Jonglieren im Gleichgewicht
Soziale Angebote und ihre Mitarbeitenden zu koordinieren, ist Puzzlearbeit – die dann stets noch „Spitz auf Knopf“ steht.Adobe Stock/tomertu
Stellen Sie sich vor, 122 Bälle gleichzeitig in der Luft zu jonglieren. Denn 122 Finanzierungstitel gibt es im Caritasverband Oberhausen für alle unsere Dienste und Angebote. Während der Bäcker Brötchen, Kuchen und Teilchen verkauft und vom Kunden Geld dafür bekommt, bietet ein Caritasverband eine Dienstleistung an und kann dafür aus drei, vier, fünf unterschiedlichen Quellen Geld bekommen – oder auch gar keines. Ein Beispiel ist die Schuldnerberatung: Die Kommune gibt 20.000 Euro freiwillig, ein gesetzlich vorgeschriebener Fonds der Giro- und Sparkassenverbände weitere 12.000 Euro, der Rest kommt aus Kirchensteuermitteln. Drei Finanzierungsquellen, zwei davon wackelig: Fällt ein Ball runter, gerät alles aus dem Gleichgewicht.
Die Finanzierung eines örtlichen Caritasverbandes ist komplex. Täglich müssen
Verantwortliche jonglieren – und dabei zwischen Ökonomie und Nächstenliebe balancieren. Gleichzeitig müssen Orts-Caritasverbände auf neue Nöte reagieren – und das in einer Ruhrgebietsstadt, deren finanzielle Notlage mindestens genauso groß ist wie die Notlagen ihrer Bürger:innen. Die kommunalen Kassen sind leer. Das heißt, dass immer wieder Dienste, Aufgaben und Projekte wegfallen.
Stellenumbau begleitet die Caritas ständig
Diese Abhängigkeit spiegelt sich in nahezu allen Bereichen wider und führt häufig zu Engpässen. Zwei Beispiele von Anfang 2025: Nachdem das Land die Förderung für die Beratung von Flüchtlingen gekürzt hat, mussten wir den Dienst reduzieren und Stellenanteile abbauen - bei geltenden und nahezu ausnahmslos unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen. Parallel wurde ein EU-gefördertes Projekt zur Prävention von Wohnungslosigkeit bewilligt, bei dem die Mitarbeiter:innen einsteigen können. Außerdem hat die Stadt Oberhausen die Förderung für die "Kinder-Notinsel" eingestellt. Durch dieses Projekt fanden Kinder bei Gefahr einen sicheren Anlaufpunkt in 230 Geschäften und Banken. Auch hier fallen Stellenanteile weg, die wir in einem anderen von der Stadt finanzierten Dienst für junge Familien auffangen können.
Solche Beispiele zeigen, wie schnell und oft sich die Beratungs- und Angebotslandschaft anpassen muss. Dies erfordert Flexibilität, um rasch auf veränderte Rahmenbedingungen zu reagieren. Die organisatorischen Anforderungen sind erheblich. Anträge, Abrechnungen und strikte Verwendungsvorschriften führen dazu, dass jede Förderung präzise gemanagt werden muss. Wenn einmal Geld übrig bleibt, kann es nicht für andere, unterfinanzierte Bereiche genutzt werden.
Manche Angebote gehen unwiderruflich verloren
Das größte Problem: Der Wegfall eines Angebots hat für die Nutzer:innen die größten Folgen. Gut ist, wenn Betroffene an andere Träger verwiesen werden können. Doch das gelingt immer seltener. In vielen Fällen entsteht ein Versorgungsloch, das – wenn einmal ein Angebot weg ist – nur schwer wieder zu schließen ist.
Prominentes Beispiel ist die psychosoziale Begleitung von traumatisierten Geflüchteten. Das von der Kommune freiwillig finanzierte Programm wurde 2024 eingestellt. Menschen mit Fluchterfahrung und psychischen Erkrankungen waren aber zuletzt oft mit schweren Straftaten in den Nachrichten. Auch wenn hier kein direkter Zusammenhang besteht: Das zeigt, wie schwierig es ist, die Folgen einer Schließung für eine Stadt oder für ein Land abzuschätzen und daraus moralisch die richtigen Schlüsse zu ziehen. Fallen konkrete soziale Dienstleistungen oder Präventionsprojekte weg, erhalten Betroffene keine adäquate Hilfe mehr. Sie fühlen sich ausgegrenzt und wenden sich womöglich von Institutionen ab. Das kann wiederum zu Radikalisierung führen. Die Spaltung unserer Gesellschaft kann durch fehlende Unterstützung von Betroffenen verstärkt werden. So entsteht sozialer Sprengstoff.
Fördermittel richten sich leider oft nach politischen Prioritäten. Manchmal führt das zu einer Unterstützungslandschaft, die nicht den langfristigen Bedarfen entspricht. Auf kommunaler Ebene lässt sich dem durch aktive Lobbyarbeit entgegenwirken: Als Caritas können wir mit Menschen in Kontakt treten, diskutieren und klarmachen, was wichtig ist.
Mitarbeitende halten, auch unter schwierigen Bedingungen
Wenn Dienste auf der Kippe stehen, orientieren sich Mitarbeitende und Fachkräfte möglicherweise anders. Deshalb setzt die Caritas in Oberhausen auf mehrere Strategien, die dazu beigetragen haben, die Fluktuation gering zu halten, so dass die Mitarbeitenden auch in schwierigen Zeiten loyal zum Verband stehen:
- Weiterbildung und Entwicklungsperspektiven: Mitarbeitende werden ermutigt, sich fortzubilden und sich neue Kompetenzen anzueignen, um in anderen Bereichen im Verband eingesetzt werden zu können.
- Interne Mobilität: Stellen bei neuen Projekten werden intern besetzt, sofern dies möglich ist.
- Wertekultur: Der Verband legt großen Wert darauf, die Mitarbeitenden als Gemeinschaft zu sehen, die von christlichen Werten getragen wird.
So herausfordernd der ständige Wandel ist – er birgt auch Chancen. Ein regelmäßiger Umbau zwingt dazu, stets zu prüfen, was sinnvoll und effektiv ist, sich an den aktuellen Bedarfen zu orientieren und alte Strukturen zu hinterfragen. Der Aufbau neuer Angebote erfordert Kreativität und die Bereitschaft, neue Wege zu gehen. Dadurch bleibt der Verband flexibel und kann schneller auf neue gesellschaftliche Entwicklungen und Unterstützungsbedarfe reagieren.
Bei all diesen Entwicklungen leiten uns im Caritasverband Oberhausen unsere Satzung, unser Leitbild und unsere selbst gesteckten Ziele. Menschen stärken, Zukunft gestalten: Dieses Motto haben wir uns zum 100-jährigen Jubiläum gegeben. Es fasst zusammen, warum und für wen wir antreten. Mit klarem Kompass, einer vorausschauenden Planung und mit Gottvertrauen kann dieser Spagat auch in Zukunft gelingen.