ist passiert?
Das Ding ist so dermaßen eingefahren, und plötzlich war meine Empfindung: alles passt. Es hat gekribbelt, ich hatte Bewegungsdrang. Die Leute waren toll, die Mucke auch. Kurzum, das war das richtige Teil, damit ich drauf hängenbleibe. Ich sag in meinen Vorträgen immer: 'Denkt immer dran, wer einmal leckt, der weiß wie´s schmeckt'.
Das heißt, Sie wollten dieses Glücksgefühl immer wieder erleben?
Genau. Ich bin jedes Wochenende in die Disco gefahren, immer mit dem gleichen Ziel, Partymachen und was einschmeißen. Egal was. Und häufig wurde dann von Freitag bis Sonntag durchgefeiert.
Montag sind Sie dann aber wieder zur Arbeit. Sie hatten eine Ausbildung auf dem Bau angefangen. Geht das zusammen?
Am Anfang galt noch der Rhythmus: Unter der Woche clean, am Wochenende feiern. Aber okay, das eine Mal kam ich verspätet, das andere Mal gar nicht. Irgendwann hatte ich so viele Fehlzeiten, dass sie mich raus schmissen. Ich hatte jetzt niemanden mehr, der ein Auge auf mich hatte. Es gab Wochenenden, an denen ich mir 38 Pillen einwarf. Um das zu finanzieren, habe ich dann angefangen zu dealen.
Trotzdem haben Sie es irgendwann geschafft auszusteigen, ein neues Leben anzufangen. Wie?
Es war ja nie mein Plan, dass sich alles so krass entwickelt. Aus Angst vor meinem Dealer wegen der Schulden, entwickelte ich eine regelrechte Paranoia, lebte hinter heruntergelassenen Jalousien, war völlig abgemagert. Ich wusste: Entweder, du gehst jetzt gnadenlos unter, oder du reißt dich zusammen und kriegst dein Leben auf die Reihe. Meine damalige Freundin hat dann für mich einen Termin in der Drogenberatungsstelle gemacht und gleich mein erster Besuch dort war ein Aha-Erlebnis.
Warum?
In meiner Vorstellung waren Drogenberater alte bärtige Männer, die mir was von Drogen erzählen wollen, selbst aber keine Ahnung haben. Jetzt war mein Drogenberater aber ein junger Typ, den ich als DJ aus einem Club kannte. Der machte wie ich auch Party, nur ohne Drogen.
Wie ging es dann weiter?
Dieser Berater hat mich ein Jahr lang super begleitet. Ich bin jeden Tag in die Beratungsstelle gegangen, um dort Leute zu treffen, die nicht konsumieren. Denn ich hatte keinen mehr in meinem Umfeld, der keine Drogen nahm. Sie vermittelten mir wieder das Gefühl, etwas wert zu sein. Ich hatte mich ja durch die Drogen so dumm gemacht. Ich war nicht einmal in der Lage, einen Sozialhilfeantrag auszufüllen.
Ihr Leben hat sich danach um 180 Grad gewendet. Sie haben das Abitur nachgemacht und arbeiten heute als Krankenpfleger in einer Klinik. Wie schafft man das?
Jeder kann das schaffen. Wirklich jeder. Was einzig und allein zählt, ist der Wille. Es ist eine Lebensart, die man sich antrainiert hat und genauso kann man sich das auch wieder abtrainieren.
Ist es das, was Sie jungen Leuten vermitteln wollen, wenn Sie für mindzone in einem Club am Infostand stehen?
Ich kann mich noch genau erinnern, wie ich bei meinem ersten Einsatz für mindzone [Anm. der Red.: hier lesen Sie mehr zum mindzone-Projekt] das Gefühl hatte, ich beobachte mich selbst, von außen. Ich hab all diese jungen Leute gesehen, die total breit waren, und wusste, genauso war ich auch. Ja, ich möchte anderen weitergeben, dass man den Ausstieg schaffen kann. Und wie schön das Leben sein kann, wenn sich nicht alles nur darum dreht, woher man den nächsten Stoff kriegt.
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