Ein weiteres Bürokratiemonster
Vor neun Jahren wurde das Bundesteilhabegesetz (BTHG) beschlossen. Die Umsetzung in Nordrhein-Westfalen droht ein weiteres Bürokratiemonster zu gebären. Die ursprüngliche Idee von mehr personenorientierten Teilhabeleistungen für Menschen mit Behinderungen wird dabei in ihr Gegenteil verkehrt.
Träger und Landschaftsverbände in NRW ringen von Beginn an darum, wie das BTHG umgesetzt werden soll. Zuletzt forderten die Landschaftsverbände, alle Wohneinrichtungen budgetneutral in ein neues Leistungssystem zu überführen: Künftig sollen die Einrichtungen zum einen eine personelle Grundausstattung für die Betreuung vorhalten, die über Tagessätze finanziert wird. Zusätzlich sollen personenorientierte Leistungen nach Stundensätzen vergütet werden, wofür die Bedarfe der einzelnen Betreuten zunächst festgestellt werden müssen.
Das Problem liegt dabei in der geforderten "Budgetneutralität": Die künstliche Trennung der Betreuungsleistungen in "Grundausstattung" und "persönlichen Bedarf" erzeugt erheblichen bürokratischen Aufwand bei der Bestimmung, Dokumentation und Abrechnung. Wenn das Budget bei mehr Aufwand gleich bleibt, bleibt unterm Strich aber weniger Zeit für die eigentliche Betreuung. Überhaupt: Was nützt die aufwendige Feststellung persönlicher Bedarfe, wenn für die Bewilligung am Ende maßgeblich ist, dass das bisherige Budget nicht überschritten wird? Ohne Budgetneutralität würde das neue System zumindest langfristig Perspektiven für eine bessere Betreuung bieten. Denn dann wäre klar: Die persönlichen Bedarfe sind entscheidend für die Bewilligung.
Warum haben die Landschaftsverbände ein Interesse daran, die Finanzierung so zu gestalten? Dazu muss man wissen, dass allein beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe über 100 zusätzliche Stellen für die Bedarfsfeststellung und Leistungssteuerung geschaffen wurden. Der Anspruch ist, viel tiefer in die Gestaltung und Steuerung der Leistungserbringung einzusteigen.
Kommt es so, wie jetzt von den Einrichtungs- und den Landschaftsverbänden als kleinster gemeinsamer Nenner noch gewollt, dann wird die Umsetzung des BTHG zu einem Lehrstück: Aus dem anfänglich guten Willen erwächst ein bürokratischer Mehraufwand ohne wirkliche Verbesserung, der einen hohen Tribut von den knappen Ressourcen einfordert. Entwickeln wir in Deutschland unseren Sozialstaat nur in dieser Form weiter, wird er langfristig scheitern – mit bösen Folgen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.