Die himmlische Perspektive und das caritative Tun
Himmel und Erde: #DasMachenWirGemeinsam" - der Claim des DCV-Jubiläumskongresses schließt an die Kampagne von 2021/22 an: "Not sehen & handeln: #DasMachenWirGemeinsam". Aber mehr noch: Er greift die Frage nach dem Grund all unseres caritativen Engagements auf - eine Frage, die sich immer wieder, aber gerade auch unter den aktuellen Bedingungen der Komplexität einer Gesellschaft im Krisenmodus neu und drängend stellt.
"Himmel und Erde" umspannt das Ganze des menschlichen Lebens - und reicht gerade damit auch weit über das menschliche Leben hinaus. Dieser erste Teil des Claims impliziert die große Spannung, die das Leben aller Einzelnen und auch der Gesamtgesellschaft aus christlicher Sicht prägt, und motiviert zugleich menschliches Tun. Daraus resultieren zwei zentrale theologische Fragen: Welchen Stellenwert hat menschliches Tun beziehungsweise die Erde im Blick auf den Himmel? Und, eng mit der ersten Frage verbunden: Was bedeutet es, wenn im Zusammenhang mit dem Begriff des Himmels vom menschlichen Machen die Rede ist?
Das, was der Caritasverband in seinen Einrichtungen und Diensten in vielen Facetten leistet, ist etwas sehr Irdisches, es geht um zutiefst menschliche Belange, die das physische und psychische Wohl, das ganzheitliche Wohlergehen und das Gut-leben-Können betreffen. Die Sorge vor allem um die Menschen, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt sind, um die Marginalisierten, die keine Lobby haben, um die Kranken, um die, die in unterschiedlichen Situationen ihres Lebens materielle wie immaterielle Unterstützung und Hilfe benötigen, um die, die sonst nur Müll und Abfall der Gesellschaft sind, wie Papst Franziskus immer wieder sagt - die Sorge um all diese Menschen gehört zu den täglichen und konstitutiven Aufgaben dieses Wohlfahrtsverbandes wie jedes Wohlfahrtsverbandes. In seiner jüngsten Sozialenzyklika Fratelli tutti (2020) legt der Papst die Beispielerzählung vom barmherzigen Samariter aus, um zu zeigen, dass solches Handeln im Geiste Jesu in alle Bereiche menschlicher Wirklichkeit hineinreicht und auf allen Ebenen Bedeutung hat. Der Geist der Geschwisterlichkeit und Solidarität, der vorbehaltlosen und tatsächlichen Anerkennung der Würde jedes Menschen ist es, der die grundlegende Haltung solchen caritativen Tuns bildet.
Was ist der Unterschied zu anderen Wohlfahrtsverbänden?
Nur allzu oft wird aber die Frage gestellt, was denn an all dem Tun aus dem Geist der Nächstenliebe heraus das Christliche ist, was denn den christlichen Verband von anderen Wohlfahrtsverbänden unterscheide. Die Antwort hierauf lässt sich auf einen einfachen Punkt bringen: Es ist die himmlische Perspektive hinter allem konkret Irdischen, die unsichtbare Wirklichkeit, die an der einen oder anderen Stelle durch das Sichtbare hindurchleuchtet und erkennbar wird. Prinzipiell gibt es zwei Wege, diese Frage zu beantworten: Entweder man sucht nach exklusiv Christlichem oder nach intensiv Christlichem. Da es gerade zum Kern der christlichen Botschaft gehört, nicht auszugrenzen oder Exklusion zu befördern, kann es nur um das intensiv Christliche gehen. Der Himmel steht genau für dieses intensive Moment des Tuns, in dem die bedingungslose Liebe Gottes aufleuchtet. Die verbandliche Caritas hat den Himmel nicht für sich "gepachtet", auch andere Wohlfahrtsarbeit kann solche Momente implizieren, der Name und das Tun der Caritas stehen aber für das explizite Versprechen, alles darauf auszurichten, dass solche himmlischen Momente möglich werden.
Das Zweite Vatikanum macht in seiner Pastoralkonstitution Gaudium et spes sehr deutlich, dass die Kirche sich um den ganzen und um alle Menschen kümmert, wenn es gleich zu Beginn im Eingangsabschnitt dieses zentralen Textes heißt: "Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi." Nicht länger ist das Irdische der Ort der Versuchung des Menschen, der deswegen möglichst zu meiden wäre, sondern vielmehr ist alles Irdische auch relevant für den Himmel und der Himmel ebenso für das Irdische.
Vier Aspekte von Himmel und Erde
Aber "machen" wir damit den Himmel? Liegt es beziehungsweise er in unserer Hand?
Vier Aspekte scheinen mir dazu höchst relevant:
1.
Mit dem, was Menschen für andere tun, bewirken sie, dass in oftmals grauen Zeiten der Himmel offen gehalten wird (Karl Lehmann). Damit ist schon viel gewonnen, auch wenn das, was Himmel meint, so noch gar nicht näher spezifiziert ist. Himmel in dieser Bedeutung ist aber auch nicht einfach das Gewölbe über uns, sondern meint die Dimension, die unser Dasein umfängt, man könnte sagen: die Sinndimension. Das deuten Menschen heute in unserer religionspluralen Gesellschaft sehr unterschiedlich und individuell. Für uns Christinnen und Christen ist dieser Himmel die Begegnung mit dem liebenden und treuen Gott, der sich ganz jedem und allen Menschen zugewandt hat, und dessen Zuwendung auch immer wieder in kleinen und oft unscheinbaren Begegnungen und Gesten aufleuchtet und spürbar wird.
2.
Wenn das, was irdisch zum Wohl der Menschen in den unterschiedlichsten Bereichen der Tätigkeiten der verbandlichen Caritas getan wird, auf eine dahinterstehende, dies transzendierende Wirklichkeit verweist, dann kommt darin der quasi-sakramentale Charakter des Tuns zum Ausdruck. Theologisch ließe sich diese Tätigkeit als Dienst am Menschen beschreiben - neutestamentlich zusammengefasst in der Perikope (Abschnitt in der Bibel) der Fußwaschung, die zugleich an der Stelle im Johannesevangelium steht, an der bei den Synoptikern (den drei Evangelisten Markus, Matthäus und Lukas) der Einsetzungsbericht zu finden ist. Damit wird deutlich, dass in der Fußwaschung, diesem allerniedrigsten irdischen Dienst, den normalerweise Sklaven versehen haben, die Hingabe Jesu Christi für die Menschen ihren Höhepunkt findet. Nicht umsonst also spricht Hans Urs von Balthasar im Blick auf die Fußwaschung von dem Sakrament, das vor der Kirchentür gespendet wird. Ein Sakrament ist, theologisch gesprochen, eine Zeichenhandlung, die das bewirkt, was sie bezeichnet - der Anspruch, in solchem irdischen Handeln die Begegnung mit diesem menschenzugewandten Gott zu ermöglichen, ist ein zutiefst himmlischer.
3.
Ein weiterer Gedanke ist hier wichtig, er bezieht sich auf die motivationale Ebene unseres Handelns. Warum eigentlich tun wir das, was wir caritativ tun? Es geht um eine Perspektive der Hoffnung. Wir tun es, um Zeugnis zu geben von der Hoffnung, die uns erfüllt, "(v)on der Hoffnung darauf", so Jürgen Werbick, Professor für Fundamentaltheologie, "dass die Seligpreisungen wahr werden", "(v)on der Entschlossenheit, ihr Wahrwerden nicht aufs Jenseits zu verschieben?". Diese Hoffnung gibt Zeugnis "von dem Gott […], der uns in seinem Christus vor Augen geführt und erlebbar gemacht hat, dass er keinen Menschen verloren gibt, dass deshalb niemand - für niemand - quantité négligeable (eine vernachlässigenswerte Größe, d. Red.) sein darf und sein muss"1. Es ist die Hoffnung auf erfülltes Leben und das ist der Himmel, der in seinen Anfängen da erfahrbar wird, wo Menschen das Andere der Vernunft, die verborgene Dimension der Wirklichkeit, das Wertvolle des Unerwünschten, das Bereichernde des Unerwarteten, die Anerkennung des Anderen stark machen. "Da versöhnen sich Himmel und Erde", wie es in einem modernen geistlichen Lied heißt.
4.
Das "machen" wir gemeinsam - dieser Claim in Bezug auf Himmel und Erde ist aber bei aller positiven Würdigung des Machens schließlich doch auch kritisch zu befragen: Ist das "Machen" zu Recht auf den Himmel bezogen oder kann es das überhaupt sein? Ist der Himmel, zumal der christlich "gefüllte" Himmel im Sinne von "das Leben in Fülle", von Menschenhand machbar?
Das Spannungsfeld zwischen "Schon-jetzt" und "Noch-nicht"
Es klingt hier eine Spannung an, die in keinem anderen lehramtlichen Text so deutlich beschrieben ist wie in der Pastoralkonstitution "Gaudium et spes" und so klar benannt wie im Synodenpapier "Unsere Hoffnung", nämlich die "eschatologische Spannung" zwischen dem "Schon-jetzt" und "Noch-nicht" als Signatur des Reiches Gottes in der Gegenwart. Einerseits gilt selbstverständlich, dass das Heil in seiner Vollendung endzeitliches Geschenk des wiederkehrenden Herrn ist. Das impliziert, dass das Reich Gottes nicht durch Menschenhand und menschliches Bemühen geschaffen oder vollendet werden kann - aber, und das ist hier von besonderer, weil die Menschen entlastender Bedeutung, auch nicht unter dem Druck einer "Leistung für das Gottesreich" vollendet werden muss. Auf der anderen Seite aber erweisen sich die Gestaltung dieser Welt und die Schaffung einer besseren Ordnung für das menschliche Wohl auch in keiner Weise als völlig gleichgültig und unbedeutend: "Gaudium et spes" betont deswegen, dass der irdische Fortschritt, das heißt alles, was wir in Gemeinschaft und ausgerichtet auf Humanität und Menschenwürde tun, große Bedeutung für das Reich Gottes hat, "insofern er zu einer besseren Ordnung der menschlichen Gesellschaft beitragen kann" (GS 39,2).
Alles, was wir in Liebe tun, hat hier Bedeutung
So könne "eine umrisshafte Vorstellung von der künftigen Welt" entstehen, der lateinische Text spricht an dieser Stelle von einer "adumbratio", einem Schattenbild. Alles, was wir in Liebe tun und damit an menschlichem Fortschritt bewirken, hat hier Bedeutung - von einer Quantifizierung oder Hierarchisierung im Sinne einer Effizienzmessung ist nirgends die Rede. Es geht um das menschliche Handeln in Gemeinschaft und im festen Vertrauen auf Gottes vorausgehende und bedingungslose Liebe. So wird der Himmel auf der Erde verortet und die Erde zum Resonanzraum des Himmels.
Anmerkung
1. www.feinschwarz.net/mehr-werte-um-himmels-willen/ (6.3.2017).
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