Eine lohnende Investition mit ungewissem Ausgang
Das Thema Innovation im sozialen Sektor hat in den vergangenen Jahren für einen öffentlichen und auch intensiven Schlagabtausch zwischen Vertreter(inne)n der Wohlfahrtsverbände und Repräsentant(inn)en des sozialen Unternehmertums gesorgt.1 Oft werden solche Debatten auf einer ideologischen Ebene geführt. Eine objektive und realistische Darstellung und Evaluierung der Rolle von Innovation innerhalb von Organisationen der Sozialwirtschaft bleibt so auf der Strecke.
Innovation als Prozess zu sehen und zu verstehen erlaubt uns, nicht der Versuchung zu erliegen, Innovation als Ideologie zu verherrlichen oder zu verteufeln. Mehr noch, es erlaubt uns, besser zu verstehen, welche Voraussetzungen notwendig sind, damit Innovation wertschöpfend wirkt und was Organisationen davon abhält, wertschöpfende Innovation zu entwickeln. Innovation als Prozess innerhalb Organisationen der Sozialwirtschaft spiegelt die Lernfähigkeit einer Organisation wider. Dies zu erkennen und zu nutzen ist eine der großen Herausforderung für Organisationen wie die Caritas, aber auch der Sozialwirtschaft in Deutschland und Europa.
Drei wichtige Trends prägen das Bild von Innovation in der Sozialwirtschaft. Der erste Trend geht dahin, dass wir soziale Innovation vielfach mit ungewöhnlichen Menschen gleichsetzen, die im Alleingang die Welt retten. In diesem zum Teil auch sehr berechtigten Enthusiasmus sollten wir aber nicht übersehen, dass wir zur Bewältigung vieler gesellschaftlicher Herausforderungen sowie neuer und alter sozialer Probleme wie zum Beispiel die aktuelle Flüchtlingswelle Organisationen und nicht nur Einzelpersonen benötigen. Deshalb ist es wichtig, Innovation nicht losgelöst, sondern als Prozess innerhalb von Organisationen zu betrachten.
Der zweite Trend bezieht sich auf die weit verbreitete Annahme, dass Innovation mit Wertschöpfung gleichzusetzen sei. In unseren Forschungsprojekten2 mit und zu weltweit anerkannten Organisationen der Sozialwirtschaft zeigt sich, dass Innovation per se nicht Wert schafft. Vielmehr überschätzen wir oft die Bedeutung von Innovation im Hinblick auf eine Lösung und der Verstetigung von Lösungen. Parallel dazu unterschätzen wir die Wichtigkeit des Scheiterns und das daraus entstehende Lernpotenzial. Auch berücksichtigen wir zu wenig, wie schwer es ist, Innovation zu entwickeln.
Damit einher geht der dritte Trend. Obwohl alle Welt von Innovation im sozialen Sektor spricht, haben sowohl Geldgeber als auch Organisationen unklare Erwartungen an die Rolle und das Potenzial von Innovation zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen oder zur Lösung sozialer Probleme. Auf die Frage, was Innovation ist und welche Rolle sie in der Organisation spielt, erhält man in Deutschland, aber auch in anderen Ländern, die unterschiedlichsten Antworten. Eine undefinierte und auch undifferenzierte Rolle von Innovation bildet aber keine gute Basis für Entscheidungen.
Geprägt von Ungewissheiten
Es ist daher unumgänglich, sich damit zu befassen, wie sich ein typischer Innovationsprozess innerhalb einer Organisation abbildet - unabhängig davon, ob es sich um Innovation im privaten, öffentlichen oder sozialen Sektor handelt. Innovation ist ein aufreibender Prozess, der durch Ungewissheit gekennzeichnet ist. Bei Innovation im sozialen Sektor lassen sich gleich vier Dimensionen von Ungewissheit feststellen. Erstens die Unsicherheit über den Umfang des Problems - verstehen wir das Problem in all seiner Komplexität? Zweitens die Ungewissheit aus der Management-Perspektive - wie reagieren Mitarbeiter(innen) und Vorgesetzte auf die Idee, werden die notwendigen Ressourcen zur Verfügung gestellt, ist diese Idee förderlich für meine Karriere? Drittens die technologische Ungewissheit - lässt sich die Idee in eine Lösung umsetzen, wird die Lösung funktionieren? Und viertens die Unsicherheit der Adaption - wird die Idee oder Lösung von der Zielgruppe oder vom Markt angenommen? Die historisch gewachsene Organisationskultur von Unternehmen in der Sozialwirtschaft ist auch hier ein wichtiger Faktor, der berücksichtigt werden muss, um Ungewissheiten zu identifizieren und sie in Entscheidungs- und Innovationsprozesse mit einzubeziehen.
Im Rahmen unserer Forschung haben wir festgestellt, dass Innovation vor allem das Lernpotenzial steigert und weniger Einfluss darauf hat, dass geplante Ergebnisse erreicht werden. Wenn Organisationen also nicht fähig (und bereit) sind zu lernen, sollten sie besser keine Innovation betreiben.
Innovation ist ein Prozess, der kostenintensiv ist und der oft nicht zum gewünschten Resultat führt. Deshalb ist es wichtig, Innovation nicht mit Wertschöpfung gleichzusetzen, sondern als Investition zu betrachten. Wenn also Innovation eine Investition mit ungewissem Ausgang ist, bleibt trotzdem die Frage: Was ist der zukünftige Wert dieser Investition? Der Wert hängt davon ab, was letztendlich mit dieser Innovation gemacht wird. Diese organisatorischen Bemühungen zur Schaffung von Mehrwert durch Innovation wird Skalierung genannt.
Skalierung ist also die Verfeinerung und die Verbesserung einer Innovation. Das bedeutet harte Arbeit. Nur so schaffen Organisationen eine vorhersehbare, positive Wirkung. Organisationsabläufe und Kompetenzen, entscheidendes Know-how und Motivation müssen aufgebaut werden. Dies geht einher mit dem Gefühl, eine wertvolle Leistung erbracht zu haben, und mit dem Ruf für zuverlässige Ausführung. Das wiederum schafft Vertrauen bei Zielgruppen, Geldgebern und in der Gesellschaft.
Eine wichtige Erkenntnis, die wir im Laufe unserer Forschung und in den vergangenen zehn Jahren gemacht haben, liegt darin, dass beinahe alle Organisationen den größten Teil ihrer Zeit mit Skalierung verbringen. Das heißt, sie betreiben viel weniger Innovation als angenommen - doch Innovation spielt eine ganz besondere Rolle. Je intensiver die Organisationen skalieren, umso mehr Wert wird aufgrund von Innovation geschaffen.
Analyse ist gefragt
Je mehr sich eine Organisation mit Innovation auseinandersetzt, desto besser kann fundiertes Wissen in einem Aufgabengebiet erschlossen werden. Dieses Wissen wiederum ist unumgänglich, um bessere Ideen zu generieren und diese besser einschätzen und bewerten zu können. Ideen können mit weniger Risiko und geringeren Kosten getestet werden. Es gibt eine schier unendlich anmutende Zahl von Büchern zum Thema Innovation. Ein Großteil besteht aus gut gemeinten Rezepten und Methoden, wie man Unternehmen innovativer macht. Das wirft natürlich die Frage auf, ob es in Organisationen eine Reihe von Pathologien gibt, die sie daran
hindern, sich mit Innovation auf eine produktive Art und Weise zu beschäftigen. Unsere Forschung erlaubt es uns, Diagnoseinstrumente zu entwickeln, mit deren Hilfe Organisationen Innovationspathologien erkennen und dadurch Innovationsprozesse produktiver gestalten können. So können die häufigsten "Krankheitsbilder" von Organisationen abgebildet werden.
Das Innovationspotenzial von Wohlfahrtsverbänden und ihre Innovationsfähigkeit sind ganz wesentlich von ihrer Organisationsgeschichte geprägt. Rezepte wären deshalb fehl am Platz. Vielmehr bedarf es einer Analyse, die die gewachsenen und geschichtlichen Unterschiede mit einbezieht.
In unserem Engagement mit Organisationen im sozialen Sektor verwenden wir die Diagnosemethode in Workshops, um die besonderen internen oder externen Ursachen dieser Pathologien zu erkennen und zu beschreiben. Die Mitarbeitenden empfinden dies als extrem befreiend. Es generiert die Haltung der konstruktiven Reflexion, die so wichtig ist für produktive Innovation und Skalierung, aber eben auch für einen Lernprozess. Die Entscheidung darüber, ob und wie man bei Pathologien interveniert, erfordert auch, dass man den Kontext, aber auch die langfristige und strategische Ausrichtung der Organisation (langfristige Wirkungsstrategie) mit einbezieht. Innovation ist - unabhängig von Wirkung oder Zielen - wichtig, um eine Organisation jung zu halten. Darüber hinaus kann Innovation einen positiven Beitrag zur Weiterentwicklung der Mitarbeiter(innen) leisten.
Drei wichtige Hinweise rund um Innovation als Prozess seien hier genannt:
- Klären Sie, was Innovation für Ihre Organisation bedeutet - und gehen Sie nicht davon aus, dass Innovation der bessere oder schnellere Weg ist, um positive Ergebnisse oder Wirkungen zu erzielen.
- Versuchen Sie, die Pathologien Ihrer Organisation zu erkennen und ehrlich zu beurteilen, ob und was man dagegen tun kann.
- Definieren Sie die Rolle von Innovation für Ihre Organisation und verstehen Sie Innovationsfähigkeit als Chance, als Organisation zu lernen.
Anmerkungen
1. Dieser Beitrag nimmt Bezug auf einen Vortrag im Rahmen des 9. Kongresses der Sozialwirtschaft in Magdeburg 2015.
2. Seelos, C.; Mair, J.: Innovation Is Not the Holy Grail. Stanford Social Innovation Review (Fall) 2012, S. 45-49 sowie Seelos, C.; Mair, J: Innovation and Scale: A Tough Balancing Act. Stanford Social Innovation Review, 2013 (Special Supplement: Innovation for a Complex World): S.12-14.
Die Bedürfnisse junger Flüchtlinge berücksichtigen
Nackte Wahrheit
Wirtschaftliche Verwaltung? Auch kleine Verbände können das
Krise und Chance zugleich
Hinterlassen Sie einen Kommentar zum Thema
Danke für Ihren Kommentar!
Ups...
Ein Fehler ist aufgetreten. Bitte laden Sie die Seite erneut und wiederholen Sie den Vorgang.
{{Reply.Name}} antwortet
{{Reply.Text}}