Zur Debatte um vorgeburtliche Tests auf das Down-Syndrom
Die deutsche Politik diskutiert, ob vorgeburtliche Down-Syndrom-Tests künftig von den Krankenkassen bezahlt werden sollen. Wozu würde das führen?
Wenn solche Tests als Kassenleistung angeboten würden, veränderte dies gesellschaftliche Bewusstsein erheblich. Damit würde der Gedanke befördert, dass das Down-Syndrom grundsätzlich ausgeschlossen werden könnte. Dass es Menschen mit Down-Syndrom am besten gar nicht mehr geben sollte. Behinderung würde zum Betriebsunfall des Lebens erklärt.
Und wenn ein Arzt bei dem Test das Down-Syndrom übersieht …
… womöglich hätten Eltern gar ein Recht auf Schadensersatz. Was für ein Albtraum! Ein Baby zur Welt zu bringen, ist ein Geschenk, gleich ob mit oder ohne Down-Syndrom. Aber genau diese Haltung wird befördert, wenn der Down-Syndrom-Test zur Kassenleistung würde. Damit würden Menschen danach eingeteilt, ob ihr Leben lebenswert oder nicht lebenswert ist.
Welche Konsequenzen hätte das für Menschen, die mit dem Down-Syndrom leben?
Sie und ihre Angehörigen müssten sich noch stärker als heute dafür rechtfertigen, dass es sie überhaupt gibt. Dass Menschen sich für ihr Dasein rechtfertigen müssen, finde ich unerträglich.
Hätten wir dann irgendwann eine Gesellschaft, in der es gar keine Babys mit Down-Syndrom mehr gibt?
Das weiß ich nicht. Was ich aber weiß, ist: In Dänemark wird seit 2005 allen Schwangeren eine Risikoabschätzung auf Trisomie 21 angeboten. Seitdem hat sich in diesem Land die Zahl der Kinder, die mit Down-Syndrom geboren werden, halbiert. Und diese Tests haben ja weitere Auswirkungen. Mit den Möglichkeiten der Pränataldiagnostik kommen noch ganz andere Gendefekte in den Blick: ob Stoffwechselkrankheiten oder Anfälligkeiten für Krebs, Parkinson und Alzheimer. Die Möglichkeit, Babys mit Erkrankungen vor der Geburt auszusortieren, würde sich also verstärken, wenn die Tests von den Krankenkassen bezahlt würden.
Was bedeutet es, wenn die Gesellschaft immer stärker nach makellosen Menschen strebt?
Zunächst mal ist dieser Wunsch eine Illusion. Denn 96 Prozent aller Behinderungen treten während der Geburt oder im späteren Leben auf, und nur ein Bruchteil der Behinderungen ist genetisch bedingt. Gleichzeitig wird durch dieses Perfektionsstreben suggeriert, dass nur der makellose Mensch ein wertvoller Mensch ist. Das widerspricht dem christlichen Menschenbild: Der Wert eines Menschen hängt nicht von seinen körperlichen und geistigen Fähigkeiten ab. Jeder Mensch hat grundsätzlich seine Würde und seinen Wert.
Die Debatte dürfte trotzdem nicht mehr zu stoppen sein - auch weil die Medizin immer modernere Möglichkeiten hat.
Das stimmt. Medizinischen Fortschritt kann man nicht verbieten, und die Debatte ist nun mal da. Deshalb ist es so wichtig, christliche Werte in diese Debatte einzubringen.
Welchen Einfluss können die Kirche und die Christen realistisch nehmen?
Gehört wird unsere Stimme nur, wenn es uns gelingt, den Wert jedes Menschen nicht als kirchliches Sondergut darzustellen - also nicht als etwas, das nur uns Christen angeht und interessiert. Wir müssen klarmachen, dass der Einsatz für behindertes Leben ein Beitrag zu einer humanen Gesellschaft ist.
Was kann jeder einzelne Christ konkret tun?
Jeder Mensch sollte erst einmal dem eigenen Gefühl trauen und sich fragen: Darf das wirklich sein, dass wir bewerten, ob ein Leben lebenswert ist oder nicht? Man muss sich kundig machen, die Debatte verfolgen, Argumente hören, eine eigene Haltung finden. Jeder Mensch sollte bewusst für das Leben Stellung beziehen - in der Familie, im Freundeskreis, am Arbeitsplatz. Das bedeutet, sich nicht nur in die Debatten um vorgeburtliche Tests einzubringen, sondern auch in unserer Gesellschaft für Inklusion einzustehen.
Nun gibt es aber ja auch Eltern, die Angst haben, in unserer Leistungsgesellschaft mit einem behinderten Kind nicht klarzukommen, und die deshalb einen Down-Syndrom-Test wollen. Was sagen Sie denen?
Es ist sehr wichtig, diese Eltern in ihrer Sorge ernst zu nehmen - ihnen gleichzeitig aber auch deutlich zu machen, wie Kirche mit ihrer Caritas und der Staat ihnen helfen können, vor und nach der Geburt. Diese Hilfsangebote, die es gibt, unterstützen die Betroffenen sehr präzise und gezielt. Das nimmt ihnen nicht die Sorge und die Verantwortung, ein Kind mit Down-Syndrom zur Welt zu bringen und aufzuziehen. Aber es macht deutlich: Ihr seid nicht alleingelassen.
Was würde einer Gesellschaft fehlen, in der Menschen mit Down-Syndrom kaum noch vorkommen?
Ganz viel. Ich will nicht bestreiten, dass das Leben mit einem behinderten Kind für Familien eine Herausforderung ist. Aber so ein Kind schenkt auch so viel Lebensfreude, so viel positives Denken. Menschen mit Down-Syndrom bereichern unsere Welt. Sie zeigen, dass das Leben vielfältig ist und dass man auch mit Begrenzungen sein Leben bewältigen kann. Es tut einer Gesellschaft gut, wenn sie solche Beispiele hat. Ich möchte in keiner Welt leben, in der alles makellos ist.
Das Interview führte Andreas Lesch für die Bistumspresse und es erschien dort am 17.März 2019.