Vielfältige Kompetenzen unter einem Dach
Unbestreitbar - mittlerweile bewegen sich auch die Träger von caritativen Diensten und Einrichtungen in Deutschland in einem System, das von einer kaum zu überschauenden Vielzahl rechtlicher Rahmenbedingungen geprägt wird. Wer etwa ein Altenheim betreiben will, in einer Sozialstation ambulante Pflege anbietet oder sich um Menschen mit Behinderung kümmert, ist gezwungen, Rahmenverträge, Versorgungsverträge, Heimverträge und dergleichen abzuschließen. In den zahllosen Diensten und Einrichtungen der Caritas werden Zigtausende Mitarbeiter(innen) beschäftigt, für die das auch nicht immer leicht durchschaubare Arbeitsrecht Anwendung findet. Konflikte mit Kostenträgern, aber auch im Arbeitsverhältnis sind inzwischen in vielen Bereichen Bestandteil der täglichen Arbeit von Geschäftsführungen und Vorständen. Hier drängt sich die Frage auf, inwieweit Diözesan-Caritasverbände (DiCVs) rechtliche Unterstützung für die angeschlossenen Mitglieder geben können.
Der Caritasverband für die Diözese Münster hat in seiner Satzung ausdrücklich geregelt, dass es zu seinen Aufgaben gehört, Mitglieder und deren Einrichtungen in Gerichtsprozessen zu vertreten. Darüber hinaus kann der DiCV Münster auch in rechtlichen Fragen Dienstleistungen für die Mitglieder des Diözesan-Caritasverbandes gegen einen entsprechenden Beitrag erbringen. Eine Gebührenordnung für die juristische Beratung und Prozessvertretung hat der Vorstand des Diözesan-Caritasverbandes Münster Anfang 2015 verabschiedet. Die Kosten richten sich nach den Rahmengebühren des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG). Daneben sind Honorarsätze beziehungsweise Stundenvergütungen angedacht, die sich an den geforderten Anliegen ausrichten (zum Beispiel Inhouse-Fortbildungen, Erarbeitung von gutachterlichen Stellungnahmen sowie Begleitung bei Terminen mit dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung - MDK oder Heimaufsicht).
Sowohl die Satzungsregelungen als auch die Gebührenordnung sind Voraussetzungen dafür, dass sich Mitglieder des DiCV Münster (zum Beispiel der Träger eines Altenheims) von Jurist(inn)en des DiCV in rechtlichen oder gerichtlichen Auseinandersetzungen vertreten lassen können. Im Falle einer erfolgreichen Prozessführung können sie sogar die angefallenen Gebühren für diese Vertretung von der Gegenseite erstattet bekommen.
Dass diese rechtliche Konstruktion möglich ist, hat das Bundessozialgericht (BSG) letztmalig in einer Entscheidung vom 8. September 2014 (B 14 AS 5/14 R) bestätigt. In diesem Urteil hatte sich das BSG inhaltlich mit der Frage der Zulässigkeit und den Voraussetzungen einer Verfahrensvertretung durch Verbandsvertreter(innen) für die Mitglieder eines Sozialverbandes zu befassen. Prozessual war diese Thematik eingebettet in den Problemkreis, wie erstattungsfähig die Kosten des Widerspruchverfahrens nach § 63 Abs. 1 S. 1 SGB X sind. Demnach hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten.
Das Urteil hat große Bedeutung für die Verbandsarbeit
Die Entscheidung des BSG kann sowohl für die Sozial- wie für die Wohlfahrtsverbände von großem Interesse sein, greift sie doch das schwierige Thema der Rechtsberatung und Rechtsdienstleistung in einer Verbandsstruktur auf. So wird nicht nur durch die höchstrichterliche Entscheidung des BSG klargestellt, unter welchen Voraussetzungen - nämlich einer satzungsrechtlich transparenten und nachvollziehbaren Regelung sowie des Abschlusses eines Geschäftsbesorgungsvertrages - eine Kostenstruktur für die rechtliche Beratung und Verfahrensvertretung von Verbandsmitgliedern zulässig ist. Vielmehr verdeutlicht das BSG darüber hinaus auch, dass es einem Verband freisteht, seine rechtlichen Dienstleistungen in eine eigene Gesellschaft auszugliedern.
Im vorliegenden Fall war der VdK-Landesverband alleiniger Eigentümer dieser gGmbH. Es wären jedoch auch weitere Modelle in der praktischen Umsetzung einer Ausgliederung denkbar, etwa der Sozial-/Wohlfahrtsverband als Mehrheitsgesellschafter statt als alleiniger Gesellschafter. Dies hätte zur Folge, dass die Rechtsschutzgesellschaft sowohl interne Mandate für die Mitglieder, jedoch auch externe Mandate annehmen, also auch als Rechtsanwaltskanzlei am Markt auftreten könnte. Solche Modelle erfreuen sich in der Wirtschaft immer größerer Beliebtheit1 und könnten in Zukunft auch im sozialen Bereich eine neue Alternative schaffen, um dem ansteigenden und immer umfangreicher werdenden Bedarf nach Rechtsberatung und Verfahrensbegleitung der Mitglieder in allen Bereichen des Sozialrechts gerecht werden zu können.
Auch Unterstützung bei Kündigungsverfahren
Die Begleitung und Beratung der Verbandsmitglieder nicht nur im Sozialrecht, sondern durchaus auch im Arbeitsrecht (zum Beispiel Unterstützung bei Kündigungsverfahren) können schon zu einem Zeitpunkt beginnen, bevor die streitige Auseinandersetzung bei Gericht rechtshängig geworden ist. Dadurch lassen sich Fehler vermeiden. Oder man kann auch innerverbandliche Kompetenzen hinzuziehen, bevor externe Stellen damit befasst sind.
Rechtsanwaltskanzleien hingegen werden typischerweise regelmäßig erst dann mit einer Prozessvertretung beauftragt, wenn das Gericht schon konkret eingeschaltet werden soll oder eingeschaltet ist. Dann sind schon oft - vermeidbare - Fehler aufgetreten, die eben nicht mehr problemlos beseitigt werden können.
In dieser frühen Phase der vorprozessualen Verbandsvertretung oder -beratung geht es einerseits darum, außergerichtliche Lösungen und Einigungen zu finden, um auf diese Weise einen Prozess zu umgehen. Es geht andererseits aber auch darum, rechtliche Fehler zu vermeiden und einen absehbaren Prozess professionell vorzubereiten.
Dargestellt am Bereich des Arbeitsrechts heißt dies: Auf Dienstgeberseite ist beispielsweise eine ordnungsgemäße Beteiligung der Mitarbeitervertretung im Vorfeld einer Kündigung eine wesentliche Säule für ein später erfolgreich verlaufendes Gerichtsverfahren. Kommt es dann zur gerichtlichen Auseinandersetzung, führt diese frühe Begleitung des Dienstgebers zu Ergebnissen, die sich zum Beispiel in der Abfindungshöhe eines Vergleiches positiv niederschlagen können. Für diese umfassende Begleitung und Steuerung eines streitigen Personalfalles - von den Vorbereitungshandlungen an bis hin zur Prozessvertretung vor Gericht - sind zahlreiche Kompetenzen und Spezialkenntnisse aus den unterschiedlichsten Gebieten gefragt (zum Beispiel Mitarbeitervertretungsordnung - MAVO, Arbeitsvertragsrichtlinien - AVR oder Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG), die im Verbandsbereich typischerweise gebündelt vorzufinden sind.
Diese Bündelung von Kompetenzen unter einem Dach macht aber nicht nur im Arbeitsrecht eine besonders umfassende Beratung möglich. Auch im Bereich des Sozialrechts kann mit der Unterstützung etwa der Fachreferent(inn)en für Altenpflege oder ambulante Pflege und Behindertenhilfe sowie mit Hilfe des wirtschaftlichen und rechtlichen Know-hows eine ganzheitliche Beratung angeboten werden. Dieses Zusammenspiel von fachlicher, wirtschaftlicher und rechtlicher Kompetenz ist eine Besonderheit, die eine freie Rechtsanwaltskanzlei ihren Mandant(inn)en so nicht bieten kann. Darüber hinaus ist bemerkenswert, dass die Mitglieder nicht nur im Einzelfall auf rechtliche Beratung durch den Diözesan-Caritasverband hoffen können, sondern dass durch ein breit aufgestelltes rechtliches Fachwissen ein(e) Ansprechpartner(in) für nahezu jede rechtliche Fragestellung zur Verfügung steht.
Die Spitzenverbände sind gefragt
Deutlich wird, dass eine gut aufgestellte (rechts-)anwaltliche Beratung und Unterstützung für die Mitglieder von Diözesan-Caritasverbänden eine interessante Variante ist. Hier finden sich Kombinationsmöglichkeiten in fachlicher Hinsicht, die niedergelassene Rechtsanwält(inn)e(n) in dieser Kompetenz nicht ohne weiteres bieten können. Vielleicht sollten sich Spitzenverbände vermehrt Gedanken darüber machen, ihren Mitgliedern derartige Dienstleistungen anzubieten. Dies drängt sich auch aus einem weiteren Gesichtspunkt auf: Durch solche Angebote bleiben Erfahrungen auch innerhalb des Verbandes erhalten, die im Falle externer Dienstleister nur dem jeweiligen Auftraggeber zufließen, aber darüber hinaus eben nicht nutzbar sind.
Anmerkung
1. Erinnert sei an dieser Stelle nur an die Rechtsanwaltsgesellschaften, die sich vermehrt unter dem Dach - oder in engster Anbindung - bei Wirtschaftsprüfungsgesellschaften finden lassen.
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„Vergessene“ frühere Heimkinder in der Behindertenhilfe
Ein Weg aus dem Dilemma_Kriterien für gute Beratung
Verpflichtende Energieaudits für alle Unternehmen?
Mehr Menschlichkeit!
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