Kaffee verkaufen, statt um Freier zu buhlen
El Curita ist ein rauer Ort. An den Gebäuden rund um den Platz im Herzen Havannas bröckelt mehr als nur der Putz, und es fällt schwer, die Umgebung besonders einladend zu finden. Tagsüber wird die Betonfläche von den Abgasen der ein- und abfahrenden Busse und Taxen eingenebelt und nach Sonnenuntergang von Prostituierten bevölkert, die um Freier buhlen. In nur einer Nacht mit einem Fremden können sie mehr Geld einnehmen, als der durchschnittliche Kubaner im Monat verdient, auch wenn die Konkurrenz groß ist.
Viele Jahre war das die Lebenswelt von Daniela Sánchez1. Doch vor einem Jahr hat sie einen neuen Start gewagt. Seither verkauft sie nach Anbruch der Dunkelheit ausgewählte Kleinigkeiten an die Nachtaktiven. Oft sind es Taxifahrer, die sich um ihren kleinen Tisch scharen. Besonders beliebt ist ihr Kaffee, der ihr pro Plastikbecher 1,5 kubanische Pesos einbringt - umgerechnet 5 Cent. "Sie trinken wirklich Unmengen davon, um die Nacht durchzustehen", sagt Daniela Sánchez, während sie das Geld für einen Kaffee in Empfang nimmt. "Gut für mich", sagt die 45-Jährige und grinst.
Ein Mikrokredit als Initialzündung
Im Sortiment hat sie auch Zigaretten, Feuerzeuge, Kekse und Kaugummis. Reich wird sie damit nicht, denn im Monat kommen für sie gerade einmal rund zehn Euro zusammen. Doch in Kuba reicht dieses Geld, um einige Zeit über die Runden zu kommen. Einige Pesos verdient sie sich außerdem mit Schneiderarbeiten dazu.
Dass sie diesen beiden Jobs nachgehen kann, hat sie drei Ordensschwestern zu verdanken. Die Hermanas Adoratrices haben sie vor einem Jahr auf der Straße angesprochen und ihr Hilfe angeboten. Damals arbeitete die zweifache Mutter, die nie eine Berufsausbildung abgeschlossen hat, aus der Not heraus selbst als Prostituierte, denn es galt, nicht nur sich selbst, sondern auch ihre zwei Kinder zu versorgen.
"Ohne die Hermanas, die mir damals einen Mikrokredit gegeben haben, wäre all das hier nicht möglich gewesen und ich hätte diesen Schritt nie gemacht. Mit ihrer Hilfe habe ich mich mit Produkten für meinen kleinen Stand eingedeckt. Auch meine Wohnung konnte ich renovieren und mir einen Kühlschrank kaufen. Ich kann ihnen gar nicht genug danken", sagt Sánchez. Die Besuche der Schwestern im Milieu sind neben der gezielten finanziellen Unterstützung, der psychosozialen Begleitung und der Weiterbildung von ehemaligen Prostituierten eine der Säulen des Projektes, das von Caritas international, dem Hilfswerk des Deutschen Caritasverbandes, seit dem Start vor rund zwei Jahren unterstützt wird.
"Die Mikrokredite sind keine Geschenke", betont die Projektleiterin Ordensschwester Lucía Mocho, die aus Bolivien stammt. "Wir legen mit jeder der Begünstigten fest, wie sie das Geld zurückzahlen soll." Die Geschäftsideen der Frauen reichen dabei vom Kauf eines speziellen Fahrrads für den Verkauf von Eiscreme bis zur Beschaffung eines Pferdekarrens zum Transport von Fahrgästen. "Manchmal unterstützen wir auch Frauen in akuten Notsituationen, bei Krankheit oder gravierenden Problemen mit der Wohnung mit einem Kleinkredit", sagt Mocho.
Harte Strafen für Prostitution
Rund 90.000 Menschen arbeiten in Kuba laut Zahlen der Vereinten Nationen in der Prostitution, und das, obwohl sie im dem Karibikland illegal ist und mit langjährigen Haftstrafen geahndet werden kann. Viele der Prostituierten in den größeren Städten stammen aus dem ländlichen Teil der Insel, sind durch das Bildungssystem gerutscht und sehen in der Sexarbeit die einzige Möglichkeit, überhaupt an Geld zu kommen.
Um ihnen andere Wege aufzuzeigen, sich einen kleinen Betrag dazuzuverdienen, geben die Ordensschwestern etwa Lehrgänge im Stricken, Häkeln und Weben, regelmäßig auch Sprachkurse und Seminare in Buchhaltung und Betriebswirtschaft, wie auch die Kioskbesitzerin Daniela Sánchez aus El Curita vor einiger Zeit eines besucht hat.
Anfangs war es nicht leicht für die Schwestern, die alle nicht aus Kuba, sondern aus anderen lateinamerikanischen Ländern kommen, mit den Frauen auf der Straße ins Gespräch zu kommen. Einheimische wie Matilda Rodríguez halfen ihnen dabei, im Viertel Fuß zu fassen. "Wir haben uns vor zwei Jahren kennengelernt, als ich eine Strafe in einem Gefängnis für Prostituierte abgesessen habe", sagt die 32-Jährige, die heute in einer kleinen Wohnung in einer engen Seitengasse der Altstadt Havannas lebt. Eine Mitinsassin habe ihr die Visitenkarte der Schwestern gegeben, auf der sie mit einer kostenlosen Lebensberatung und anderen Hilfen werben.
"Als ich wieder draußen war, habe ich ihnen einen Besuch abgestattet und sie gefragt, ob ich ihnen irgendwie helfen kann. Ich wollte sie unterstützen, mit den Mädchen auf der Straße einfacher in Kontakt zu kommen, weil ich die Arbeit der Hermanas wichtig finde und hier viele Leute kenne. Ich habe das Projekt vielen Frauen empfohlen, die den Absprung schaffen wollten", erzählt Rodríguez. "Der Schritt aus der Prostitution ändert die ökonomische Situation natürlich drastisch - aber er ist es mehr als wert."
Die Schwestern verfolgen den Werdegang ihrer "Schätze"
Inzwischen ist das Projekt, das in größerem Umfang auch in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá von Caritas international unterstützt wird, ein Selbstläufer, und die Schwestern haben für ihre Programme mehr Anfragen als Plätze. "Es fing mit zunächst sechs Frauen an, die wir betreut haben. Jetzt sind es pro Jahr 28", sagt Schwester Lucía Mocho.
Eine von ihnen ist Ricarda Espinoza. "Die Schwestern sind gute Menschen, auch wenn sie sich auch erst einmal in ihre Aufgabe einfinden mussten. Sie kommen ja aus einer anderen Lebenswelt", sagt die 25-Jährige am Rande eines Strickkurses der Schwestern in den Räumen einer Kirche im Herzen der kubanischen Hauptstadt. "Es hilft mir sehr, dass ich hier sein kann. Ich war ein Mädchen der Straße, und um ehrlich zu sein, habe ich dort sehr viel Geld gemacht. Aber wie viele andere wollte ich dieses Leben nicht weiter führen und es war so etwas wie eine glückliche Fügung, dass ich die Schwestern getroffen habe." Auch innerhalb der Gruppe herrsche ein guter Zusammenhalt. "Wir haben Ähnliches erlebt in unserem Leben und bei den Treffen geht es ganz familiär zu. Wir sind alle wie Schwestern zueinander."
Wenngleich die Teilnehmerinnen des Programms nach einem Jahr wechseln, verfolgen die Ordensschwestern den weiteren Werdegang ihrer "Schätze", wie sie sie nennen, sehr genau. "Wir bleiben immer ansprechbar und haben eigentlich zu allen Frauen, mit denen wir je zu tun haben durften, noch ein herzliches Verhältnis", betont Mocho. "Durch das, was wir von ihnen zurückbekommen, wird es uns sehr leicht gemacht, immer wieder gern zur Arbeit zu gehen."
Anmerkung
1. Die Namen der betroffenen Frauen wurden von der Redaktion geändert.
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